Fast wie Mallorca, spricht mich ein Mann an, während ich gerde den letzten Beitrag auf einer Bank außerhalb Munderkingens fertig geschrieben habe. Die Bluetoothtastatur auf den Knien, das Fon neben mir und eine Banane in der Hand, antworte ich scherzeshalber, das Eimersaufen fehlt. Aber der Kerl meint es ernst, nei, die Hitz. Schon klar. Und, schwupps, gerät er ins Erzählen, wie er vor langer Zeit einmal so töricht war, auf Mallorca eine Radeltour in die Berge zu machen, echt schön da, in der Mittagshitz, und die Einheimischen haben ihn ausgelacht, lagen alle in friedlicher Siesta im Schatten, jaja, Siesta machen die nicht umsonst, die wissen was von Hitze. Dann habe man ihn eingeladen zum köstlichsten Essen, das er je gegessen habe.
Der Smalltalk übers Radeln und das Wetter macht einen plötzlichen Schwenk und wir sind genau hier in der Gegend. Mit dem Kinn weist der Radler nach rechts den Hügel hinauf, die sind ja so korrupt, die Bullen hier, stellen sie sich vor, die haben mich auf dem Gehweg angehalten, im besten schwäbischen Akzent sagt er das, und dann den Samariter gespielt, dass es normal zwanzig Euro kostet, wenn man auf dem Gehweg radelt, aber sie drücken nochmal ein Auge zu. Immer näher rückt mein Freund, das Fahrrad zwischen den Beinen. Er trägt Gartenarbeitshandschuhe und eine Croupiersmütze, die er ab und zu abnimmt, sich den Schweiß von der Stirn wischt. Seine Eckzähne sehen so seltsam aus, dass ich ständig hinstarren muss – so wie er mir körperlich näherrückt, rücke ich seinem Mund mit den Augen näher. Ein Zahn ist dunkel und glänzt, als wäre er aus einem seltenen Metall, der andere gelb, aber das kann doch kein Gold sein.
Der Croupier hat noch mehr Bullengeschichten auf Lager. Nun weist er mit dem Kinn zur Bundesstraße, einen Kilometer weit auf den Hängen, dort haben sie ihn auch einmal dran gekriegt – weswegen, verschweigt er, sondern schwenkt zurück ins Dorf, wo sie ihn auf dem Rad mit Blaulich verfolgt haben und es deswegen zu einen Sturz gekommen sei, bei dem ihm ein Wirbel gequetscht wurde.
Mittlerweile steht er direkt vor mir. Wie zwei Kühe, die sich im Schatten des einzigen Baums auf der Wiese zusammendrängen sehen wir jetzt aus.
Ich beginne zu packen und es gelingt mir, ohne unhöflich zu sein, den Monolog zu unterbrechen. Kaum dass die vorigen Abschnitte des Livebuchs fertig sind, liefert mir mein redseliger Freund neuen Stoff. Wenn das so weiter geht …
In Munderkingen, drei Kilometer weiter, drücke ich mir um die Mittagszeit am Schaufenster eines Computerladens die Nase platt. Hinter mir plätschert der Stadtbrunnen. Überall im kleinen Städtchen sind zwei Meter große, bunt bemalte Störche aufgestellt. Das macht das ohnehin schon bunte Fachwerkbürgerhäuser-Stadtbild noch bunter. Die Läden sind allesamt bis vierzehn Uhr geschlossen. Auch Mittwochsnachmittags bleibt zumindest der kleine Computerladen traditionell zu. Im Dunkel erkenne ich nicht, ob es da drinnen ein Ladekabel fürs iPhones zu kaufen gibt. Ich muss vor Wochenende besser einen Ersatz finden wegen des Wackelkontakts im eigenen Equipement. Nicht auszudenken, wenn das Fon trocken fällt.
