Tag 49 – In John O’Groats und auf der Fähre

Endlich am Ende der Insel … doch das ist ja nur ein neuer Anfang!
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Seil bei John O’Groats

Das Schiff parkt um an die Pier-Front, um mich, den einzigen Gast von John O’Groats nach Burwick per Gangway an Bord zu lassen

Die Personenfähre zu den Orkneys kurz vor 17 Uhr. Abfahrt. Kosten: 20 Pfund.

Fahrrad festgezurrt auf der Pentland Venture. Ab Wind aus Nordwest von mehr als 30 Meilen pro Std. läuft das 150 Sitzplätze-Schiff nicht aus.

Ein Blick aus dem Fenster der Fahrgastkabine

##### Videoclip ######

An Bord der Pentland Venture (Videoclip mit Kommentar von Irgendlink)

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Tag 49 – Orkney Islands

In Burwick auf den Orkneys: die Rückkehrer vom Tagesausflug steigen ein.
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Im ersten Stock eines verlassenen Hauses in Burwick am Hafen steht eine Badewanne.

Schnell wechselt das Wetter. Eine Viertelstunde später warte ich im Straßengraben, geschützt von ein paar Grasbüscheln, einen Schneeregenschauer ab.

Erstes Streckenfoto auf den Orkneys.

Nach heftigem Regenschauer auf dem Zeltplatz der Organic Farm Wheems. Blick nach Westen.

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Tag 50 – Pause

In Kirkwall, wohin Irgendlink heute per Mitfahrgelegenheit und Bus gefahren ist, hat er für morgen Nacht das Fähreticket nach Lerwick und für Samstagmittag das Flugticket Sumburgh-Bergen gekauft.

Sightseeing. Pause. Schönes Wetter genießen. Schön kalt sei es auf den Orkneys, meinte er am Telefon.

Anschließend ist er zurück auf den gestrigen Zeltplatz gefahren und gewandert. Direkt ans Meer.

Von Thurso nach Wheems

16. Mai 1912. Ein ungewöhnlich warmer Tag. Windstill liegt Gills Bay. Die Spätfähre nach St. Margarets Hope legt an diesem Abend ohne Private John W. Banks ab. Nachdem der junge Rekrut im Regiment der Gordon Highlanders sich ein Herz gefasst hatte und seiner angebeteten Anne Munro einen Heiratsantrag gemacht hat und sie ihm ein klares Ja gegeben hat, feiert er mit seinen Freunden im Schwarzen Krug. Er soll nicht ahnen, dass die politischen Nachrichten dieser Tage, die von den meisten Menschen nur für ein Säbelrasseln ihrer adligen Staatsoberhäupter gehalten werden, schon bald einen Weltkrieg auslösen werden, den er nicht überlebt.

Thurso erinnert mich an Pajala, Lappland, eine der letzten Städte Schwedens im Dreiländereck zu Finnland und Norwegen. Kahle Zweckwohnbauten säumen den Stadtrand. Tankstellen, Gewerbeflächen, Firmengelände. Statt krüppligem Wald, wie Pajala, ist Thurso umringt von Weiden.

Trotzdem bin ich froh um das Zimmer im Waterside. Nordwinde haben die Gegend voll im Griff. Einen Zeltplatz zu finden, der genug Windschutz bildet, wäre pures Glück. Das Zimmer riecht ein bisschen schimmelig und das Fenster hat eine einen Zentimeter breite Ritze. Nicht sehr warm trotz voll aufgedrehter Heizung. Raus aus Thurso führt der Radweg 1 über den Thurso River, östlich der Stadft auf schnurgeraden Countryroads druchs Hügelland.

Bei Castletown wird die Gegend endlich wieder interessant. Gigantische Meeresbucht. Sandstrand. Auf Inchs und Neils Tipp hin, radele ich über Brough hinaus zum Dunnet Head. Dem allernördlichsten Punkt auf dem schottischen Festland. 3 Meilen gegen den Wind durch eine unbeschreiblich schöne Ginsterwüste. Ich weiß nicht, ob ich den Weg gemacht hätte, wenn der Wind in die umgekehrte Richtung geweht hätte. Zu sehr hätte mich das Sackgassengefühl beängstigt, ich müsste ja dann zurück gegen den Wind. Stunde hin, zehn Minuten zurück, Liebling, so war mein Tag. Auf der Landzunge gibt es massenhaft gute Wildzeltplätze, auch einen sehr gut gegen den Wind geschützten Platz finde ich in einer Sandgrube, wo ich mich für zehn Minuten unterstelle (neben der senkrechten etwa drei Meter hohen Abbruchkante – der Wind weht den Regen horizontal über mich hinweg). Der Head selbst ist nicht so spektakulär. Just, als ich eintreffe, jagen zwei Tiefflieger über den Leuchtturm. Schmerz! Testosterongefüllte Natodeppen. Der Leuchtturm, naja. Kurzum: der Weg dahin ist wie bei so vielem, besser, als das Ziel.

