Diese Pilgerpuristen vor Ort. Sie machen mich mich ganz klein fühlen. Die Hauswartin der Herberge von Rabe de Las Calzadas hat den Kaminofen eingeschürt. Sie wird mir um halb acht ein Abendesssen kochen. Es sind noch drei weitere Pilger hier: eine junge Slovenin, die vor zwei Monaten in Vezelay losgelaufen ist und ein deutsches Paar, das ich schon in Pamplona getroffen habe. Dass die beiden Deutsche sind, erfahre ich erst vom Besitzer der Bar, von dem ich mir im strömenden Regen um drei Uhr die Herberge habe aufschließen lassen.
Der Tag lief irgenwie total quer. Am Morgen offerierte uns der Hotelbesitzer in Villafranca, dass es unmöglich sei, den Kilometer bis zum 1110 Meter hohen Pass in den Montes de Orca hinauf zu steigen. In der Nacht hatte es geschneit und nun lag dichter Nebel über dem Pueblo. Oben in den Bergen sehe man die Hand vor Augen nicht, erzählt uns der Patron. Er selbst habe sich dort oben schon verirrt und er kenne jeden Stein. Töng beschließt, die Landstraße zu nehmen, was aber auch keine gute Idee ist, da der Seitenstreifen gerade mal 1-2 m breit ist und die Schwerlaster an einem vorbei donnern. Thomas lässt seinen Hund entscheiden (in jeder Hand einen Zettel mit den Möglichkeiten, der Hund tippt mit der Schnauze auf eine Hand). Sardi will über den Pass. Als Bergbewohner kennt Thomas die Gefahr, die bei Nebel am Berg droht. So finde ich ihn bei der Bushaltestelle wieder. Unklar, ob der Hund in den Bus darf. 20 Minuten warten an der Nationalstraße. 3200 Tonnen Schwerlastverkehr donnern an uns vorüber (80 40Tonner). Eine Frau erzählt uns, dass es viele Tote gibt gerade auf dem Stück um Villafranca. Kurz vor Abfahrt gesellt sich der dicke Bettler von Gestern zu uns, schiebt seine Kinderwagen durch den Schnee. Er kommt nicht aus Richtung Herberge. Bei der Buhaltestelle bleibt er stehen und brabbelt unverständliches Zeug. Selbst für spanische Ohren. Es durchfährt mich, als ich seine speckige Jogginghose wahrnehme und die uralten Turnschihe, die der widrigen Witterung nicht das Geringste entgegen zu setzen haben.
Natürlich darf der Hund nicht in den Bus. Ich bin Egoist genug, mich vom Rudel zu trennen, löse für 2,20 € ein Ticket nach Burgos. Kaum Zeit für den Abschied und Thomas scheint ein bisschen sauer, dass ich nicht auf sein Angebot eingehe, gemeinsam ein Taxi zu nehmen.
Liebe Hundebesitzer, wenn Ihr dies lest: versucht nicht, Euren Hund mitzunehmen auf den Camino Frances. Zumindest im Winter, wenn man auf Herbergen angewiesen ist, ist das der pure Stress. Auch für das Tier- euren besten Freund. Die Menschen in Spanien haben eine ganz andere Einstellung zu Hunden, als wir in Deutschland. Wir sind es gewöhnt, unsere Hunde als vollwertige, gleichberechtigte Familienmitglieder zu behandeln. In vielen Haushalten ist der Hund sogar im Status des Familienoberhaupts. In Spanien ist ein Hund offenbar nur eine Sache, die, wenn sie Glück hat, halbwegs pfleglich behandelt wird. Oft fristen Hunde aber ein erbärmliches Jammerdasein im knöcheltiefen Schlamm eines einsamen Gehöfts, werden als lebende Alarmanlage missbraucht. Man kann ihre Stimmen aus Schuppen ohne Fenster hören jenseits der weiten Felder dieser Gegend. Entsprechend rigoros gehen Barbesitzer, Busfahrer, Hoteliers gegen Pilger mit Hund vor. Es ist ein 700 km langer Spießrutenlauf. Thomas hat mir von seiner Sorge erzählt, die ihn jeden ganzen Tag über begleitet: wo komme ich unter, wie vermeide ich Konflikte, wie nehme ich dem Hund die Angst vor den Schüssen der Jäger, die besonders am Wochenende die Gegend durchstreifen.
Auch ich bin jedesmal betroffen, wenn Sardi irgendwo abgewiesen wird. Die Nacht in Villafranca musste er im Hof des Hotels schlafen. Thomas hat ihm seinen Schlafsack überlassen.
Wie ich so im warmen Bus sitze, komme ich mir vor wie ein Verräter. Der Busfahrer fährt wie eine gesengte Sau. Auch hier hat es Gefahren. Wenn ich an Thomas Stelle wäre, wäre ich heute umgekehrt.
Aber vielleicht ist es ja so, dass jeder sein Kreuz tragen muss? Der Hund ist sein Kreuz. Und meins ist die Kunst, das Livebloggen, die sündhaft teure und schwere D300. Ich möchte nicht, dass mir das jemand abnimmt. In Burgos ecke ich beim Sicherheitspersonal des Busbahnhofs an, weil ich fotografiere. In der Kathedrale gerate ich in den nicht touristischen Teil und auch dort herrscht Fotoverbot. Ich gebe alle meine Münzen den Bettlern der Stadt. Männer im Kampfanzug beunruhigen mich. Ist etwa etwas mit dem weltweiten Terror im Bush? Ich kriege hier nix mit. Selbst das Wetter ist einerlei. Aber ich bin froh, dass es wärmer ist. Bei Minus Acht Grad auf Dauer müsste ich abbrechen. Ich stelle fest, dass ich den Weg auch nicht schaffen kann ohne die Vernunft. Burgos ist laut und der Platz vor der Kathedrale wird von 30 Arbeitern in Warnwesten neu gepflastert. Ich drücke den Kathedralenstempel in meinen Credencial und verlasse schnellstens die Stadt. Hässliche 12 km bis ins friedliche Rabe de Las Calzadas. Der Ort und die Herberge gefallen mir auf Anhieb. Nur meine Mitpilger sind eigenartig. Die slovenische Puristin, die selbst Handy und Internet ablehnt, rümpft die Nase, als ich ihr von den 36 Buskilometern erzähle. So als sei das Stilbruch. Sie findet die beiden Deutschen so wie ich sehr seltsam. Vorhin stehen sie mitten im Sechsbettzimmer und unterhalten sich in Gesten und Augen-Blicken. Meine Frage, ob sie Spanier sind und deshalb kein Wort aufkommt, ignorieren sie. Als ich ihnen in einer Mischung aus Französisch und Spanisch einen guten Apetit wünsche, blicken sie mich widerwillig an. Nun, da ich weiß, dass sie Deutsche sind, traue ich mich kaum, sie anzusprechen. Es scheint mir, als denken sie, der Camino gehöre ihnen allein. Auch die Slovenin. Ich fühle mich fremd und unakzeptiert in dieser Herberge. Hätte ich bloß das Rudel nicht verlassen.