Die Spinner die ich rief

Gerade schließen Alice und ich uns kurz über das Aki und Nora Mysterium. Die beiden stellen sich allen in der Herberge vor als Mutter und (japanischer) Sohn. Nora weigert sich vehement, deutsch zu reden. Einmal verplappert sie sich allerdings und antwortet Alice auf Frankfurter Dialekt. So setzen wir mühsam die Puzzlestücke zusammen. Sie reden über uns – machen sich in unserem Beisein lustig, dass wir etwa mit dem Bus fahren und dass wir Hightechpilger sind. Es ist diese Art Minderwertigkeitskomplex, aus der man gerne ein Gefühl der Überheblichkeit entwickelt, weil man sich sicher ist, man selbst gehe den einzig wahren Weg. Ich weiß wovon ich rede. Als junger Europenner habe ich ähnlich gedacht und gefühlt, obschon ich stets bereit war, meine Meinung zu revidieren, sie der Geschichte meines menschlichen Gegenübers anzupassen.

Fipptehler lasse ich jetzt frühmorgens mal drin im Text. Hast Luego a Formista.

Mein Weg so weiß

Pilgerherberge San Esteban in Castrojeriz. Zum ersten Mal seit Los Arcos wieder mit einer nennenswerten Anzahl von PilgerInnen in einer Herberge. Peter aus Deutschland, der den Weg schon zum 12. Mal läuft. Auf dem Rückweg nach Hause. 2 Spanierinnen, ein italienischer Hochleistungspilger, der in zehn Stunden von Burgos hierher gelaufen ist. Die zierliche Japanerin Misaka, die seit Le Puy läuft. Bloggerin Alice (Alice läuft den Camino). Umd natürlich meine schräge Puristenpilgerfamilie aus Rabe. Wie so oft muss ich mein Geplapper von gestern revidieren. Slovenin Martina erweißt sich als sehr patente Laufgenossin. Immer wieder begegnen wir einander in der Hochebene zwischen Rabe und Hontanas. Das ist für unser beider Psyche ziemlich wichtig. Zu wissen, dass man nicht alleine ist auf dem ewigen, meist geraden, verschneiten Weg. Mit den beiden anderen soll es bis zum Nachmittag dauern, dass ich sie wiedersehe und dass wir erste Worte wechseln. Gestern Abend konnte ich erste Geheimnisse erfahren, weil sie sich leise auf englisch unterhalten im dunklen Herbergszimmer. Er heißt Aki und er war mal ein halbes Jahr auf Wanderschaft, lausche ich mit. Den Rucksack hat er nie ausgepackt während dieser Zeit. Ihren Namen erfahre ich erst morgens, als ich das Gästebuch der Herberge lese: Nora. Ein bisschen erinnert mich diese Lauschszene an den Roman ‚Mein Herz so weiß‘ von Garcia Marquez (? oder ähnlich); in dem Buch gibt es eine einfühsame Belauschungszene in einem Hotel in Havanna. Was man durch Mithören alles über die Menschen erfährt. Nora gibt und gibt keine Ruhe; im fünf Minutentakt, immer wenn man fast eingeschlafen ist, erzählt sie mit Aki, den sie übrigens auch immer wieder weckt. Er kommt mir vor wie eine menschliche Klagemauer. Tagsüber folge ich den Spuren ihrer abgewetzten Schuhe durch den Schnee. Auch hier lese ich allmmögliches Zeug. Noch mindestens zwei weitere PilgerInnen vor uns. Alice und Masuki? Nora geht immer links von Aki.
Ab Hontanas führt der Camino abwärts. Es fängt am zu schneien, später Regen. Jemand hat seine Schuhe eulenspiegelesk über eine Stromleitung geworfen. auf der Rückseite der Verkehrsschilder sind Sprüche gemalt, die einem Mut machen, weiter zu laufen.
Die Herberge San Esteban wird zur Zeit von dem Mallorciner Christobal gemanagt. Er befindet sich mit seinen vier Hunden auf Rückpilgerschaft nach Llerida. In Santiago gab es einen Zeitungsbericht über ihn.

Ich bin diesertage etwas konfus und komme mit dem weiten Land nicht so gut zurecht. Es ist fast so, als ginge die Art der Pilgerschaft Hand in Hand mit der Art der Landschaft. Aus der Geborgenheit der navarrischen, bewaldeten Täler nun ausgeliefert in der winterkahlen Messieta. Vor dem Internetcafé in Castrojeriz hängt ein Schild‘ ‚Santiago 437 km‘. Morgens passiere ich eine ‚Area 469‘. In der garstigen Ebene kommt man gut voran.

