Tag 7 – Tagesstrecke und Nachtlager

Ein weiterer bunter, heißer, kreativer Tag ist vollbracht.

Heute hat Irgendlink Ulm durchradelt und bei Elchingen sein Zelt aufgebaut. Er wünscht euch allen eine gute Nacht.

Die ungefähre Tagesstrecke findet ihr, wenn ihr hier draufklickt: Streckenlink.

Diese Bilder sind Screenshots von Irgendlinks iPhone-Display und zeigen Aufnahmen seiner Bilderjagd durch Ulm. Das eine oder andere Bild wird er uns sicher noch „in groß“ zeigen. :-)

Übrigens: Morgen gibts ein weiteres Bild von Irgendlink in der Serie „Heimatlos“ im pixartix-Bilderblog.

Beuron, Sigmaringen, Mengen, Riedlingen – nun doch noch!

[Nun also doch noch jener Artikel, der heute aus unerfindlichen Gründen nicht gebloggt werden konnte. Irgendlink hat ihn mir in die Homebase gemailt, damit ich ihn via PC hochladen kann. Chronologisch korrekt wäre er heute Vormittag erschienen.]

Korrigiert: Beuron. Klosterdorf, oder eher Dorf, das ums Kloster herum gebaut wurde? Gegen zehn Uhr erreiche ich am gestrigen Tag den großen Parkplatz unterhalb der Klostermauern, der sich unter Glockengebimmel schnell zu füllen beginnt. Eine lebensgroße Pilgerstatue aus Stahl steht auf dem Fußweg. Seine Tasche wurde von Passanten mit Müll gefüllt. Dennoch erstarrt er stolz im Wandern auf das Kloster zu. Am Radweg steht ein Hinweisschild auf die Klostermetzgerei. Das ganze Dorf riecht nach gesalzenem Fleischkäsweck und Schnitzelbrötchen. Gegenüber der Pforte zum Museum sitzt ein Paar mit drei Kindern und entsprechenden Fahrradgespannen. Das kleinste Kind hängt an der Mutterbrust. Das bringt mich auf die Idee, Bilder von Radelnden zu machen, eine ganze Serie, oder wenigstens von ihren Gefährten, Liegeräder, alte Räder, neue Räder, Fähnchen aller Nationen am Gepäckträger. Und schon stelle ich mir eine Sechzehnertafel mit Radreisenden fürs Memory of Mankind-Archiv vor. Vollstreckermentalität. Das zeichnet vielleicht den Künstler aus, dass er eine Idee, sobald sie keimt, auch schon umzusetzen beginnt?

Manche Ideen wachsen langsam, andere Ideen gehen gar nicht erst auf. Kaum zu glauben, dass ich erst vor einem Monat die Idee zu dieser Livereise ins Memory of Mankind hatte. Nun gut. Mal sehen, wie sich die Radlerporträts entwickeln. Eigentlich ist es mir zu stressig, die Leute anzuquatschen und sie zu überreden, sich für eine Tafel porträtieren zu lassen. Sechzehn Leute, sechzehn Lebensgeschichten, die es sicher Wert sind, angehört zu werden, sechzehnmal erklären, he, du kommst auf eine Kachel in einem Salzberg in Österreich. Habe ich dafür die Zeit?

Bis Sigmaringen folgt der Donauradweg meist auf gut geschotterten Waldwegen durch ein uriges Tal mit schneeweißen Felsen, Burgen obendrauf. Am Fluss findet man immer wieder Kunst von verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern – ich habe gestern schon das sehr fragile Werk meines Freundes Hundefänger gezeigt. In Sigmaringen frage ich mich zum alten Schlachthof durch, an dessen Frontwand weitere seiner vergänglichen, schönen Werke prangen. Im Schlachthof sind die Ateliers offen und werden die Arbeiten verschiedener Künstlerinnen und Künstler gezeigt. Beeindruckend eine Installation von Torfballen im Innenhof, die sich mit der Vergänglichkeit des menschlichen Körpers beschäftigt.

Unter herannahenden Gewittern fotografiere ich die Stadt im Lomostyle, einfach draufhalten mit dem Smartphone, die App Hipstamatic dabei auf Zufall gestellt, so dass nach dem kleinen Schütteln vor jeder Aufnahme eine andere Filter-Linse-Kombination zum Einsatz kommt. Nachdem sich die Gewitter verzogen haben, geht es weiter rüber nach Mengen. Die Stadt ist zwar wunderschön, nervt aber wegen des Lärms. Das Schneiden schlecht gewarteter Bremsen an einem weißen Kombi gepaart mit dem Röhren des Auspuffs eines Zweitaktmotorrads, garniert mit einem pechschwarzen BMW voller Ellenbogen, die allesamt aus den offenen Fenstern ragen und Checkermusik mit wuchtigen Bässen.

Heilfroh, die Stadt schnell verlassen zu können, radele ich bis kurz vor Riedlingen, wo mir ein seltsamer Mann den Weg erklärt (obwohl das am Donauradweg nicht nötig ist). Er war einst Lehrer, gibt mir noch gute Tipps für Lagerplätze an einem ‚Seele‘, also einem kleinen See. Zu guter Letzt sagt er, jenseits der Iller beginnt der Balkan, damit habe er früher immer seine Schüler ein bisschen gefoppt und nun weiß ich auch, dass Ulm an der Iller liegt. Abends am Telefon klärt mich SoSo auf, dass ich laut Zeitplan eigentlich schon in Donauwörth wäre, und dass ich meinem Plan um hundert Kilometer hinterher hinke. Dabei habe ich noch nichtmal so richtig das Hochgebirge zu schmecken gekriegt.

Kurz vor Riedlingen baue ich das Zelt auf einer frisch gemähten Wiese auf.

