Für den Betonwissenschaftler ist der Ausbreitversuch ein gutes Mittel, um die Güte von Frischbeton zu testen. Man benötigt dafür eine genormte Menge frisch gemischten Betons, der auf ein Rüttelbrett gestoßen wird wie etwa ein Pudding, den man aus der Form kippt. Dann wird das Brett, auf dem der nasse Beton zu liegen kommt, in einer ebenfalls genormten Weise gerüttelt. Verteilt sich der Beton zu stark, ist er zu nass, bleibt er in seiner Form, ist er zu trocken. Der Betonwissenschaftler erhält mit dieser Methode ein gutes Werkzeug, um Schäden am Betonbauteil, etwa einem Brückenpfeiler zu vermeiden.
Der Ausbreitversuch für Beton lässt sich eins zu eins auf die menschliche Psyche übertragen.
Ich glaube, dass jeder Teil des Jakobswegs für den Pilger einen ganz bestimmten Sinn hat und dass die Streckenführung eine ausgeklügelte, ja genormte Methode ist, den Bußfertigen seinem Ziel der Erkenntnis näher zu bringen. Kein Reiseveranstalter würde eine Outdoor-Wanderstrecke tagelang durch die Mesieta führen, die dem zahlenden, abenteuerlustigen Kunden nichts als Langeweile und Verdruss bietet.
Wir Pilger sind aber keine Abenteuertouristen und unsere Reise führt auch nicht unbedingt durch die echte Welt. Somit ist der Weg nur eine ausgeklügelte Hilfskonstruktion, um die Konsistenz unserer Seelen zu testen. Wir sind wie Frischbeton auf einer Rüttelplatte.
„Pensar“ leite ich das Wort für ‚denken‘ vom französischen ‚penser‘ ab und treffe offenbar voll ins Schwarze, denn Rose lacht und gibt mir zu verstehen, ja genau deswegen sei sie auf dem Weg. Mit Händen und Füßen und Satzfetzen verständigen klappt gut. So laufen wir in Terradillo ein. Das Dorf liegt scheinbar mitten im Nichts. In der Pilgerherberge, die es schon seit über 20 Jahren gibt, hängt ein Luftbild, das im Frühling gemacht ist. Es zeigt eine ganz andere Atmosphäre, als wir sie erleben. Ein riesiger grauer Hund, der mir bis untrr den Rucksack reicht, begleitet uns bis zur Herberge. Er ist etwas aufdringlich und nimmt alles ins Maul, was nur geht; meine Hand zum Beispiel, die Trinkflasche eines wuchtigen spanischen Neupilgers, der erst gestern zu uns gestoßen ist, Rosas Wanderstöcke. Als wir den Hof der Herberge betreten, fliehen alle Katzen auf den höchsten Baum.
Die Herberge besteht aus mehreren Häusern, einem Restaurant, einem winzigen Lebensmittelladen und dem dem beheizten (!) Herbergsgebäude. Sieben Euro, Fünferzimmer, keine Etagenbetten, sauber.
Nach solchen Tagen, an denen sich die Seelen der Pilger über der Mesieta ausgebreitet haben, Erholung pur.
Ich habe nun aufgehört, die Tage zu zählen, die es dauert, bis wir in eine abwechslungsreichere Gegend kommen. Auch habe ich auf der letzten Etappe vergessen, das Moschelbachtal zu installieren zu eigenartig war die Nebeletappe. Sie hat jegliche Art Gegend weggezaubert. Eigentlich bräuchte ich überhaupt keine Gegenden. Ich könnte frohen Mutes durchs Nichts laufen. Geliebte Sofasophia hat mich mal gefragt, wie ich mich wohl verändere auf dieser Reise und als was oder wer ich zurückkehre.
Ich verändere mich nicht. Ich werde nur stärker.