Abwärts nach Hontanas
Ortseingang Castrojeriz
Am Abend ein Streifen Sonne in Castrojeriz. 5 Grad

Tag 12 und Tag 13 – die Etappen

Hier findet ihr die Routenlinks der letzten beiden Tage:

A-B: Von Villafranca Montes de Oca  nach Rabé de las Calzadas, davon bis Burgos per Bus

B-C: Von Rabé de las Calzadas nach Castrojeriz

aus einer SMS um 14:03:
„… nun bei den Ruinen von San Anton … noch 4km weiter …“

aus einer SMS  um 16:15:
„Castorjeriz. Sind wieder Pilger im Weg. Zu zehnt ca. in der Herberge. Die seltsamen Deutschen tauen langsam auf …“

————————————-

lieb grüßt Sofasophia

Jenseits von Burgos

Diese Pilgerpuristen vor Ort. Sie machen mich mich ganz klein fühlen. Die Hauswartin der Herberge von Rabe de Las Calzadas hat den Kaminofen eingeschürt. Sie wird mir um halb acht ein Abendesssen kochen. Es sind noch drei weitere Pilger hier: eine junge Slovenin, die vor zwei Monaten in Vezelay losgelaufen ist und ein deutsches Paar, das ich schon in Pamplona getroffen habe. Dass die beiden Deutsche sind, erfahre ich erst vom Besitzer der Bar, von dem ich mir im strömenden Regen um drei Uhr die Herberge habe aufschließen lassen.
Der Tag lief irgenwie total quer. Am Morgen offerierte uns der Hotelbesitzer in Villafranca, dass es unmöglich sei, den Kilometer bis zum 1110 Meter hohen Pass in den Montes de Orca hinauf zu steigen. In der Nacht hatte es geschneit und nun lag dichter Nebel über dem Pueblo. Oben in den Bergen sehe man die Hand vor Augen nicht, erzählt uns der Patron. Er selbst habe sich dort oben schon verirrt und er kenne jeden Stein. Töng beschließt, die Landstraße zu nehmen, was aber auch keine gute Idee ist, da der Seitenstreifen gerade mal 1-2 m breit ist und die Schwerlaster an einem vorbei donnern. Thomas lässt seinen Hund entscheiden (in jeder Hand einen Zettel mit den Möglichkeiten, der Hund tippt mit der Schnauze auf eine Hand). Sardi will über den Pass. Als Bergbewohner kennt Thomas die Gefahr, die bei Nebel am Berg droht. So finde ich ihn bei der Bushaltestelle wieder. Unklar, ob der Hund in den Bus darf. 20 Minuten warten an der Nationalstraße. 3200 Tonnen Schwerlastverkehr donnern an uns vorüber (80 40Tonner). Eine Frau erzählt uns, dass es viele Tote gibt gerade auf dem Stück um Villafranca. Kurz vor Abfahrt gesellt sich der dicke Bettler von Gestern zu uns, schiebt seine Kinderwagen durch den Schnee. Er kommt nicht aus Richtung Herberge. Bei der Buhaltestelle bleibt er stehen und brabbelt unverständliches Zeug. Selbst für spanische Ohren. Es durchfährt mich, als ich seine speckige Jogginghose wahrnehme und die uralten Turnschihe, die der widrigen Witterung nicht das Geringste entgegen zu setzen haben.
Natürlich darf der Hund nicht in den Bus. Ich bin Egoist genug, mich vom Rudel zu trennen, löse für 2,20 € ein Ticket nach Burgos. Kaum Zeit für den Abschied und Thomas scheint ein bisschen sauer, dass ich nicht auf sein Angebot eingehe, gemeinsam ein Taxi zu nehmen.
