Tag 22 | Im Land der Seen

Heute sind Irgendlink und Ray in Växjö gelandet. Die heutige Ungefähr-Strecke gibt es hier → klicken.

Obwohl jeder Tag dem anderen ähnelt, ist doch jeder Tag anders.

Beim Twitterlesen merke ich es am besten:

Und jetzt? Ob die beiden heute etwas anderes als Pasta kochen? Wo doch Reis und Couscous als Alternativen aufwarten?

Das perfekte Rund allen Stillstands – #AnsKap

Es gibt nur noch das graue Band, das niemals endet. Straße, Straße, Straße. Dahinter ist Wald, Getreidefelder, ab und zu ein Farbtupfer eines rot bemalten Hauses. Die Gegend ist unendlich ländlich.

Nach der Hitze, vor ein paar Tagen weht ein kräftiger Westwind, der uns manchmal ausbremst, oft von der Seite nervt und die vollbepackten Räder hin und her schaukelt. Manchmal kommt er auch von hinten. Je nachdem, in welche Richtung der Weg gerade führt.

Wir folgen den grünen Sverige Leden Radwegeschildern über kaum befahrene Sträßchen. Rays Straßenkarte zeigt, dass wir zwischen zwei Seen nördlich radeln.

Es passiert … nichts.

Alle zehn Kilometer stoppe ich, um die obligatorischen Streckenfotos für die Kunststraße zu fotografieren.

Da, ein Café. Neben einem Steinkreis. Geschlossen.

Nichts passiert.

Wir radeln.

Sehenswürdigkeiten sind mit dem internationalen Symbol für Sehenswürdigkeiten ausgeschildert. Ein Quadrat mit verschlungenen Ecken.

Ein Grab. Uralt. 150 Meter rechts. Ein Naturreservat ein Kilometer links.

Nichts passiert. Die Silhouette der Findlinge auf dem Grabhügel liegt träge wie seit Jahrtausenden vorm Horizont.

Wolken ziehen über uns hinweg. Wie Buckelwalherden.

Voranschleppen. Der Wind steht wieder mal ungünstig. Oder ist es die Strecke, die sich nach Westen biegt? Egal wir ächtzen gen Alvesta.

Das Interessante an diesen Wetterverhältnissen ist, dass es im einen Moment nach Wolkenbruch und Weltuntergang aussehen kann und gleich darauf sticht Sonne aus unbeschreiblich klarem Blau.

In Alvesta fragt sich Ray nach Zugverbindungen durch. Am 15. Juli muss er wieder in Kopenhagen sein, um seinen Rückflug nach Edinburgh zu erreichen.

Entgegen den vagen Infos aus dem Internet, dass Radel und Zug in Schweden nicht geht, scheint es sehr wohl möglich, ein Fahrrad mitzunehmen. Es kostet aber ein bisschen.

Nichts passiert.

Ein zutraulicher Vogel setzt sich auf die Lehne meiner Bank und starrt mich an. Ein krähenähnlicher, hungriger Winzling. Ein Schluckspecht auf der Bank gegenüber fragt mich nach dem Woher und Wohin aus. Brachial-englisch-schwedisch-deutsch. Der Wind weht die Fahrräder zweimal um. Nichts ist passiert. Zum Glück.

Raus aus Alvesta dämmert mir langsam, warum QQlka und ich 1995 das Nordkap nicht erreichten. Es war gar nicht das Wetter im Norden, die Kälte, die uns letztlich ausknockten. Es war dieser Mangel an Input, an Zwischenzielen, an Seelenfutter.

Die Kälte und der Regen waren nur ein Symptom, deren Ursache – für einen im engen Deutschland lebenden – die Weite war. Um es mal so auszudrücken.

Nichts passiert. Dann fahren unser Nachbarn vom Zeltplatz Kärrasand fröhlich hupend an uns vorbei. Eine uralte Trötenhupe haben sie in ihrem Lotus Nachbau installiert. Genau wie wir sind sie mit dem Auto auf Gutwetter angewiesen. Das Verdeck und die Windschutzscheibe haben sie zu Hause gelassen in Vingåker. Bei Örebro.

Hatte ich vor ein paar Tagen nicht erstmals das Gefühl, dass ich es tatsächlich schaffen kann bis ans Kap? Nun sieht es wieder ganz anders aus. Fast wie das Wetter, schlägt die Stimmung um. Was, wenn ich letztlich alleine bin, die letzten 1700 Kilometer durch noch viel mehr Nichts radeln muss, als jetzt schon?

Wieder einmal spüre ich, wie die Kräfte, die ich investiere, um etwas zu erreichen, ebenso große Gegenkräfte in meinem Innern erzeugen. Fast schon yin-yangisch schmiegen sie sich embryonal aneinander und bilden das perfekte Rund des Stillstands.

Aber vielleicht ist das ja genau das Ziel meiner Reise. Der Stillstand, der im Trubel allen Wollens endlich zum Frieden führt?

Das heutige Zeltlager auf einer frisch gemähten Wiese auf einer Waldlichtung direkt unter einem kaputten Hochsitz, findet sich bestimmt tausendmal in Schweden. Es könnte überall sein.

Ich könnte überall sein.

Tag 23 | Nordwärts

Die heutige Strecke war ganz schön herausfordernd, sagt Irgendlink am Telefon. Berge in Scheiben geschnitten.

Die ungefähre Strecke gibt es hier zu sehen → klick.

Die beiden sind schon vor 19 Uhr auf dem heutigen Lagerplatz angekommen und haben sich mit Bachwasser kalt geduscht. Solardusche-sei-Dank. Die kann ja auch kalt. :-)

Und hier nun wieder ein paar Tweets des Tages:

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Heute habe ich übrigens einen ersten Newsletter von unterwegs verschickt (hier klicken zum Lesen) für alle, die nicht regelmäßig mitradeln können/wollen.

