Mein siebenmilliardster Blogeintrag – Sie fragte. Aber was?

Das Hirnproblem wird beängstigender. Gestern früh einige Fäden, die ich schreiberisch bearbeiten wollte. Natürlich dieser nächtliche Blogartikel-Flow, bei dem es darum ging, die Inversionswetterlage in meinem Kamin mit einem Echte Kerle Survival Trip in Südwestrumänien in Einklang zu bringen, daraus eine Alltagsglosse zu basteln.

Manchmal habe ich druckreife Sätze im Kopf, ganze Passagen, vor allem nachts oder frühmorgens. Wenn ich sie nicht sofort aufschreibe, vergesse ich sie. Mit „Sie fragte“ sollte im Laufe des gestrigen Tages eine kleine Passage zum Thema Jakobsweg beginnen. Es war ziemlich wichtig. Aber ich habe vergessen, was sie fragte und somit ist der Text futsch.

Nun der unangenehme Zustand des Hirnzermarterns. Das macht überhaupt keinen Sinn. Ich hatte gestern nichts Besseres zu tun, als mich aufs Rad zu setzen, runter in die Stadt, Lichtfänger – bei dem Licht kann man gar nichts falsch machen, erzählte ich den Nachbarn der Nachbarn, die ich zufällig traf. Wir redeten über Halloween, das Wetter und dass es gerne noch eine Weile so bleiben könnte. Beide Kameras im Gepäck. Anfänglich fotografierte ich noch brav mit der D300. Diszipliniert über Lichtwerte nachdenkend, Tiefenschärfe und den ganzen Quatsch. Aber schon bald kam nur noch das iPhone zum Einsatz. Ich stoppte bei einer Ansammlung polnischer 40-Tonner auf dem größten Parkplatz der Stadt, fotografierte allmögliche Objekte an den Lastern, darunter und daneben. Die Vorhänge der Fahrerkabinen waren zugezogen und ich argwöhnte, dasss drinnen seit-ewigkeiten-unterwegse Fahrer ihre Pflichtpause machten. In dunklen Ecken nahm ich Schnappschüsse von Graffities mit. An der Tür eines Trafohhäuschens stand geschrieben „Du musst zuerst das richtige Lied singen“. Herrlicher Alltagsdadaismus – was ist ein Blogartikel anderes, als aus dem Zusammenhang gerissene Wortfetzen, die irgendein Hirn irgendwo auf dieser Welt ausspuckt und die den Zustand der Alltäglichkeit eines der vielen denkenden Wesen dieser Erde wiederspiegelt?

Just in diesem Moment wurde der siebenmilliardste Mensch geboren. Im Radio, erinnerte ich mich, berichtete man vor einigen Jahren über den Sechsmilliardsten, der offiziell irgendwo in Exjugoslawien geboren wurde, ein Bub. Heute lebt der arme Kerl in bitterer Armut. Eine Milliarde später trägt man Sorge, mehrere siebenmilliardste Menschen zu küren, einen in Indien, einen in Mexiko,  den USA, Norwegen usw. Soll nicht noch einmal passieren, dass ausgerechnet dieser besondere Mensch ein so schreckliches Schicksal erlebt und in Armut vegetiert. Einer von denen kann es schaffen! Derweil stelle ich mir vor, wie im zehntel Sekunden-Takt immer Menschen geboren werden, sterben, geboren werden, geboren, geboren und geboren und sterben und sterben und sterben und dass über eine gewisse Zeitspanne Diesertage die Menschenanzahl um die Siebenmilliardengrenze pendelt, mal drunter, mal drüber, und dass vielleicht tatsächlich einige Siebenmilliardenmenschen geboren werden, nicht nur einer. Während einer in einem schneeweißen Krankenhaus in Trondheim geboren wird, kommen in Somalia bei einem Gemetzel 359 Menschen um. Alles in der gleichen zehntel Sekunde. Siebenmilliarden minus 359 plus Zwillinge in Atlanta minus Hungersnot Massensterben auf einer abgelegenen Insel irgendwo plus ….

