Tag 52 | Die 3000 voll gemacht auf dem Weg #ansKap

Dreitausend Kilometer und ein paar mehr hat Irgendlink nun auf dem Tacho. Zur Feier des Tages hat er sich eine Siegerbanane gegönnt. Und ein paar Siegerkekse und Siegererdnüsse auch gleich.

Den Campingplatz in Lycksele hat er des Preises und der Größe wegen links (oder war es rechts?) liegen lassen – oder doch nicht? Denn es gibt einen stillgelegten Teil. Oder so.

Hier lang gehts zum heutigen, ungefähren Streckenlink.

Zur Feier des Tages wieder ein paar Tagestweets:

 

 

Ein 87 Kilometer langer roland-emmerichesker Hechtsprung #AnsKap

Breit wie ein See, kaum erkennbar fließt die Umeälven hinter meinem Lagerplatz. Vereinzelte Inselchen verstärken das Bild vom See. Von hoch oben aus den Fjälls an der norwegischen Grenze kommt der Fluss und er mündet in der Stadt Umeå in die Ostsee.Gegenüber zieht sich Lycksele am Ufer entlang. Eine erstaunlich große Stadt, die sogar einen Flughafen mit täglichen Verbindungen nach Stockholm hat.

So ist es auf der typisch schwedischen Infotafel ein zwei Kilometer vor der Stadt neben einem Parkplatz an der Landstraße zu lesen.

Dort wird Lycksele als Südlappland-Metropole dargestellt, so empfinde ich zumindest das, was mir der englischsprachige Infotext verrät. Es gibt hier offenbar alles, was das Herz begehrt: Einkaufsmöglichkeiten, echte Innenstadt, Tierpark, Kinderbespaßung, Campingplatz. Ach herrlich! Wie sehr sehne ich mich nach einem feinen Fleckchen Wiese, nicht ganz so mückenumschwirrt wie die Lagerplätze der letzten Tage und nach einer heißen Dusche.

So kurbele ich phantasierend die 87 Kilometer herüber aus der letzten Stadt Åsele.

Es ist sagenhaft: zwischen den beiden Städten gibt es so gut wie keine Siedlungen. Ab und zu ein einsames Gehöft. Winzige Bushaltehäuschen deuten auf Menschen hin, die irgendwo unsichtbar in den spärlichen Wäldern zwischen sumpfigem Gelände leben. Die Bushäuschen sind aber nicht dicht gesät. Genau in der Mitte zwischen den Städten bei einer Straßenabzweigung steht zum Beispiel eins.

Und wie mit dem Regen zu einem Blinddate verabredet, erreiche ich es gerade rechtzeitig, um einen Schauer abzuwarten. Obst und Nüsse zu essen. Wasser zu trinken.

Ach Wasser. Ich Schluderer habe doch glatt vergessen, in Åsele die Vorräte aufzufüllen und so kurbelte ich sieben acht Kilometer weit auf einer zu stark befahrenen Straße, ehe ich gottseidank doch noch bei einem Haus im Nichts um Wasser fragen konnte.

Die etwa acht Kilometer zwischen Åsele und der Abzweigung der Straße 365 brauchen übrigens dringend einen Radweg oder Tempo sechzig als Maximalgeschwindigkeit – nur für die #Kapakten und das Sverigeleden- Organisationsteam.

Auf der 365 geht es dann bis Lycksele in stetem Auf und Ab und auf sehr rauem und daher sehr lautem Asphalt bis nach Lycksele.

Schreiasphalt, das Gegenteil von Flüsterasphalt. Ziemlich anstrengend, was die Höhenmeter angeht und ziemlich nervig für die Ohren. Was bin ich froh über meine Ohrstöpsel, die das schneidende Geräusch, wenn einem alle ein bis fünf Minuten ein Auto überholt oder entgegenkommt, etwas dimmen.

Gejagt von Regenschauern erreiche ich die Stadt.

Fast wie in einem Roland-Emmerich-Film, in dem der Held mit einem 87 Kilometer langen Hechtsprung einer todbringenden Feuerwalze entrinnt, nur eben, dass meine Feuerwalze ein Regenband ist und dass mein Hechtsprung die Länge eines Kinofilms bei weitem überschreiten würde.