Abonnieren kann man den Newsletter hier → klicken.

Tag 24 | Wir reparieren uns nach Jönköping – #ansKap

Speich- und Wolkenbruchtag bei Irgendlink und Ray! Heute waren die beiden von Regen und Pannen geplagt. Erst Rays Fronttasche zerfetzt, aus Überlastung, dann dessen Ständer, der kaputt geht. Zwischendurch müssen sich die beiden vor den Regenschauern erholen.

Dass sie so dennoch um die 50 km vorangekommen sind … nun, ich sag: Hut ab!

Richtung Jönköping radeln die beiden, in der Hoffnung, dort einen Radmechaniker zu finden, der Rays kaputten Ständer hinbekommt.

Aber die Stimmung, so lese ich, die Stimmung ist gut und Irgendlink hat die alte Kapschnitt-Strecke von vor 20 Jahren wiedergefunden.

Zum heutigen ungefähren Streckenlink bitte hier → klicken. Wie es dort ungefähr aussieht? Bitte dazu hier → klicken.

Ein paar Tweets gefällig?

Hier, jetzt, warm, trocken, süße Musik – #AnsKap

Dass nicht immer eitel Sonnenschein herrscht auf der Reise ans Nordkap war mir ja schon klar. Aber dass das Wetter so früh so ekelhaft einbricht und so nachhaltig trist und kalt bleibt, damit hätte ich nicht gerechnet. Mein England-Trauma von 2012 erwacht: ein Monat außergewöhnlich kalt und nass, von atlantischen Winden umtost. Ganz groß in dieser Erinnerung ist der Campingplatz in den Fenlands, nahe Boston war es glaube ich. Ein topfebener Platz, flach, wie eben die trockengelegten Fenlands sind. Dem Meer abgerungenes Land, das einst maßgeblich von Holländern gestaltet wurde, habe ich mir sagen lassen.

Der Campingplatz war fast leer. Niemand wollte bei dem Sauwetter campen. Geschweige denn zelten. Wenn man vom Kiesweg abbog auf die schöne, grüne Wiese, merkte man auch warum. Das war gar keine Wiese mehr. Das Fahrrad hinterließ quatschend eine Reifenspur in einem vollgesogener-Schwamm-nassen Stück Land. Jeder Schritt war deutlich sichtbar. Auf einem etwa zehn Zentimeter höheren Teil der Zeltplatzwiese baute ich das Zelt quasi schwimmend auf. Nie war ich froher über den 10.000 Millimeter wasserdichten Zeltboden, als damals in den Fenlands.

Nach dem Sonnenradeln der ersten Tage in Schonen, müssen wir nun „taktisch“ radeln. Müssen zwischen oft heftigen Regenschauern spießrutenfahren.Meist haben wir Glück, so wie gestern in Vetlanda. Gerade reiten wir in die Stadt ein, als es wie aus Eimern zu schütten beginnt. Wie Nacktschnecken kriechen Wolken am Himmel. Ein Café, die Rettung. Etwa zehn Männer an den Tischen schwatzen in den Morgen. Wir kaufen Sandwiches und halten uns an der hierzulande üblichen Kaffeeflatrate schadlos.

Kaffeeflatrate heißt, du kaufst einen und darfst dir am Buffet so oft nachschenken wie du willst. Wobei ich mir des So-oft-wie-du-willsts nicht ganz sicher bin. Vielleicht gibt es auch ein ungeschriebenes Limit?

Der Kaffee kommt, nicht wie bei uns daheim aus überkanditelten Kaffeeautomaten,sondern er wird handgefiltert in großen Kannen bereitgestellt.

Vor dem Café sorgen zwei durchnässte Harleyfahrer für aufsehen. Achja, und wir, mit unseren vollbepackten Fahrrädern, wir auch, bzw. die Fahrräder.

Handys laden. iDogmapostkarten verschicken. Mobiles Büro. Dazwischen schmatz-schmatz und schlürf. Wasserflaschen im WC- Waschbecken auffüllen.

Schwupp Sonne, blauer Himmel. 79 Kilometer bis Jönköping. Das liegt an einem der großen Seen. Dem Vätteren- (oder Vänneren?)sjön.

Dort führt der Smålandsleden hin. Unser Radweg. Und am See führt ein anderer Radweg nördlich.

Ich bin nicht mehr überzeugt von der Idee, tu‘ immer das, was dein Radwegschild dir sagt. Einerseits ist es sehr bequem, einfach den Schildern zu folgen und nicht an jeder Kreuzung die Karte oder das GPS herauskramen zu müssen, andererseits: wir fahren im Zick-Zack und das Streckenprofil ist geradezu barbarisch. Kurze nur wenige hundert Meter lange Steigungen im ersten oder zweiten Gang und dann genauso mit vierzig Sachen wieder abwärts. Als hätte man einen Alpenpass in Stücke geschnitten und ihn breitwürfig hier in Schweden verteilt.

Man findet keinen Rhythmus. Die Oberschenkel tun weh. Wollen nicht richtig warm werden. Dazu dieses ewige Katz‘ und Maus-Spiel mit den Nacktschneckenwolken. Regenkluft an, Regenkluft aus.

Just bei einem besonders starken Schutt können wir uns in einer Kirche unterstellen. Im Pfortenraum auf einer Holzbank. Drinnen Chorprobe, sopranesk baritonisch süß, das Herz erweichend, so dass ich auf eine der beiden graublauen Säulen des Portals starrend denke, hei, dieser eine Moment, hier, jetzt, warm, trocken, süße Musik, da draussen kalt eklig menschenunfreundlich, der ist doch die ganze Schinderei wert, oder?

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