Die Statistik weiß etwas vom Kurvenglätten. Nur in der Statistik gibt es den Einen.

Denkmal, Knochen, Loch

Einmarsch der HeldInnen in Santiago.
Monte de Gozo. Oberhalb der Pilgerherberge, die aussieht, wie ein Campingplatz an der Adria, steht ein riesiges Monument, auf dem Johannes Paul II modelliert ist. Man sagt, wenn man den Monte de Gozo erreicht hat und hinunter schaut nach Santiago, kann man vor Rührung kaum weiter laufen. 800 km Leiden, Lachen, Hoffen entladen sich in einem einzigen Augenblick. Deshalb erwarte ich einen panoramesken Blick über Santiago und die Kathedrale gut sichtbar mitten drin.
Aber der Blick hat nichts Besonderes. Bebautes Land, von Straßen zerschnitten und von der Kathedrale keine Spur. Dunkle Wolken drängen von Westen. Vielleicht werden wir nicht trocken ankommen. Das Ortsschild von Santiago ist nur noch halb vorhanden. Kurz dahinter die Polizeiwache und ein etwa 12 Meter hohes Denkmal mit den Bronzen berühmter Pilger. Nochmal Johannes Paul, sowie der heilige Domingo. Die Camino AllStars, namentlich verewigt. Ich fotografiere die vier Seiten der Säule zwecks späterer Recherche und vielleicht, um die Happy Family digital hinein zu verhonepipeln. Wenn ich daheim am PC mal wieder Lust auf Quatsch habe.
Aus einem Restaurant schneit mir Mitpilgerin Alice entgegen. Mit ihren beiden brasilianischen Mit-Mitpilgerinnen. Großes Hallo, Küsschen hier, Küsschen da. So klackern sie vor mir her mit den Alu-Wanderstecken. Und die Beine unserer Regenhosen reiben rhythmisch – ff pf ff pf und kleck kleckkleck kleckeldikleck – Was für eine atemberaubende Einreise. Geräusche, Düfte, Stadthektik, enger und enger werdende Gassen bis wir, Carlos sei Dank nur 50 Meter bevor sich die Kathedrale aus der Enge schält für zwei Stunden in einem Restaurant unterkriechen, MjamMjam.
Pilgerspießrutenlauf: 3 Minuten vor der Messe will Roser unbedingt, dass wir durch die Pforte des Heiligen gehen, uns was wünschen, Andacht halten usw. Um dann durch die Pforte am südlichen Flügel zur Messe zu gehen, wo wir vom Pfarrer öffentlich als Pilger und Compostela Besitzer gewürdigt werden. Ein Weg von etwa 400 Metern labyrinthisch, auf ab, vorbei am Standbild des Heiligen, runter in die Krypta, Gebeine. Drei gebrechliche Muttchen vor uns, die wir in dem engen Keller nicht überholen können, so erreichen wir die Messe. Zu spät. Der Pfarrer liest mit monotoner Stimme: eine französische Pilgerin, die in Le Puy gestartet ist, vier spanische Pilger aus Leon, ein Ungar aus Roncesvalles und so weiter und so fort. Den Deutschen aus St Jean, mich, hat er wohl schon gelesen, Mist.
So hektisch hab ich mir das nicht vorgestellt, als Amerikanerin Laura mir in der Herberge in Foncebadon von dem Jakobsritus erzählte. Zuerst, sagte sie, kommt die Skulptur und der Handabdruck, wo du deine Hand reinlegst und dir was wünschen darst. Dann passierst du die Gebeine des Jakobus und dankst. Dafür, dass du es geschafft hast. Zu guter letzt ein Loch, in das du einen Zettel werfen kannst, auf dem du einen Wunsch geschrieben hast. Denkmal, Knochen, Loch, merke ich mir.
Vorgestern erzählt mir Deusch-Spanierin Frauke, die mit ihrem Vater pilgert, dass der einzige Grund der Pilgerschaft nach Santiago Dankbarkeit ist.
Ich stelle fest, auch hier jede Menge Vermutungen, Gerüchte, Internetwissen. Ungeprüft und nicht belegt, je öfter durchgekaut und verstümmelt überliefert – so wie ich das gerade in diesem Blog-Fachartikel tue – desto schemenhafter erscheint die Wahrheit.
Prophylaktisch wünsche ich mir ein schönes Restleben zusammen mit Sofasophia, umarme die Santiago-Büste, wie dies Roser mir vormacht.
Als Katholikin muss sie es ja wissen.

