Tag 25 | Verirgendlink im Pippi Langstrumpfland

Der heutige Tag war wieder ziemlich abenteuerlich. Zur Sorge um Rays Rad gesellte sich das Ding mit den Radwegen. Immerhin haben die beiden sich nicht langfristig verfahren. Nur ein bisschen. Und sind doch noch am Vätternsee angekommen.

Seht selbst. Hier → klicken zum heutigen, ungefähren Streckenlink, wobei diesmal Google mehr anzeigt als die beiden gefahren seien.

Innenansichten eines Europenner-Zeltlagers #AnsKap

Isomatte auf nacktem Bein. Kälte kriecht durch den halb offenen Reißverschluss des Zelts. Eben noch war die Sonne da und verwandelte die Szenerie um den Landsjön in ein antikes Gemälde. Wie hieß noch mal der Maler mit den bombastischen Wolkenlandschaften? Er muss ein Radreisender gewesen sein, der morgens nach dem Aufstehen Pinsel, Öl und Leinwand zur Hand nahm und die Szenerie malte.Unsere Zelte stehen auf einer Art Kanzel, eine etwa dreißig Meter durchmessende gemähte Wiese oberhalb eines Hofes. Windgeschützt. Sichtgeschützt. Eigentlich mitten in einem weitläufigen Wohngebiet unweit von Huskvarna.

Nachts konnte man die E4 rauschen hören, die vierspurig am Vätterensee entlangbrettert. Mahlstrom des Tourismus und des Güterverkehrs.

Das Zelt ist Schlafplatz, Schutzhütte, Küche und Büro in einem. Zwei Packtaschen vom Frontgepäckträger liegen zusammen mit den entpackten Lebensmitteln neben der Isomatte auf einem dreißig Zentimeter breiten Streifen bis zur Zeltwand. An der Leine im Dach baumeln Socken und Küchenhandtuch,durch das Mieswetter der letzten Tage zu ewiger Nässe verdammt.

Der Schlagsack schlafwarm klamm. Auf dem anderen dreißig Zentimeter breiten Streifen neben der Isomatte liegen Kleider und die Techniktasche. Pufferakkus fürs Smartphone, Kabel, das Notizbuch, in dem ich mein iDogma Postkartenprojektorganisiere.

Um nicht den Überblick zu verlieren, brauche ich die Namen aller Empfänger übersichtlich auf Papier. Das Projekt muss dokumentiert werden. Wer hat wann welche Postkarte erhalten. Bloß niemanden vergessen.

Unter unserer Kanzel summt eine Maschine hundert Meter weit weg. Wind starkt auf und rauscht in den Birken. Das übertüncht die E4.

Eben schien kurz die Sonne. Wie gut das tat nach dem gestrigen Tag in tiefhängenden ständig nieselnden Wolken. Die Solarzelle hängt am Radel und füllt einen der beiden Pufferakkus. Am anderen Ende der Kanzel steht Rays Zeltlager. Seit er seinen Fahrradständer eingebüßt hat ist er auf Zeltplätze neben Bäumen zum Rad dranlehnen angewiesen.

Das Heu verfault. Schnecken kriechen aus dem Boden an den Zeltwänden hoch. Zehn Zentimeter lange, nackte, ekelerregende Viecher.

Meine Stimmung?

Sie ist zwar nicht schwermütig oder depressiv, alles andere als schlecht. Ich frage mich aber, wieviele Tage man ohne Sonne bei Wind und Regen wohl durchstehen kann. Es sieht nicht nach Wetterbesserung aus. Je weiter nördlich wir kommen, desto kälter wird es.

Wie wird das erst in Lappland, wenn die schützenden Bäume weg sind?

Bloß nicht an die Zukunft denken. Bloß nicht dem Ungewissen ein womöglich falsches Gesicht geben.

Ich könnte jetzt meinen warmen Pullover brauchen. Aber den habe ich Ray geliehen, der nur für eitel Schweden Sonnenschein gerüstet ist.

Wir müssen einen Winterkleiderladen finden. Im Juli. Tse. 

     

Tag 26 | Am Vätternsee

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Irgendlink am Vätternsee

Heute sind unsere Helden immer auf dem Runt Vättern-Radweg gefahren. Nordwärts. Bei Wetter, das im Laufe des Tage besser wurde.

Die heutige Strecke, wie immer ungefähr, findet ihr hier → klicken.