Zurück mit 40 Sachen und über einen Ort mit dem Namen Barock auf den N1, der parallel zur nicht sehr stark befahrenen A836 führt. In der Nähe eines Kriegerdenkmals überholt mich ein schwer bepackter Radler aus Oxford. Er will nach John o‘ Groats und dann gleich wieder zurück auf der beliebten Strecke zwischen dem Nordosten und Südwesten der Britischen Insel. Tse. In dem Moment kann ich gar nicht verstehen, warum er in JOG gleich umkehrt und am heutigen Tag schon wieder zurückradelt. Bei dem Sturm. Beim Kriegerdenkmal mache ich im Windschutz der Mauer, mit der es eingezäunt ist, Pause. Die Sonne wärmt. Ich kann sogar meinen Helm auf den Boden legen, ohne dass er weggepustet wird. Lese die Namen, die Daten, auf vier Seiten des Steins sind etliche Regimenter notiert und etwa zweihundert Namen von Menschen, die nicht mehr leben. Die vermutlich nie die Chance hatten, ihr Leben so zu leben, wie sie es für richtig gehalten hatten. Ich konnte Krieg nie verstehen. Die drastische Zwangslage, in einem Regiment zu dienen, einkaserniert mit Männern gleichen Alters, mit denen man im normalen Leben im Pub allerhöchstens mal ein Bier trinken würde und über das Wetter schwätzen. Monatelang der Willkür höherer Käfte ausgeliefert, unkomptenter Vorgesetzter, fanatischer An-Irgendwas-Glauber und Dafür-Kämpfer und andere in die Scheiße Reinzieher.

Froh, nie gedient zu haben, versuche ich mich in das Leben der jungen Privates Unt. Lieutenants hinein zu denken. Aristokratie, Kaiser, Königin, 1912 war das Leben und das Denken und das Empfinden der Menschen völlig anders. Ich habe einmal gehört, dass man 1914 auf allen Seiten voller Begeisterung in den Weltkrieg gezogen ist. Ob das stimmt? Ob die Leute heutzutage auch noch so begeistert in den Krieg ziehen? Hat es sich angefühlt, wie wenn man in einem Fanbus voller Ultras zu einem Fußballspiel fährt?

Kurz vor JOG treffe ich zwei Radler ohne Gepäck. Sie sind von Landsend gekommen, paar Wochen geradelt, hatten durchwegs Sauwetter, so wie ich – weg mit dem Mythos Westküste hatte Gutwetter. In Thurso haben sie ihr Gepäck im Hotel gelassen, radeln die letzten Meilen nur, um es abzuhaken.

Plötzlich da. Kein bewegender Moment. Busparkplatz, Fährhafen, Coffeeshop, Touribuden. Fast alles zu. Der Campingplatz ist schön, aber es gibt kaum windgeschützte Plätze. JOG ist enttäuschen. Die kleine Orkneyfähre schaukelt im Hafen und auf einem Hügel darüber steht ein Wegweiser: Landsend achthundertsoundsoviel Meilen, Nordpol soundsoviel und ein Platzhalterschild mit „Your Town“ ist angebracht, auf dem man seine Stadt mit Lettern schreiben kann. Das Schild ist eingezäunt, eine winzige Bude daneben, in der ein Mann friert. Wenn man sich unter dem Schild mit eigenem Ort fotografieren lassen möchte, kostet das etliche Pfund. Die beiden Engländer, mit denen ich in JOG eingelaufen bin, machen ein Foto von mir vor der Absperrung. Griesgrämig starrt uns der Fotograf aus der Bude an. Fast wie ein Tier im Zoo.