Gerade kommt ein Mann aus dem Wohneingang neben dem Laden. Der könnte doch wissen, ob die sowas verkaufen, vielleicht ist er sogar der Besitzer? Der Mann ist sich sicher, dass es das Gewünschte da drinnen nicht gibt und erklärt mir den Weg zum Mediamarkt in Ehingen: Hauptstaße bis zur Tankstelle, links und immer der Nase nach. Der Nase nach? Der Markt liegt in der Nähe einer Papierfabrik und deren Geruch muss man einfach nur folgen, sagt er verschmitzt. Wir kommen über das Woher und Wohin ins Gespräch und dass er noch immer nur mit GPS navigieren würde, obwohl er schon lange hier wohnt. Ursprünglich komme er aus Köln. In seinem Auto durchwühlt er schließlich das Handschuhfach auf der Suche nach einem iPhonekabel, er habe davon ja so viele, der Konzern ändere ja dauernd die Standards, so dass altes Equipement nicht zu neuem passe, kann aber leider keins finden. Er hätte es mir sogar geschenkt.
Ein paar Kilometer später finde ich in einem Edeka-Getränkemarkt ein Solarladegerät mit Akku und allen möglichen Adaptern, und da die Aussicht, in Ehingen durch Industriegebiete zu radeln, nicht sehr rosig ist, kaufe ich es kurzerhand auf die Gefahr hin, dass das ignorante Apple-Gerät den mitgelieferten Anschluss nicht akzeptiert. Einen weiteren Akku kann ich sowieso brauchen. Die exzessive Fotografiererei und das Vielschreiben und das Datenübermitteln fressen verdammt viel Strom. Glück. Das Ding ist kompatibel.
Die Einfahrt nach Ehingen ist alles andere als gastlich. Entlang einer Hauptstraße wird mir einmal mehr bewusst, wie wichtig der berühmte erste Eindruck doch ist. Wenn einem Lärm und Gestank die Laune vermiesen, erscheint die schönste Innenstadt in einem ganz anderen Licht, als wenn man durch lauschige Auen hinein geführt wird. Somit gerät Ehingen zum Schnellehingen. Kaum getraut und schon geschieden. Im Schnelldurchlauf mache ich eine Hipstafotoserie, duck und weg.
Ganz anders Ulm. Kilometerweit direkt an der Donau entlang mit einem kurzen Stück entlang der Bahnlinie, saugt einen die Stadt auf wie ein trockener Schwamm. Alles überragend das Münster, aber auch die reich verzierten Bürgerhäuser. Gegen zwanzig Uhr stehe ich auf dem Münsterplatz und bewundere, wie sich das warme Abendlicht in dem reich verzierten Bauwerk verliert. Welch ein Genuss. Schnelleinkauf im Nettomarkt – zwei Frauen am Tisch einer Eisdiele verwickeln mich in ein Gespräch und erzählen von der Gattin eines Freundes, die morgens um vier im Allgäu losgeradelt sei und um elf Uhr schon am Gardasee ankam. Hmm? Eine der beiden Damen macht ein Foto von mir und meinem spartanischen Abendessen. Von diesem mache ich ebenfalls ein Bild, das es heute bei Pixartix zu sehen gibt. Zum Thema heimatlos … :-)
Entlang des Flusses geht es raus aus Ulm. Überall auf den Wiesen lagern kleine Gruppen. Die Cliquen von Ulm. Shisharauchende Würfelspieljungs neben Kebabessenden älteren Paaren, schulklassenähnliche Teeniecluster gegenüber bärbeißigen Bettlern. Prollende Mittzwanziger unweit von Volleyballspielern usw. Ein leiser Gedanke an die Ewigkeit und dass das alles irgendwann vorbei sein könnte und wir einmal nicht mehr sind, macht mich ein bisschen sentimental.
Nach zehn Kilometern durch entweder bewaldetes Stechmückengebiet oder Wohnsiedlungen schiebe ich kurz vor Oberelchingen mein Radel eine Wiese hinauf und baue das Zelt sichtgeschützt hinter einer Hecke auf.
[Von Irgendlink an die Homebase gemailt, dort entfippthelert und publiziert]