Kathedrale Santiago von Osten gesehen, Praza Do Obradoiro.

Spinnertivitätstheorie

Gerade will ich etwas über die gestrige Etappe tippen. Leider geht das nicht ohne Karte. Wie hieß noch der 1290 Meter hohe Pass hinter O Cebreiro, auf dem ich stutzig wurde, ob ich tatsächlich auf 1400 m Höhe übernachtet habe? Ich kann doch jetzt hier im Herbergszimmer in Triacastela nicht im Rucksack fummeln und Karte suchend alle wach machen.
Schreibe besser über Dimge aus der Tiefe des Seins: beim Packen gestern früh taste ich in der Dunkelheit nach ein paar Habseligkeiten, die ich auf das freie Bett unter mir gelegt habe und lange dabei in ein klebriges Gesicht. Unter mir hat sich nachts der besoffene Spinner aus der Bar einquartiert. Das erklärt auch, warum Chaeuk, der schräg unter mir schläft, direkt neben dem freien Bett, nachts im Traum scheinbar perfekt spanisch redete. Auch Chaeuk hatte seine Kamera und sein Reisetagebuch auf dem freien Bett liegen. Nun alle Mühe, die Sachen unter dem Schlaftrunkenen heraus zu fummeln. Vermutlich hat die herzensgute Hospitalera Patricia den armen Kerl nachts nach dem Kehraus in der Bar noch eingeschleust. Die Hospitalersleute sind manchmal selbst seltsame Typen. Weichherzig, sentimental, verträumt, oder auch dogmatisch, streng, fanatisch und sie legen manchmal eine gewisse Pilgerüberheblichkeit an den Tag. Sie rekrutieren sich aus dem Heer der PilgerInnen, sind oft selbst gerade auf Wanderschaft und bleiben mal drei Wochen vor Ort, um eine Herberge zu managen. Nicht dass ein falsches Bild aufkommt. Die meisten sind ganz normale Typen wie du und ich. Ähm.
Patricia gehört zur Kategorie seltsam aufgeschlossen, die Grenze zur Intimität Fremden gegenüber rasch überschreitend. Im Restaurant fällt sie über uns her, bequatscht uns wildfremd und fotografiert uns. Offenbar sammelt sie Pilgerbilder wie normale Menschen Hausnummern- und Straßennamenbilder.
Während der zwanzig Kilometer bis Triavastela habe ich genug Zeit, über mein eigenes Spinnerdasein nachzudenken. Dass der Typ sich ausgerechnet in das Bett unter mir gelegt hat! Wo doch mindestens 30 Betten frei waren. Ganze Flure unbevölkert. Legt er sich zwischen Chaeuk und Roser genau unter mich. Es muss eine geheiminsvolle Kraft geben ähnlich der Massenanziehungskraft. Anziehung der Spinner. Je größer ein Spinner, desto stärker sione Anziehumgskraft. Wie Staub und Meteore stürzen andere Spinner in die Atmosphäre des Oberspinners. Und der scheine ich zu sein.
Während ich so spatziere an diesem sonnigen Tag und diese meine allgemeine Spinnertivitätstheorie entwickele, frage ich mich, wieso Albert Einstein Jahrzehnte verplempert hat, um seine Relativitätstheorie zu entwickeln. Jeden halben Kilometer stoppe ich, um die Zahl auf dem Caminomeilenstein zu fotografieren. So schrumpft der Weg von 150 auf 130 Kilometer. 20 Kilometer komplexen Kopfrechnens mit Eulerscher Zahl und Integration der Plutimikation und schwupp hab ich die Relativitätsformel der Pilgerspinnerei entwickelt:
e=mxp2 (sprich e gleich em mal pe quadrat).
Wpbei E die Energie ist, m das Potential des Spinners und p die konstante absolute Pilgergeschwindigkeit von 4,9537615 km pro Stunde.