Beim Camping wartet eine Enttäuschung auf mich. Es handelt sich um einen riesigen Familiencampingpark voller Caravans und Wohnmobile. Umschwirrt von Kindern auf Kettcars und Rollern, Minigolfbarrikade vor der Rezeption, Leckeis und in einem warmen gemütlichen Vorraum vor dem Souvenirsshop hängen vernachlässigte Jugendliche vor ihren Smartphones im WLAN.

Trotzdem, Dusche, Herr Irgend, denk an die Dusche. Intern lege ich die Schmerzhürde, was den Preis betrifft auf 150 Kronen, um mir beim Nachfragen an der Rezeption etwaige Zwiespälte zu ersparen. 200 Kronen. Boa. Und eigentlich auch klar. Campingplätze dieser Kajüte kosten immer um die 200 Kronen. So war es in Malmö, so war es in Örebro, wobei dort der Besuch des Spaßbads in den 340 Kronen mit inbegriffen war.

Für eine Einzelperson mit winzigem Zelt ist umgerechnet gut 20 Euro schon happig. Aber so ist die schwedische Regel: du zahlst für den Platz und nicht pro Person, Auto, sonstigem Schnickschnack.

Geld und dieser unerwartete Trubel machen die Entscheidung leicht, weiterzuradeln.

Wasser tanke ich noch auf dem Platz. Genug Lebensmittel und Strom und alles, was der Reisekünstler so braucht, sind in den Packtaschen.

Weit komme ich nicht. Etwa einen Kilometer hinter dem Campingplatz lockt eine schön gemähte Wiese direkt an der Umeälven … die sich als saisonal bedingt wohl stillgelegten Ausläufer der Campingplatzes entpuppt. Flussaufwärts schließt sich der Golfplatz an. Für eine Weile stehe ich grübelnd in einem Kiefernwäldchen genau zwischen den beiden möglichen Zeltplatzorten.

Ob ich mich wildzeltend auf dem Campingplatzgelände aufbaue, oder, was verlockender ist, auf der schön gemähten Golfbahn? Fast schon ein Burridans Dilemma. Regen naht. Der Esel in mir hungert.

Aus Angst vor morgendlichem Golfballterror wird es der Camping.

Unheimlich ist das. Der Platz muss in der Hochsaison wohl etliche tausend Menschen beherbergen. Norweger, vermutlich. Die 1700 Kilometer lange „blaue Route“ verbindet Umea an der Ostsee mit Mo i Rana an der norwegischen Nordatlantikküste.

Nachts rumpelt die Stadt auf der anderen Flusseite. Immer wieder jaulen Motoren, quietschen Reifen. Das scheint entweder Volkssport zu sein in Schweden, oder eher so eine Art Verzweiflungstat. Der Leere und der Ereignislosigkeit, die die lappländischen Niederungen einem jungen Mann voller Tatendrang und Lebenslust und auf der Suche nach Abwechslung antun, kann man vielleicht nur mit schreiend lauten Motoren und Reifen begegnen. Es gibt eigentlich fast keine Straßenkreuzung oder Abzweigung, auf der kein Gummi klebt, auf der keine Kreise mit angezogener Handbremse geritzt wurden.

Die Nacht in Lycksele veranschaulicht, ähm, besser gesagt, veranhörlicht das Problem.

Ich versuche mir vorzustellen, wie sich das anfühlt, jung zu sein und im Internet und im TV eine turbulente Spaßwelt vorgelebt zu bekommen und sich dann in Lappland wieder zu finden, wo es derart Bespaßung nicht gibt, wo alles langsamer, leiser ist. Muss man die Stille nicht als eine Art Gewalt betrachten, die einem, von was oder wem auch immer angetan wird? Muss man dieser Gewalt nicht auch angemessen mit einer Gegengewalt begegnen, sich abreagieren, laut werden, schreien, es in den lyckselischen seichten Nebel ritzen, rein akustisch, Hallo Welt, ich bin auch noch da, nimm dies, du stilles Schwein!?

So ähnlich könnte es sein. Oder auch nicht.

Der Morgen ist trist. Hochnebel, der bis an die Spitzen der Fichten reicht. Ein Zweimotoriges Etwas schwirrt heran, vermutlich der Flieger aus Stockholm. Die E12, die blaue Route summt von Süden.