Und nun gibts wieder ein paar Tweets des Tages als Bettmümpfeli resp. Betthupferl:

Tag 27 | Unterwegs nach Motala

Manche Tage sind stille Tage … Einfach radeln. Den Weg genießen. Voran kommen. Sein. Unterwegs sein …

Auf dem Camping in Motala haben die beiden ihr heutiges Nachtlager aufgeschlagen – eine Dusche ab und zu kann ja nicht. schaden. Und natürlich die tägliche Teatime … :-)

Hier → lang gehts zum heutigen ungefähren Streckenlink.

Drinnen und draußen #AnsKap

Es geht mir gut hier draußen. Wirklich gut. Vergesst das miese Wetter und die Radelstrapazen, das ewige schwedische Auf und Ab in einem unbarmherzigen Sägezahnprofil mal für einen Moment. ‚Innen‘ ist alles bestens. Und wenn es mit dem Innenleben stimmt, dann ist alles Äußere unwichtig. Dann darf man tagelang eingeregnet sein, die Klamotten verschwitzt, Füße und Hände klamm und die Zukunft, wenn man dieses Denken in nur wenigen Stundeneinheitenmal so nennen darf, die Zukunft kann getrost ungewiss sein.

Denn man hat sein Ziel erreicht: Gegenwärtigkeit. Ein Zustand friedvollen Insichruhens.

Gift. Ich komme nicht umhin, das Zusammenleben im herkömmlichen Alltag, zu Hause, im Job, auch in der Freizeit und im Hobby, als eine Art Gift zu sehen. Kein tödliches Gift. Eher so eine Art Droge wie etwa Alkohol. Man nimmt es ständig zu sich und es wirkt und diese Wirkung zeigt Symptome. Innere Unruhe, Unbestimmtheit, Angst, Hatz, Sorge, wie seh‘ ich heute aus? Darf ich das so und so? Was wird dieser oder jener denken? Kriege ich den Job? Streichen sie mir die Leistungen? Auch die virtuelle Welt fehlt hier draußen. Auch sie ist ein Krankmacher. Die Welt der Nachrichten und prügelt zu Hause tagtäglich auf dich ein und du stehst alleine im Informationsdjungel und musst zu allem und jedem eine Meinung entwickeln. Was ist mit den Griechen? Dem Islam? Den Aktienmärkten? Der Freihandeln?

Alles Dinge, von denen man als normaler Mensch keine oder kaum Ahnung hat, zu denen man sich aber unweigerlich eine Meinung bildet und sich dann im Netz, in sozialen Medien oder in Foren gegeneinander aufreibt.

Die meisten Meinungen und Gegenmeinungen, die in Kommentardiskussionen oft unter aller Würde geführt werden wie Krieg, fußen auf Nichtwissen. Auf Vermutungrn. Auf Glauben und auf dem Wiederspiegeln der Meinungen anderer, die man sich unbewusst überstreift.

Hier ‚draußen‘. Was weiß ich wirklich?

Dass dort Norden ist und da Süden. Von da komme ich. Dort will ich hin. Ich erinnere mich, vor der Reise einige Gesundheitschecks gemacht zu haben, weil sich der Körper marod anfühlte. Die Knochen. Kopfweh. Verspannung. Morgendliche Unruhe bis hin zu Herzrhythmusstörungen. Diese Rumpeln im Brustkorb war am zweiten Reisetag verschwunden wie alles andere auch.

Was ist hier draußen anders, als da drinnen im Kerngehäuse der Gesellschaft?

Das Webgift ist weg. Die Alltagsbanalitäten, die das Menschsein so mit sich bringen fehlen. Keine Formalitäten.

Konzentration auf das Wesentliche. Essen, schlafen, vorankommen.

Es war nicht leicht, mich drei Monate loszureißen und aus dem Alltagsleben auszusteigen. Diesmal war die Hürde besonders hoch. Den schönen Garten nicht wachsen zu sehen. Das Künstleratelier zurückzulassen, die Lieben nicht in ihrem Alltagsleben unterstützen zu können. Beinahe hätte ich es nicht geschafft.

Mit zunehmendem Alter wird es immer schwieriger, sich loszueisen. Das ist meine Erfahrung. Ich weiß nicht, ob sie allgemein gilt.

Handele jetzt.

Warum geht es mir hier und jetzt, draußen, gut und dort damals, drinnen, nicht? Das ist die Frage, die in mir brennt.

Und wie kann ich das, was ich hier und jetzt habe, was mir da drinnen offenbar fehlt, retten und mitnehmen?