Dein Lehrer

Gefunden auf einer Parkbank am Donauradweg zwischen Öpfingen und Ersingen.

Spruch: Dein Lehrer ist ein Staubsauger

Die Dog Catch City Collage

Eine wilde Fotosession ‚on the fly‘ in Sigmaringen. Zum Einsatz kamen Hipstamatic im Shake Random Modus und Turbocollage zum monitieren der Einzelbilder. Reisetag sechs.

Bildcollage Sigmaringen Schnappschüsse im Lomostil

Skip Riedlingen – go Daugendorf

Das Kunststraßenkonzept hat eine ganz eigene Botschaft. Entwickelt in einer Zeit, in der der Protagonist, moi-même, sich mal eben ins Auto zu setzen pflegte und rüberzujagen nach Paris, Eifelturm anstarren, Louvre, Montmartre, pi pa po, setzt es diesem Wahn, die Welt aus Besonderen bestehen lassen zu wollen, dem man hinterherhechelt wie ein Hund, einen puristischen Kontrapunkt. Das Kunststraßenkonzept lässt schlicht den Weg hochleben, der meist lästig, am besten per Zug durchjagt oder überflogen zum Stiefkind des zeitgenössischen Reisens wird.

Wir rennen, rennen, rennen, in unseren Hochleistungsjobs genauso, wie in den Leistungsferien. Schließlich wollen wir nach der Reise ja etwas vorzuweisen haben. Eine Eins für den Eifelturm, den Schiefen Turm von Pisa, die Freiheitsstatue, Pyramiden, Nilkreuzfahrt und ein Bad in den heißen Bächen von Landmannalauga. Dass zwischen all den zu absolvierenden Abschlussprüfungen des modernen Tourismus auch der Weg liegt, nicht unerheblich in einem Verbindediepunkte-Spiel, ist eher lästig.

Die scheinbar wahllose Fotografie alle zehn Kilometer in Reiserichtung, die den Kunststraßen ihre Struktur gibt, will diesem Leistungsreisewahn entgegen wirken. Natürlich nehme ich in die Fotoserien auch das Schöne, das Sehenswerte und das Besondere auf, aber ohne die Mühsal des Weges, würde eine solche Serie verkommen zu einem lieblosen Gemenge an Besonderem, wie es unästhetisch in jedem Familienalbum zu finden ist.

Zehn Minuten nach dem Aufbruch überholt mich kurz vor Riedlingen ein französisches Paar aus Dijon. Er zieht einen Anhänger, auf dem ein kleiner Mischlingshund sitzt. Wir schwätzen ein paar Kilometer weit durch flaches Wiesen- und Getreideland. Sie sind seit dreizehnten Juli unterwegs auf dem Weg nach Griechenland. Ein Jahr haben sie Zeit. Eine Auszeit mitten im Leben? So weit kommt es nicht, die Frage zu stellen. Bei Kilometer 480 mache ich die Streckenfotos, wir wünschen einander Bonne Route, sehen uns vielleicht wieder, schließlich schwimmen wir im gleichen Strom.

Riedlingen querab. Kleines Städtchen, Kirche dominant, Fachwerkhäuser. Da müsstste eigentlich einen Abstecher machen. Riedlingen ist so eine Art Eifelturm, wie sicher auch Mengen, wie auch das Schwarzwald-Freilichtmuseum im Kinzigtal, welches ich bei erbarmungsloser Mittagshitze einem Schläfchen unter einer alten Linde geopfert habe. Wie viel Besonderes habe ich links liegen lassen auf dieser Reise? Wie viel archivierenswertes ‚Material‘? Kann ich das verantworten, all die vielbeachteten Dinge, die die Menschheit und das Alltagsleben ausmachen, einfach meiner Unlust zu opfern?
Oder ist das Archivierungsziel meiner Reise nicht einfach die Reise selbst mit all ihren Serendipitäten? Eine zufällige Anordnung von Ereignissen, Bildern und Gedanken im Jahr 2013 unserer Zeitrechnung, im Jahr 12.000 nach der letzten Eiszeit.

Vierkommavier Kilometer hinter Riedlingen liegt das kleine Daugendorf auf einem Hügel abseits des Donauradwegs. Ich frage mich zum ‚Lädle‘ durch, wo mich die freundliche Besitzerin mit Frühstücksutensilien versorgt. Inklusive Kaffee. Einen Hocker stellt sie mir in den Schatten vor dem Schaufenster. Leise plätschert das Dorfleben. Omis mit Enkeln auf dem Weg zum Spielplatz. Nie käme ein Mensch auf die Idee, mit dem ICE eine Reise nach Daugendorf zu buchen. Hier gibt es nichts, außer Alltag. Ähem. Gerade belausche ich die dreiköpfige Familie, die zehn Meter rechts von mir im Schatten einer Scheune sitzt: mit dem Flieger sind sie dreizehntausend Kilometer bis hierher geflogen, um eine Brieffreundin zu besuchen. Warum spreched (richtig, spreched) sie so gut deutsch, fragt eine Passantin. Wir kommen aus einer deutschen Kolonie.
Morgen wollen sie weiter. Nach Bochum.

Nachtrag: ein paar Kilometer weiter steht am Radweg ein Schild mit der Aufschrift Dorfbrunnen, schlicht und unauffällig. Ich folge und lande am munter plätschernden Dorfbrunnen von Bechingen. Sonst scheint es hier nichts zu geben. Zumindest nichts, was sich eifelturmesque aufdrängt. Ich nässe T-Shirt und Kopftuch, um mich auf den alltäglichen Mr. Wet T-Shirt Contest vorzubereiten. Im Ohr eine hymnenähnliche Melodie des großartigen Animal Collective.