Restart.
Fast ist es so schwer wie am ersten Reisetag, damals, am 15. Juni. Wieviele Wochen? Fast sieben.
SoSo und ich laufen die 1,7 Kilometer von unserem Häuschen nahe Falun, in dem wir gut eine Woche Ferien gemacht haben, bis zur nächsten Bushaltestelle. Sie mit dem schweren Wanderrucksack auf dem Rücken, ich das Radel schiebend.
Der Abschied … lassen wir das. Minutenlanges Warten im Bushäuschen und immer wieder einander in die Augen schauen … Sie steigt ein, zahlt die Fahrkarte. Die Busfahrerin scheint die Szene zu begreifen, lässt die Tür einen Tick länger offen, als üblich, als wolle sie sagen, komm, küsst Euch nochmal. Aber wir lassen es bei Augenblicken.
Der Bus rauscht ab Richtung Falun Innenstadt. Wenn SoSo sich beeilt, schafft sie es noch auf die hinterste Bank, um nochmal durchs Fenster zu winken, denke ich. Durch die Spiegelung der Scheibe sehe ich nichts und just, als der Bus die nahe Kreuzung passiert, schiebt sich ein gelber DHL Vierzigtonner zwischen uns.
Nun bin ich alleine. Nur noch ich und meine 2300 Kilometer bis zum Nordkap.
Der Radelroute „Blau“ (in Falun haben sie eine rot und eine gelb markierte und die blaue Route) folge ich nach Osten bis zu einem Dorf namens Danholm. Ein schwerer Regenschauer begrüßt mich. Gerade noch rechtzeitig schaffe ich es in die Regenjacke. Gewitterrummeln querab. Aber der Spuk ist zum Glück schnell vorbei. Im Regen erreiche ich Sundborn, finde ein uriges Café in einer guten alten Stube. Über dem Tisch und der Sitzbank hängen zwei Portraits, ein Mann und eine Frau? Die Urahnen der jetzigen Besitzer?
Der Regen endet und ich folge wieder den grünen Schildern des Sverigeledens, der durch Sundborn führt.
Die Gegend ist einsam. Verdammt einsam und sie wird mit jedem Kilometer noch einsamer. Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich, weil ich das nicht mehr gewöhnt bin, mehr noch, weil die Situation, eine halbe Stunde oder noch länger durch Wald zu radeln, ohne auch nur einem Auto zu begegnen, bisher noch nicht da war. Daran muss ich mich nun wohl gewöhnen.
In Svärtsjö kaufe ich ein. Ziehe am Automaten Geld. Zum Glück. Danach nimmt die Leere zwischen den Siedlungen ein erschreckendes Ausmaß an und die Siedlungen selbst sind wie ausgestorben. Es gibt keine Läden. Man sieht keine Menschen vor den Häusern. Noch nicht einmal Rasen mähen sie, der Schweden liebstes Hobby.
Vor dem Supermarkt empfahl mir ein Mann, der nur schwedisch sprach, ich soll doch die Landstraße westlich des Sverigeledens bis nach Bollnäs nehmen, die sei nicht so steil. Ich sagte, dass mir die Ruhe lieber ist, dass ich nicht von LKWs und Autos umschwirrt werden möchte. Später stelle ich diese Ruhe in Frage. Bis nach Vintjärn steigt die Strecke auf über 400 Höhenmeter. Sehr schön eigentlich, vorbei an Seen und durch lichten Fichtenwald. Die nördliche Breite setzt der Vegetation schon sichtlich zu. Alles wirkt irgendwie kleiner und kümmerlicher. Diesseits und jenseits der Straße rauschen braune Bäche. Wie von Moor gespeist. Oder ist das Eisen, was sich da im Wasser löst und es so braun macht? Egal. Ich kurbele weiter, muss an Smaland denken. An das Sägezahnprofil der Strecke dort unten. Sechzig siebzig Kilometer waren damals echt schon eine Höchstleistung. Alpenpässe scheibchenweise,habe ich das genannt. Hier ist es ähnlich, aber bei weitem nicht so dramatisch.
Ab Vintjärn geht es wieder abwärts. Mehr oder weniger. Vorbei an Ruinen, alten Mühlen und am einen oder anderen Hof. Immer den grünen Shildern des Sverigeledens, des tausende Kilometer langen Schwedenradwegnetzes folgend.
Åmot war die bisher letzte Siedlung, die ich durchquert habe. Bei einem Haus in dem weitläufigen Dorf klopfe ich und lasse mir die Wasserflasche füllen. Sicher wäre es möglich, die braune Brühe aus den Bächen zu trinken, aber man muss ja nicht den Helden spielen.
Nun auf halber Strecke zwischen Åmot und Gruvberget. Mitten im Wald, direkt an einem Forstweg in einer zwei Meter breiten Parkbucht. Hinter mir liegen kubikmetergroße Felsbrocken. Der Wald ist unzeltbar. Es gibt nichtmal ein zwei mal drei Meter großes Fleckchen für das Zelt. Aber das spielt auch keine Rolle. Seit ich gestern gegen 22 Uhr das Zelt hier aufgestellt habe, ist noch niemand vorbei gekommen. Nicht einmal die befürchteten Tiere, Füchse oder gar Schlimmeres, die die Packtaschen plündern, sind aufgetaucht. Auf der Straße, kaum hundert Meter oberhalb fährt vielleicht ein Auto pro Stunde. Gestern überholten mich zwei Baumtransporter kurz hintereinander.
Nun weiter nach Gruvberget.
Bis Bollnäs sind es vielleicht noch 50 Kilometer.
Was mich wundert ist, dass hier draußen der Internetempfang so gut klappt.