Konferenz auf Helgoland

Just im Moment mit einem Schiff namens Funny Girl nach Helgoland unterwegs, um Kunstmanager F. Zu treffen. Winziges Schiff. Schaukelt trotz Windstille. Die Mutter mit Bub am Tisch gegenüber spielt Schiffeversenken. Zwei blasse Kerle klemmen sich nebenan an den Tisch und fachsimpeln über Dithmarschen – ihr ächzen, wenn sie den Bierhumpen absetzen geht wie ein Stoßgebet durchs Schiff.

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Mache das, was die blassen Männer dir sagen.

Die Männer gehören mir, sag ich zur SoSo. Ich hab sie zuerst belauscht. An Bord der Funny Girl gibt es nicht viel zu tun, außer auf See zu starren und zu mutmaßen, ist das dort am Horizont ein Containerschiff, oder eine Hallig? Der ca. vierzig Meter lange Pott schaukelt, nachdem wir Büsum hinter uns gelassen haben, nun auf hoher See, doch recht erbärmlich. Bloggen, lesen, schlafen ist angesagt. Die Männer blogge ich. Wir haben auf den Polstern in der Cantine ein bisschen gedöst. Nach und nach wird mir bewusst, dass die meisten an Bord ebenso mit der Müdigkeit zu kämpfen haben. Je nachdem, wo man als Feriengast stationiert ist, muss man ein bis zwei Stunden mit dem Auto anreisen. Paare hängen nebeneinander in den Sitzen. Eltern beschäftigen wechselseitig ihre quengelnden Kinder. Der Chef der blassen Männer ist eine Quasselstrippe. Füllt den wortleeren Raum mit Informationen. Aus seiner Rede höre ich, dass sie eine Gruppe sind. Rheinländischer Akzent. Er derjenige, der die Tour organisiert hat. Der mit den Tickets dealt. Dem sie alle gehorchen müssen. Das winzige Zentrum einer selbstgebastelten winzigen Welt, in der man ungehemmt Alphawolf spielen darf.
Vor dreißig vierzig Jahren war ich schon einmal auf so einem Schiff. Tagestour nach Helgoland. Nur halb so groß wie heute, hatte ich Angst, dass mir ein Erwachsener auf den Kopf kotzt.
Nun sieht die Welt anders aus. Ich hab zu viele Schiffe gesehen, zu viel raue See erlebt, als dass ich aufgeregt oder ängstlich sein könnte. Müde schleppt er sich dahin. Ich hab ne Flaschenpost dabei, sagt der Alpha der blassen Männer. Schluck Bier. Weißte wo man das reinwerfen muss, damit es weder nach Helgoland, noch ans Festland gespült wird? Sein Gegenüber zuckt die Schultern. Es gibt nur eine einzige Stelle. Dauert noch. Auf dem Bildschirm, der über der Familie hängt, die Schiffeversenken spielt, wird die Route angezeigt. Der Chef der blassen Männer steht auf und zeigt auf den roten Punkt. Das sind wir. Und da muss die Post raus. Er macht das Tagesprogramm: Die Andern werden wohl alle erstmal zur Langen Anna. Ich würd vorschlagen, wir essen was im Hafen. Dann zeig ich euch den kleinen Friedhof. Danach gehn wir zum […]. Dann der große Trichter, das Leuchtfeuer und am Schluss gehn sehn wir uns die Anna an. Dann sind die andern dort bestimmt schon weg.
Wenn ich an Helgoland denke, fällt mir zuerst der monumentale Felsen ein, die Lange Anna. Leckeis und Geschäfte.
Der Alphablasse hat mich neugierig gemacht auf den Trichter. Was das wohl ist? Ein Meteoritenkrater?
Als die SoSo erwacht, erkläre ich ihr, wie es weiter geht, wenn wir auf der Insel sind. Unauffällig werden wir dem Mann mit dem blassen Gesicht folgen. Kunstmanager F., der mit der Fähre aus Cuxhaven anreist, weiß noch gar nicht, dass ich und der Blasse schon das Programm für heute gemacht haben. Ich hoffe, es sind nicht zu viele Blogleser an Bord, die nun Wind gekriegt haben, dass wir die Runde andersrum machen, und uns folgen. Das würde meinem blassen Freund sicher nicht gefallen.

Helgoland – Hoffnungsschimmer der Bauesoterik

Einmal Helgoland ist für jeden Deutschen Pflicht! Dass ich meinen Dienst auf der rundum zollfreien Insel schon Mitte der 1970er Jahre geleistet habe und meine größte Angst darin bestanden hatte, dass Erwachsene mir auf den Kopf kotzen oder Möwen darauf defäkieren, hätte ein Warnsignal sein können.

Alleine der Slogan „Konferenz auf Helgoland“ was klingen sollte wie ein künstlerisches Manifest oder wie die Konferenz von Jalta, hatte SoSo und mich veranlasst, uns in den Wahnsinn zu begeben. Weitere Konferenzgäste sind Freund und Kunstmanager F., seine Freundin F., unvorhergesehene Gäste sind die blassen Männer, Frauen, Kinder, Rentner, desperate Mittvieriger wie ich. Von der Funny Girl gibt es nach dem Ablegen in Büsum kein Entrinnen. Und so treiben wir im Tagesstrom der Touristen auf Deutschlands einzige Hochseeinsel und passieren die seit Jahzehnten vorgesehenen Schleusen.