Um Punkt 15:30 baut er das Schild ab, schließt die Bude, nimmt die Absperrung weg. Tse. Später, bei näherem Betrachten der Bude, entdecke ich allerlei Fotos, die in Schaukästen außen dran hängen. Kriege Mitleid mit dem Fotografen. Offenbar handelt es sich um eine uralte Idee, fast schon serielle Kunst, wieviele tausend Fotos wohl auf die Art an dem Ort entstanden sind? Eine großartige Sammlung muss das sein: Radler, Wanderer, Gruppen, Familien und ewig gleich sind die Schilder Richtuing Landsend und Nordpol und stets anders die Orte, aus denen die Fotografierten kommen. Manjarin fällt mir ein Nähe Foncebadon auf dem Jakobsweg. Dort oben in den Bergen steht auch eine ganze Menge Schilder – ich glaube, im Jakobswegbuch habe ich sogar ein Foto davon gezeigt. Dort könnte man das JOG Konzept 1:1 umsetzen.

Mit der Fähre verlasse ich um 17 Uhr das Schottische Festland.

Puuh, war der Artikel anstrengend, seit 3:13 MEZ nachts schuften. Nun kräht der Hahn. Es dämmert.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

Über das Liveschreiben # 1 und 4

1-Liveschreiben

Wusstest Du eigentlich, dass du dich mitten in einem literarischen Experiment befindest? Dass die Seiten, die du gerade liest, roh und druckfrisch sind, ja, dass sogar das, worüber in diesem Buch berichtet wird, gerade erst erlebt wird? Dass es, außer der Idee für die Reise, die nur das Skelett ist, an dem das Fleisch wächst, aus dem die Geschichte besteht, keinerlei Plan gibt. Und selbst das ist veränderbar. Wird er weiterhin den Radweg Nummer eins nehmen, wie es die Idee „Ums Meer“ vorsieht, oder weicht er aus in die Berge? Wird der Protagonist – ähm, ich, dein Autor und Geschichtenerleber – seinen Flug buchen können, die Fähre erreichen? Die Geschichte, die du gerade verfolgst, ist das Ergebnis einer mindestens zweijährigen Forschungsarbeit, in der ich mich pö a pö quasi selbst ausgebildet habe, die Operation am offenen Herzen der Literatur durchzuführen.

Mit Zweibrücken-Andorra im Frühling 2010 hat alles begonnen. Damals fand das erste live geschriebene Buch statt. Fand statt? Darf ich das so schreiben? Gewiss. Etliche andere Experimente folgten. Mit dem Jakobsweg – ein Kommentator taufte das Buch aus dem Winter 2010 „Nach der Schuld ist vor der Schuld“ – gelang erstmals ein durchgängiges, literarisches Werk etwas holprig, aber die angedachte Form schon deutlich zu erkennen.

Vielleicht kann man es vergleichen mit den ersten Versuchen mit Herzverpflanzungen? Was war das damals für eine Aufregung, als die Meldung um die Welt ging, in Südafrika hat ein Herzchirurg ein Herz verpflanzt. Die ersten Patienten wurden nicht alt, aber die Technik hat sich seither verbessert.

Liveschreiben ist nicht anders. Es wird seinen Weg gehen, ich, dein Autor, werde nicht der einzige sein, der das macht. Weitere werden kommen, werden sich verschiedener Themen annehmen. Vielleicht wird das Liveschreiben sogar die Kinderschuhe der Reiseliteratur verlassen und es werden ganz neue, erstaunliche Wege eingeschlagen, im übertragenen Sinn? Der menschlichen Phantasie bleibt dabei alles offen.

In diesem Buch, dessen Zeilen noch druckfrisch sind, konnten wir einiges verfeinern, was etwa in „Nach der Schuld ist vor der Schuld“ noch klemmte: ja, WIR, ist doch „Ums Meer“ das Werk mehrerer Autoren und Autorinnen. Sofasophia in der Homebase – ich kann nur immer wieder darauf hinweisen – trägt mindestens 50% zur Operation am offenen Herzen der Literatur bei. Aber auch die unbekannte Komponente, du da draußen, schaltet sich verstärkt ein und trägt mit hilfreichen Kommentaren und Hintergrundinformationen zum Gesamtwerk dieses live geschriebenen Buches bei. Es ist sicher vermessen, mich als alternden, hastigen Weißkittelprofessor darzustellen, der das Skalpell auf ganz eigene Weise ansetzt und den kleinen Finger während des Schneidens abspreizt – Schwester, Tupfer bitte – aber hey, nun, da ich dies schreibe, drei Uhr nachts, eiskalt, mein Atem schlägt auf dem Touchscreen des iPhones nieder, Nachtvögel stoßen Laute aus und die See rollt ruhig in der Bucht unter Wheems, nun ist mir gerade nach ein bisschen Liveschreibphilosophie.

