Ausgerechnet im Radlerwonnemonat Juli wird am Tauernradweg vielerorts gearbeitet. Unvermittelt ist er gesperrt. Umleitungsschilder sind nur direkt am Umleitungsbeginn aufgestellt. Danach ist der arglose Tauernradwegtourist sich meist selbst überlassen. Südlich von Hallein lockert die Gegend auf. Man radelt nicht mehr direkt am kanalisierten Fluss, sondern durch Wiesen. Bis Kuchl sehr angenehme Steigung. Danach zweige ich links ab, um die Bundesstraße 166 zu umgehen. Wohl wissend, dass es nun happig wird. Aber soo happig? Zwölf dreizehn Prozent Steigung, vielleicht mehr und das ganze serpentinös auf etwa neunhundert Meter über dem Meer. Ich weiß nicht, wie viele Zweibrücker Kreuzberge das sind. Wenn ich mir jedoch vorstelle, ich würde zu Hause zehnmal den Kreuzberg, die steilste Straße der Stadt, hochradeln und wieder abrollen? Verrückt. Die Almgegend ist aber wunderschön und kaum ein Auto unterwegs. Noch abends erklimme ich den Pass bis Weitenau, schlage mein Zelt auf einem Wieschen neben einem Bauernhaus auf. Die Besitzerin bietet mir Trinkwasser an.
Der Morgen ist kühl. Das Zelt klatschnass. Die Sonne lässt hinter den Bergen auf sich warten. So packe ich alles ein und trockne die Sachen später auf einem kleinen Steg in der Nähe von Pichl. Aus einem Papierwerk kommen Zischlaute, gemischt mit Radiomusik, Alpenrock im Mix mit Werbung.
Zunächst meine ich die Schweizer Band Patent Ochsner herauszuhören, kann aber wohl nicht sein. SoSo erzählt mir am Telefon von einem österreichischen Pendent, das glaube ich von Goisern heißt, genau wie die Kurstadt hier in der Nähe.
Die Betriebsamkeit der Welt um acht Uhr früh. Wie unzertrennlich diese gesellschaftlichen Mischungen aus gut und böse sind, aus Bettler und Tourist, aus Überfluss und Mangel, zeigt auch dieser Fetzen Radio zwischen dem Zischen des Papierwerks, dem Rumoren der Gabelstapler, dem Wummern der Maschinen und dem Knechten der Menschen. Willst du Musik, musst du gleichzeitig auch Werbung in Kauf nehmen. Willst du cineastische Unterhaltung à la Hollywood, dann friss bitteschön auch die Werbepausen, Gratisapp gefällig? Tritt einen Teil deines ohnehin kleinen Smartphonebildschirms als Plakatwand ab. Wir rackern einen Großteil um und die Mittel zu beschaffen, die uns das Rackern erträglich machen. Am eigenen kleinen Beispiel ‚Kunstmaschine‘ erfahre ich das auf besondere Weise. Ich brauche viel Strom, um zu schreiben, zu fotografieren, Daten zu übermitteln, zu kommunizieren. Da ich den Strom per Muskelkraft erzeuge, muss ich ordentlich reintreten, um immer einen vollen Akku zu haben. So treibt mein eigenes Projekt mich immer weiter voran. Und je mehr ich kreativ sein will, je mehr Bilder ich bearbeiten möchte, desto mehr muss ich strampeln. Ich kann mir keinen Tag Stillstand leisten, genau wie die menschliche Konsumgütergesellschaft. Wenn wir plötzlich auf den dummen Gedanken kämen, nur noch das Nötigste zu kaufen, und den ganzen Schnickschnack, der uns per Werbung unter die Hirnrinde massiert wird, von heute auf morgen nicht mehr kaufen würden, wäre die Menschheit vielleicht am Ende? Hmm.
Habe ich nicht jahrelang in einer Firma gearbeitet, die nur unnötiges Zeug produziert hat? Dennoch hatte die Firma einen Sinn, gab drei vier armen Teufeln wie mir Arbeit. Gibt es nur dann Sinn, wenn man nicht zu weit denkt?
Genug jetzt. Ich komme ins Schwafeln.
Kurz vor Paß Geschütt muss ich schließlich doch auf die Bundesstraße. Ein Omnibus voller Chinesen mit polnischem Kennzeichen. LKW. Motorräder. Ab und zu kann ich auf die alte Passtraße ausweichen. Kurbele auf fast tausend Meter hoch und sause schließlich ein dreizehnprozentiges Gefälle hinab nach Gosau. Die Gebirgslandschaft ist exorbitant. Wie Zähne ragen die Felsen in die Höhe. Ich bin am Tennengebirge vorbei, oben auf dem Pass die Grenze zu Oberösterreich überschritten nun in der Dachsteinregion. Irgendwo habe ich auch ein Hinweisschild Watzmann gesehen. verflixt, der Berg ruft.
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