Ich mache Datenbackup der letzten Woche. Über tausend Bilder und Filme banne ich per Wifi auf einen USB Stick.

Überlege, wie es weiter geht. Einen Tag Pause machen hier? Morgen soll es sonnig werden. Die Stadt anschauen? Oder weiter radeln auf der 365 nach Ruskele, knapp 50 Kilometer? Oder beides, erst rüber nach Lycksele, Urban Artwalk machen, Bilder für das iDogma Postkartenprojektfinden, und dann weiter radeln?

Erst mal bloggen. Nimm dies, treuer Leser, treue Leserin!

Tag 53 | Mit dem Immer-weiter-nordwärts-Radler #ansKap

Bitte hier → klicken zur ungefähren heutigen Tagesstrecke Irgendliks. Denn, ja, wie Ele im Kommentarstrang des letzten Artikels von heute Vormittag vermutet hat: er ist weitergeradelt.

Bei der längste Seilbahn der Welt schlägt er heute – jetzt – sein Nachtlager auf. Den Link zur Seilbahn, die leider erst am Samstag wieder fährt, gibts hier → klicken.

Und hier noch ein paar Tagestweets:

Zum letzten Artikel einfach hier → klicken

Pumpe #AnsKap

Ist das eine Hummel, was da brummt? Gleich neben dem Zelt. Ein leises Lüftchen, verdammt leise, aber es genügt, um in den Kiefern ein paar Tautropfen zu lösen, die sekundenlang auf dem Zeltdach trommeln. Dann wieder dieses Nichts, die Stille. Kein Vogel zwitschert. Keine Straße rauscht im Hintergrund, kein Flieger säuselt in neun Kilometern Höhe.

Minutenlang geht das so. Manchmal zig Minuten.

Ich bin drei Kilometer von der Hauptstraße, der Nummer 365 entfernt auf einem sogenannten Naturcamping. Naturcampings sind spartanisch ausgerüstete, ebene Flächen. Oft gibt es nur ein Plumpsklo, Wasser muss man aus dem Bach oder See schöpfen, wo man sich auch waschen kann, wenn man die Kühle nicht scheut.

Dieser hier hat ein blitzesauberes Klohäuschen, Männer und Frauenkabine, Wasseranschluss und Waschbecken. Mensträsk, mitten in Lappland. An der Einfahrt zu der geteerten Fläche hängt ein dreißig Zentimeter breites Schild, das den Platz ausweist, daneben ein Zettel, der die Regeln erklärt und ein Briefkasten mit einem Tütchen Couverts daneben, auf die man seinen Namen notiert und 50 Kronen hinein tut für die Gemeinde, die den Platz unterhält.

Ich glaube, meine Nachbarn im Wohnmobil, die schon früh abgereist sind, haben Schild und Briefkasten gar nicht gesehen und sind unbezahlter Dinge weiter gefahren.

Das große Geheimnis dieser Stille, wie ich sie daheim nicht kenne – da rauscht immer irgendwo eine Straße, lärmen Bässe kilometerweit aus Stereoanlagen, schreit jemand rum, wummert eine Fabrik, ziehen Linineflieger ihre Bahnen, so dass man die Uhr nach ihnen stellen könnte – das große Geheimnis dieser Stille ist, dass sie jedes Geräusch, das irgendwann auftaucht umso lauter macht.

Auf der Straße ist das für den Radler geradezu schmerzhaft. Der Asphalt ist rau. Die Autos fahren teilweise mit hundert Sachen an einem vorbei. Zwar halten sie Abstand, aber das schneidende Geräusch, das die Reifen verursachen ist wie wenn dir alle paar Minuten jemand direkt ins Ohr schreit.

Bei den LKW kommen noch die Nebengeräusche hinzu, Klappern, oder, wenn die riesigen Holzlaster leer an dir vorbeibrausen das Klackern der Ketten, die an den Streben baumeln.

Pauschal gesagt passieren einen die Holzlaster morgens voll beladen in die eine Richtung und kommen abends leer wieder zurück. Irgendwo vor einigen hundert Kilometern sah ich einen Bahnhof mitten Im Wald, neben dem ein gigantisches Holz-Nasslager von Pumpen berieselt wurde. Dort bringen sie womöglich ihre Ladungen hin.