Und dies gestrige Strecke? Traumhaft. Sonne von füh bis spät. Fast nur abwärts, unglaubliche Landschaft. Wie jener Ort in Norwegen im Juli neulich.

Die Entfernung nach Santiago schrumpft. Meilensteine in Galicien

Was uns Pilger antreibt

Was könnte ich es so gut haben und gemütlich zu Hause neben dem Ofen sitzen und einen Nesbø- oder Vargas-Roman verschlingen. Ab und zu ein Mama-gebackenes Weihnachtsplätzchen und das surren eines Topfes Glühwein auf dem Ofen.
Hundegebell. Durchs Fenster blitzt im Halbsekundentakt das Signal eines Windrads. Sternklare Nacht. Multiples Menschenschnaufen. Martina schnarcht wieder wie ein unglückliches Schlossgespenst. Wie die unerlöste, kalte Seele in feuchtem Gemäuer. Im Dachgeschoss hat sich Apnoiker Carlos auf einer Matte langgestreckt. Sein Schnarchgewitter grollt im Treppenhaus. Obwohl wir seit wasweißich wievielen Tagen zusammen unterkommen, war er noch nie bei uns anderen im Zimmer. Er ist der rücksichtsvollste Pilger aller Zeiten. Thomas schläft bei Sardi draußen in der Garage, was öfter mal vorkommt. Selten erlauben die Hospitaleros Hunde in der Albergue. Meist aber bieten sie eine wenn auch unkomfortable Alternative.