Liebe Hundebesitzer, wenn Ihr dies lest: versucht nicht, Euren Hund mitzunehmen auf den Camino Frances. Zumindest im Winter, wenn man auf Herbergen angewiesen ist, ist das der pure Stress. Auch für das Tier- euren besten Freund. Die Menschen in Spanien haben eine ganz andere Einstellung zu Hunden, als wir in Deutschland. Wir sind es gewöhnt, unsere Hunde als vollwertige, gleichberechtigte Familienmitglieder zu behandeln. In vielen Haushalten ist der Hund sogar im Status des Familienoberhaupts. In Spanien ist ein Hund offenbar nur eine Sache, die, wenn sie Glück hat, halbwegs pfleglich behandelt wird. Oft fristen Hunde aber ein erbärmliches Jammerdasein im knöcheltiefen Schlamm eines einsamen Gehöfts, werden als lebende Alarmanlage missbraucht. Man kann ihre Stimmen aus Schuppen ohne Fenster hören jenseits der weiten Felder dieser Gegend. Entsprechend rigoros gehen Barbesitzer, Busfahrer, Hoteliers gegen Pilger mit Hund vor. Es ist ein 700 km langer Spießrutenlauf. Thomas hat mir von seiner Sorge erzählt, die ihn jeden ganzen Tag über begleitet: wo komme ich unter, wie vermeide ich Konflikte, wie nehme ich dem Hund die Angst vor den Schüssen der Jäger, die besonders am Wochenende die Gegend durchstreifen.
Auch ich bin jedesmal betroffen, wenn Sardi irgendwo abgewiesen wird. Die Nacht in Villafranca musste er im Hof des Hotels schlafen. Thomas hat ihm seinen Schlafsack überlassen.
Wie ich so im warmen Bus sitze, komme ich mir vor wie ein Verräter. Der Busfahrer fährt wie eine gesengte Sau. Auch hier hat es Gefahren. Wenn ich an Thomas Stelle wäre, wäre ich heute umgekehrt.
Aber vielleicht ist es ja so, dass jeder sein Kreuz tragen muss? Der Hund ist sein Kreuz. Und meins ist die Kunst, das Livebloggen, die sündhaft teure und schwere D300. Ich möchte nicht, dass mir das jemand abnimmt. In Burgos ecke ich beim Sicherheitspersonal des Busbahnhofs an, weil ich fotografiere. In der Kathedrale gerate ich in den nicht touristischen Teil und auch dort herrscht Fotoverbot. Ich gebe alle meine Münzen den Bettlern der Stadt. Männer im Kampfanzug beunruhigen mich. Ist etwa etwas mit dem weltweiten Terror im Bush? Ich kriege hier nix mit. Selbst das Wetter ist einerlei. Aber ich bin froh, dass es wärmer ist. Bei Minus Acht Grad auf Dauer müsste ich abbrechen. Ich stelle fest, dass ich den Weg auch nicht schaffen kann ohne die Vernunft. Burgos ist laut und der Platz vor der Kathedrale wird von 30 Arbeitern in Warnwesten neu gepflastert. Ich drücke den Kathedralenstempel in meinen Credencial und verlasse schnellstens die Stadt. Hässliche 12 km bis ins friedliche Rabe de Las Calzadas. Der Ort und die Herberge gefallen mir auf Anhieb. Nur meine Mitpilger sind eigenartig. Die slovenische Puristin, die selbst Handy und Internet ablehnt, rümpft die Nase, als ich ihr von den 36 Buskilometern erzähle. So als sei das Stilbruch. Sie findet die beiden Deutschen so wie ich sehr seltsam. Vorhin stehen sie mitten im Sechsbettzimmer und unterhalten sich in Gesten und Augen-Blicken. Meine Frage, ob sie Spanier sind und deshalb kein Wort aufkommt, ignorieren sie. Als ich ihnen in einer Mischung aus Französisch und Spanisch einen guten Apetit wünsche, blicken sie mich widerwillig an. Nun, da ich weiß, dass sie Deutsche sind, traue ich mich kaum, sie anzusprechen. Es scheint mir, als denken sie, der Camino gehöre ihnen allein. Auch die Slovenin. Ich fühle mich fremd und unakzeptiert in dieser Herberge. Hätte ich bloß das Rudel nicht verlassen.