Der Touristrom nach Helgoland funktioniert wie Ebbe und Flut. Ab 12 Uhr steigt die Touritide bis ca. 13 Uhr. Dann haben sämtliche Fähren das „fleischige Gold“, wie man auf Helgoland hinter vorgehaltener Hand sagt, abgeladen und die Gäste werden durch die Gässchen der kleinen Gemeinde bis zum Aufzug getrieben. Ein Spalier aus Souvenirs-, Zigaretten-, und Schnapsläden, sowie Restaurants. Am Hafen grüßt die grün patinierte Büste Hoffmanns von Fallersleben. Kaum vorstellbar, dass der Mann das Lied der Deutschen ausgerechnet auf dem Affenfelsen in der Nordsee gedichtet hat.

Kunstmanager F. hat sein Schiff in Cuxhaven verpasst, so dass die beiden Konferenzteilnehmer mit der Schnellfähre kurz vor 13 Uhr eintreffen. Vor einem Restaurant namens „Bunte Kuh“ knipst ein Rentner seine ahnungslose Frau und auch Kunstmanager F. dirigiert uns vor den Laden.

Die Helgoländer und Helgoländerinnen haben einen eigenwilligen Charme. Auf einem Eisberg aus unterschwelligem Hass auf die Touristentide thront ein weißer Gipfel gezwungener Freundlichkeit. Scheint mir. Vom Ausbooten – also dem Umsteigen unter Lebensgefahr von den ohnehin schaukelnden Fähren in winzige Nussschalen, die die Touris an Land bringen – bis in die Läden und Restaurants kriegt man hinter einer kalt lächelnden Maske immer wieder zu hören, so sind wir nunmal in Helgoland. Wie groß muss der Hass sein auf die tägliche Flut zwischen 12 und 15 Uhr.

Ungebremst drückt sich der Menschenstrom in die Gassen, die nur von Fahrrädern und Elektroautos befahren werden. Zwei rundliche Teenies verteilen Duftstreifen, mit denen sie die Weibchen aus dem Touristrom anlocken, um den Umsatz von zollfreiem Parfüm zu steigern. Die Insel ist eine Ausgeburt der Perversion modernen Konsums. Containerweise werden Waren herangeschafft in Schaufenstern drapiert, um tütenweise mit dem wohligen Gefühl, ein Schnäppchen gemacht zu haben, wieder ans Festland getragen zu werden. Nirgends wird der Wahnsinn des Genussmittelgüterkreislaufs ungeschminkter gezeigt.

Die Helgoländer haben schon seit jeher vom Warenumschlag profitiert. Zur Zeit der Kontinentalsperre durch Napoleon war die Insel britische Kronkolonie. Waren im Wert von 10 Millionen Mark lagerten Anfang des 19. Jahrhunderts in den Kontoren.

Ein ganz besonderes Nadelöhr ist der Inselaufzug, mit dem man von der Unter- in die Oberstadt gelangt. Die Aufzugsführerin ist der wohl mürrischste Mensch, dem ich auf der gesamten 6000 km langen Radeltour begegnet bin. „Wenn sie das nächste Mal ihre Fahrkarten nicht auseinanderreißen und sie mir zusammengelegt geben, geht es schneller mit dem Abknipsen“, schnauzt sie uns an. Es wird kein nächstes Mal geben, bin ich versucht zu sagen. Dass die kernige Frau kraft ihrer Existenz ein weiteres Detail für meinen bauesoterischen Roman liefert, den ich irgendwann schreibe, kann sie nicht ahnen. Danke, mürrische Aufzugtante, Dankeeee!

Auf dem Rückweg beim Wieder-Einbooten schaue ich in das ängstliche Gesicht eines alten Mannes, der vermutlich auch zum letzten Mal auf der Insel war. Mit vereinten Kräften wuchten die Bootsleute den Mann zurück in die Funny Lady.

Zwei Stunden zurückschaukeln mit einer Idee im Kopf, die „mechanische Funktionsweise“ der Insel, ihr pumpenhaftes Anmuten für die bauesoterische Geschichte zu nutzen. Nirgendwo treffen die drei Grundmuster der Bauesoterik, die mein Freund QQlka und ich, 1995 als Bodenleger arbeitend, ins Leben gerufen haben, deutlicher aufeinander als in Helgoland: vertikal, horizontal und zirkulierend ist die Insel. Sonst nichts. Sie gehorcht den unumstößlichen Gesetzen der Bauesoterik.

Wer weiß, vielleicht stehen ja die Büste Irgendlink und die Büste QQlka dereinst neben der von Hoffmann und ewig kreischt die Möwe und scheißt und scheißt.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

Weichherzig und untätowiert

Oldenburg Hauptbahnhof Gleis 6. Tag 110 der Reise? Nachdem ich SoSo am Flughafen Hamburg abgesetzt habe und über die sonntagmorgendliche Autobahn nach Westen gegondelt bin, Stippvisite bei Freund Schlager, der mir mit der Mietwagenabgabe hilft, nun mit Puls auf Hochtouren im Regionalzug nach Emden.

Alle Radelabteile gut gefüllt. Ich quetsche den Drahtesel irgendwo zwischen die angeketteten Räder misstrauischer Tagestouristen und die vollgeladenen Velos zweier holländischer Jungs. Hoffe, dass ich in Emden wieder raus kann.

Mir macht die Übervölle und das Getümmel grundsätzlich Stress.

Am Bahnsteig beobachte ich ein Paar, das sich verabschiedet. Er, tätowiert, umarmt sie, Küsschen, und dreht sich im Gehen immer wieder um, bis er die Treppe runter in die Unterführung noch einmal zurücklächelt. Hach. Diese gefühlvollen Typen mit den rauhen Tattoos und den weichen Herzen.

So ähnlich haben auch SoSo und ich Tschüss gesagt am wimmelnden Flughafen. Nur ohne Tattoos.