Wie eine riesige Pumpe, die portionsweise den Rohstoff, fein in Stücke geschnitten und verladen, aus den Wäldern in die Zentren pumpt.

Plötzlich wird mir klar, wie pumpenhaft diese Welt ist. Alles am Menschen und seiner Organisation der Gesellschaft, der Güter, des Geldes, befindet sich im steten Fluss, wird hin und her gepumpt und oft auch konvertiert. Waren werden in Geld verwandelt oder umgekehrt, Geld in Waren, die transportiert werden. Eine gigantische Warenpipeline in Form von Containerschiffenumspannt den Globus, wie auch diese, meine Holzpipeline in Form von hunderten von Lastern bestens zu funktionieren scheint.

Mehr noch, auch wir Menschen pumpen uns selbst, morgens als Berufspendler hin zum Arbeitsplatz, abends wieder nach Hause.

Neben den täglichen Pumpzyklen gibt es die saisonalen Pumpzyklen. Wir pumpen uns in die Sommerferien und wieder zurück, massenhaft, millionenfach, in den Skiurlaub, oder vor langen Wochenenden bis weit jenseits der Infarktgrenze in die Supermärkte zum Großeinkauf.

Minutenlang herrscht Stille auf der 365. Nur das Schnurgeln der Radelreifen auf dem Teer ist zu hören. Die Kette quietscht, ich muss sie mal wieder ölen. Hundert Meter weit vorne starren mich zwei Rentiere an, drehen sich um, verschwinden klackernden Hufes im Wald. Von Hinten höre ich hunderte Meter weit entfernt ein Auto. Vermutlich eines jener neumodischen, großen Vierraddinger. Langsam erkennt man die Fahrzeugarten schon an ihrem Geräusch. Generell klingt es so wie etwa zu Hause, wenn man an einem Bahngleis steht und ein Zug kommt, nur ohne das Singen der Schienen.

Vor ein paar Stunden ist mir ein Radler begegnet, der sogenannte Micky Mäuse trug, also Ohrschützer, wie man sie in lauten Fabrikhallen aufzieht. Auch ich fahre seit Asele mit Ohrstöpseln. Eine Wohltat. Anfangs dachte ich, das sei gefährlich, weil man nicht mehr hört, wenn etwas auf einen zukommt, aber ganz im Gegenteil. Es filtert nur die Lärmspitzen und macht das Radeln in der gigantischen Weltenpumpe auf der mäßig befahrenen Hauptstraße durch den Wald erträglich.

Ich weiß nicht, ob man die Funktionsweise der Welt und des Menschseins tatsächlich in Form eines Pumpsystems erklären kann. Es ist auch nur so ein Eindruck.

Dieses eigenartige Gefühl wie es vielleicht ein Teilchen hat, das sich plötzlich als Teil des Ganzen begreift und sich durch die unergründlichen Windungen allen Seins zu denken versucht, und letztlich, so kommt es mir in den Sinn, funktioniert man auch selbst, als denkender, reisender Künstler fast wie eine Pumpe, die Gedanken von einem Ort zum anderen pumpt, sie aus dem Hirn in die Tasten, zerlegt in Bits und neu organisiert als sinnvolle Kette von Ascii-Zeichen hinausjagt ins Netz.

Wer weiß, wie sie dort weiter gepumpt werden.

Monument des Danks #AnsKap

Ich danke allen, die sich bisher an der Realisierung des Projekts #AnsKap – Livereise mit dem Fahrrad ans Nordkap/Kapschnitt 2.0 beteiligt haben.

Es war nicht einfach, einen geeigneten Standort für Eure Kupfertafel zu finden, geschweige denn, all Eure Namen auf dem winzigen Touchscreen des iPhones hineinzuritzen.

Habt eine schöne Zeit – Herzlich, Euer Irgendlink

Übrigens, ich habe zwar wahrscheinlich niemanden vergessen, aber falls doch, melde Dich, sag dem Herrn Kupferschmierer mal ordentlich Bescheid.

 Hellblaues Wappen auf Granit, mit verzierter Umrandung, zwei Löwen darüber, die eine Krone stützen  - die Namen der Unterstützer stehen auf der Tafel.