Villafranca – die Welt gefriert

Eine Trutzburg. Das Summen der Zentralheizung geht durchs Haus. Über mir hängt ein Flachbildschirm, kaum hört man das Summen der N 120 durch die Doppelglasscheiben. Alles ist sauber, nichts stinkt, vielleicht sind die Wasserhähne vergoldet, aber wie gewohnt, funktioniert das Telefon auf diesem Zimmer nicht. Ich glaube, das ist ein Markenzeichen Spaniens, dass die Münzfernsprecher kaputt sind. Dass sich diese Sitte auch in Dreisternehotels fortsetzt ist mir neu.
Der Weg hierher war hart. Wie jeden Tag ist diese Etappe die anstrengendste und wie jede Nacht, ist diese Unterkunft die beste.
Die ersten 16 km ab Grañon laufe ich alleine. Minus acht Grad. Die absolute Mindesttemeratur, die ich mir vor Tagen erdacht habe, bei der ich mit dem, was ich dabei habe, laufen kann. 2 durchforene MounainbikePilger überholen mich. Nur unmerklich schneller. Sie müssen frieren wie bekloppt. Die Kollegen Thomas und Töng sind ein bisschen voraus. Auf einer umgekippten Jakobsweghinweistafel haben sie ein Herz in den Rauhreif geritzt. Sie wissen, dass ich solche Sachen fotografiere. Am Besten, wenn sie noch warm und frisch sind , wie etwa das „mal aux pieds“ der beiden Franzosen vorgestern. Die Räumfahrzeuge sind im Einsatz – prophylaktisch fächern sie Salz auf die Straße. Der Schwerlastverkehr surrt ungebremst. In einem Dorf blinkt ein Rotlichtclub, daneben der Truckerparkplatz, zwei Restaurants. Ist es das Dorf, das mir Trucker Jesus in Puente La Reina empfohlen hatte? Wie war das noch? Ich soll in das kleinere der beiden Restaurants gehen. Das ist das bessere. Eh egal. Beide sind um 10 Uhr noch zu. Ich laufe viel zu schnell. Spüre meinen Prolaps geplagten Rücken nicht mehr, Kälte kriecht das Steißbein hoch bis zum vierten Lendenwirbel. So gerate ich in Panik, dass der Rücken durch die Kälte in Mitleidenschaft gerät. Eine einsame Stelle weit weg von der Landstraße, an der ich nicht mehr weiter laufen kann. So wie in dem Traum letzte Nacht. Erstmals erinnere ich mich an einen Traum. Oder werde ich nur verrückt? Ohne Glaube kannst du diesen Weg nicht schaffen, denke ich. Ich fabuliere an einem Blogartikel, in dem ich die Kunst als Glaubensform hochleben lasse und sie auf einen ähnlichen Status hebe, wie das Hilfskonstrukt Gott in allen Religionen dieser Erde. Merke, dass die Kunst bei weitem nicht den Ansprüchen an einen echten Glauben genügt. Was mich nur noch besorgter macht. Viel besser tut es mir, den letzten Pullover aus dem Rucksack zu kramen, eine Art Vernunft, die fast schon zu spät kommt, ihn um die Lenden zu wickeln, schon bald spüre ich meinen Rücken wieder, drei Kilometer Zukunft Backbord voraus. Kann man einen Glauben entwickeln ohne einen Gott? Wäre die Zukunft eine vernünftige Basis? Die Hoffnung dass es immer weitergeht irgendwie. 10.000 Tonnen Schwerlast donnern über die N 120 zwischen Burgos und Logroño. Das letzte Stück bis Villafranca laufe ich mit Thomas und Hund Sardi. Auch Töng ist immer mal wieder am Weg. Die Pilgerherberge ist direkt an der Nationalstraße. Ein 120 Kilo dicker, völlig verwirrter, faselnder Bettler sitzt auf einer Steinbank vor der Tür. Die fettigsten Haare des Universums. Er hat zwei Kinderwagen, auf die er seine Habe gepackt hat. LKW donnern 2 m entfernt vorbei. Weil ein Zettel an der geschlossenen Herbergstür klebt mit der Adresse einer Bar, laufen wir dahin, um eine Information zu kriegen. Dunkles, Zigarren stinkendes Loch. Der Wirt hat eine schreckliche Hasenscharte. Es gibt Probleme mit dem Hund und für den Moment fühlen wir uns wie Luft. Alles. Nur nicht diesen dunklen Kerker hier und die vom Winddruck der 40Tonner vibrierende Herberge an drr Hauptstraße.
Oberhalb der Kirche steht ein Schloss ähnliches Gebäude, in dem es neben einer Bar auch ein Hotel gibt, Wifi, hohe Flure, an den Wänden hängen Schwerter und Schilde und alte Kampfbogen, Sofas, Leseecken. Sofort quartieren wir uns in einem Dreibettzimmer ein.
Später in der Badewanne frage ich mich, ob der dicke Bettler vor der Herberge je wieder in einer Badewanne liegen wird und ob er den Winter überlebt. Für ihn ist der Glaube an Gott besser, als an die Zukunft.