Vielleicht schreibe ich ein How-to, ich Dr. Frankenstein der modernen Blogliteratur? Mir wird in diesem Moment klar, dass ich die Experimente zuvor, insbesondere das Jakobswegbuch, so stehen lassen muss, wie sie einst live geschrieben wurden. Den ersten Herzpatienten holt schließlich auch niemand mehr zurück.

Tipp: wenn du diesen Artikel als Durststreckenartikel verwenden möchtest, musst du den Ortsanker Wheems heraus nehmen und alle zeitlichen Belege entfernen. Wenn du ihn aber morgen, an Tag 51 der Reise, veröffentlichst, kann er so bleiben wie er ist. Ob Professor Barnard damals sich auch Notizen gemacht hat, um seine OP-Technik zu verbessern?

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4-Liveschreiben

Schnappschusstechnik.
Die Schnappschusstechnik ähnelt der Twittertechnik. In kurzen Textfragmenten gibt Dr. h.c. Liveschreiber unmittelbar während des Erlebens Eindrücke wieder. Hierzu nutzt er den Touchscreen als Eingabemethode. Bis die externe Tastatur connected ist, wären die Eindrücke längst verblasst.

Die Schnappschussmethode habe ich noch nie ausprobiert. Zu sehr haftet ihr der Twittermakel an. Zu sehr hege ich den Dünkel, Literatur darf nicht flüchtig sein und zu sehr graut mir davor, im Abstand von wenigen Viertelstunden ein Blog vollzuspammen, das gerade von seinen längeren, velosophischen Texten lebt.

Ein typischer Liveschreibartikel würde wie folgt aussehen:

First Blog
Wheems Camping acht Uhr früh. Wasserleitung tutet wie Nebelhörner.

Next Blog
Denke über eine neue Liveschreibtechnik nach, die so ähnlich funktioniert wie Twitter. Schnappschüsse des Erlebten, aufs Elementare reduziert.

Next Blog
Was die Orkneys vom Festland unterscheidet? Die atemberaubende Stille. Fast schon möchte man meinen, der viele Wind muss so sein, sonst kämen die Menschen in der Ruhe um.

Next Blog
Mach doch ne Serie über die Techniken des Liveschreibens, wo du schon mal mit dem Operation am offenen Herzen der Literatur Artikel angefangen hast. Eine Anleitung zum Buch direkt von unterwegs schreiben. Welcher Autor, welche Autorin träumt nicht davon?

Next Blog
Die Schnappschusstechnik kann eigentlich gar nicht funktionieren. Ihr fehlt der Zusammenhalt. Oder hattest du etwa gedacht, nur weil du das bist und weil du so unique schreibst, kriegen die da draußen ein Verständnis für das, was du zerhackst und neu zusammensetzest?

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Der Hahn kräht. Fühlt sich an wie daheim.

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Hoffnung! Vielleicht ist es ja die Magnifikanz der Reise, die Faszination, dem bewegten Künstler über die Schulter zu schauen, die das Rückgrat bilden für die Schnappschussfolge?

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Alles ist erlaubt!

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Du, der/die du dies liest, bist dir im Klaren, dass dieser Text nie und nimmer ein Schnappschusstext ist, geschrieben in zeitlich weit auseinander liegenden Momenten und livegebloggt: Es ist ein Text, der nur so tut, als sei er ein Schnappschusstext.

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Vielleicht eine Anleitung? Jetzt fangen auch schon die Wasserleitungen der Nachbarhäuser an zu tuten. Vielleicht sind das doch Nebelhörner?

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Versteh einer die Orkneys. Mike von Wheems erzählt mir gestern, die Insel habe sich rasant verändert, sie sei schnell geworden. In der Tat hat man eine Art Touristen-Pump-System installiert: Von JOG, Gills Bay und Thurso pumpen die Frühfähren Tagestouristen auf die Insel. An deren Fährhäfen in St. Margarets Hope, Stromness und Burwick stehen Busse bereit, um sie im Land zu verteilen. Selbst vom 200 km entfernten Inverness aus werden Touristen per Bus Richtung Orkney gepumpt.

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Das Telefon klingelt. Geliebte SoSo entführt mich sanft in die Heimat. Schon erstaunlich, wo so ein menschlicher Geist sich gleichzeitig befinden kann, wie er Zeit und Raum zu durchschreiten vermag.

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Du solltest die Schnappschusstechnik mal in „echt“ ausprobieren.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)