Die erste Europenner-Wildzeltnacht überstanden. Gerne würde ich behaupten „bestens“, aber dafür war es zu kalt. Die Morgensonne tut gut, dennoch brauche ich Handschuhe und die Einfamilienhaus-ähnliche Regenjacke als Schutz vor dem kalten Wind. Heilfroh, dass es erst mal ein Stück bergauf geht, um warm zu werden. Über die E44 für einen Kilometer, bis ich mich ins stille Farmland schlage und auf den kaum befahrenen, in der Karte weiß gezeichneten Departementssträßchen weiter radele. Der getrocknete Kuhmist auf dem Asphalt zeugt von regem Viehtrieb zwischen Weide und Melkstand. Einzelstehende Farmen und Landhäuser und die zu Krüppeln verhechselten Buchenhecken erinnern mich ein bisschen an Irland.
High Noon in Étrœungt. In dem Dorf irre ich eine Viertelstunde umher, weil ich zu stur bin für 500 m die N2 zu benutzen und nach einem schwer auffindbaren Feldweg Richtung Cartignies suche. Irren ist wichtig. Ein langhaariger Freak im Kleinlaster erklärt mir schließlich die Strecke.
Nun sitze ich auf der Treppe des Kriegerdenkmals neben der Kirche von „Cartagena“, wie ich Cartignies zum Spaß nenne. Habe Backwaren gekauft und beobachte das Geschehen auf dem Kirchplatz. Im Café des Sports „Chez Aurélie“ verschwinden immer wieder Männer, parken ihre Kleinwagen direkt vor der Tür, kommen nach einer Viertelstunde wieder raus. So lang dauert wohl der Mittagswein. Zwei Kerle schleppen sarg-große Pappkartons vorbei, schöne Statisten auf der Bühne meines Theaters des ganz normalen gelebten Lebens. Der Besitzer vom Vival-Markt nebenan spendiert mir ein Schwätzchen, nichts besonderes, nur woher, wohin, Bonne Courage, aber das reicht dem Langstreckenradler ja schon, um sich nicht ganz so verloren vorzukommen.
Überhaupt: wieder taucht die Frage auf, wie ich das aushalte, so ganz allein. Die Antwort ist: ich bin nicht alleine. Und ich habe mir mit der Kunststraße, den Fotos, den Blogeinträgen eine Mission auferlegt. Dazu SMS mit der Homebase, mit der geliebten SoSo, Mails, Telefonate. Nach zwei Jahren Liveblogexperimenten bin ich der Verschmelzung zwischen realer und virtueller Welt wieder ein Stück näher gerückt. Aber ganz im Ernst, ich bin ja noch nichtmal am Meer und hab schon Muffensausen, wenn es bald losgeht auf die Nordseerunde. Vielleicht übernehme ich mich?
Ich werde nun weiter Kurs Nordwest halten, via Landrecies Richtung Arras. Als Pfälzer empfinde ich die sehr sanften Hügel entlang ruhiger Bäche als total flach.
Für immer geschlossen. Tankstelle in Étrœungt