Foncebadon ist, auf den ersten Blick, ein zerfallendes Bergdorf, in dem es nicht viel gibt, als diese urige Herberge. Im milden Abendlicht erreichen Martina, Chaeuk und ich den Ort. Vorpilgerin Alice hatte mich gestern per Kommentar (im Sofasophienblog und SMS*) warnen lassen, dass es schwer werden würde, den Berg zu erklimmen, dass die letzten 300 m bis zur Albergue eine halbe Stunde Quälerei wären.
Nichtsda. Gemütlich spazieren wir durch fast frühlingshaftes Land. Die Rückblicke nach Astorga, die schiefe Ebene hinunter sind unbeschreiblich. Wie durch dünne Haut auf Milch kann ich das Gefühl der Jugend und des erstmals erlebten Augenblicks fühlen. Eine Sache, die uns Menschen, je älter wir werden, desto mehr abhanden kommt.
In der Albergue treffe ich Laura wieder. Sie ist seit sechs Tagen hier, Hilfshositalera. Sie gibt uns den Stempel, trägt unsere Namen ins Herbergsbuch ein. Später zeigt sie Bilder auf der Digitalkamera. Der Pass muss noch vor wenigen Tagen tief verschneit gewesen sein. Überhaupt sei dies der erste Tag, an dem man hier richtige Fernsicht genießen kann. Manchmal habe ich das Gefühl, eine unsichtbare Kraft räumt mir den Weg frei. Nicht nur hier, sondern im ganzen Leben. Alles laufe nach einem ausgeklügelten Plan. Zuckerbrot und Peitsche des Schicksals. War es nicht im Mai auf dem Weg nach Andorra genauso: kurz bevor der Schnee kommt, überquere ich den Mont Lozère; und die 2400 m hohe Porte de Envalira taut erste ein paar Tage bevor ich sie erklimme auf, so dass man mit dem Rad hinüber fahren kann.
Franks Frage, was uns Pilger antreibt, wollte ich beantworten. Ich kann es nicht. Vielleicht müssen wir den Camino einfach gehen. Es ist unser Schicksal, die wir hier zu sechst oder siebt heute Nacht in diesem Zimmer schnaufen. Die eigentlichen Gründe, warum wir überhaupt losgelaufen sind, sind so unterschiedlich, wie die schier unmöglichen Zufälle, warum wir als die geboren wurden, die wir sind. Der Camino als Parabel für das Leben ansich? Bist du erstmal unterwegs, lebst du erstmal, fragst du nicht mehr nach dem warum und nach der Kraft, die dich antreibt.
Sicher gibt es Feinheiten, die das Vorankommen begünstigen: Wetter, gute Laume, nette Mitpilgerinnen. Manchmal frage ich mich, ob ich den Weg auch ganz alleine würde laufen können. Ohne meine Pilgerfamilie. Man kommt so erschreckend langsam voran. Die Zweibrücken-Andorra Reise im Mai war zwar eine Reise von ähnlichem Ausmaß und dort war ich alleine unterwegs, aber es lässt sich nicht vergleichen. Ich radelte durch ein opulentes Frankreich und mein Antrieb war die Kunst.
Hier auf dem Camino spielt die Kraft der Kunst und des Schreibens eine untergeordnete Rolle. Ich fotografiere nebenbei, weil es sich anbietet. Genauso ist es mit dem Schreiben. Den Fluss dieser kraftvollen Reise bremst es weder, noch beschleunigt es ihn. Kunst und Schreiben fallen als Triebfeder weg. Sinnsuche ebenso. Wenn etwas antreibt, dann die Gemeinschaft mit den Anderen, doch auch sie ist kein richtiger Grund. Das Lemmingeprinzip. Wir alle laufen in einem gleichmäßigen Strom. Seit ich losgelaufen bin steht meine Zeit still. Die Vergangenheit ist wie ausradiert. Insbesondere die Alltagssorgen. Die Zukunft beschränkt sich auf das Erreichen der nächsten Albergue, der nächsten Bar, manchmal nur der nächsten Wegbiegung.
Was habe ich es doch so gut.

Foncebadon Ortseingang aus Rabanal kommend
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EDIT:
* siehe nachfolgender Kommentar von Sofasophia

Die Isobaren des Tiefpreis

Der Kerl mit dem Designterrier hatte sich auf einer Stahlbank breit gemacht; wie ein Leuchtturm oder eine mächtige Schachfigur beherrschte das Hundchen den Raum. So dass mir nichts übrig blieb, als mich auf einen kalten Stein im Schatten mitten in einem schmutzigen Beet zu setzen, die Szene zu beobachten. Wie das Hundchen knurrend leinezerrend schachmatt einen viel größeren anderen Designhund im Zaum zu halten versuchte, der den Schwanz einkniff, während Frauchen alle Hände voll zu tun hatte, ihre übervollen Design-Einkaufstüten voller Markenware beisammen zu halten. Im Hintergrund eine Ansammlung von über 100 Geschäften mit den gängigsten weltweiten Kleidermarken.

Aus der Sicht des Europenners ist ein Designer Outlet Center die Ausgeburt allen Bösen. Ausgerechnet in Z. hat man vor einigen Jahren das größte seiner Art aus dem Boden gestampft, welches sich in Nah und Fern so großer Beliebtheit erfreut, dass der riesige Parkplatz zwischen Autobahn und den Markengeschäften fast immer voll belegt ist und die Leute sogar morgens mit dem Flieger aus Berlin kommen zum Einkaufen und abends wieder heim fliegen. Es wäre eine Studie wert, ob die Menschen, die in der Nähe von Designer Outlet Zentren leben signifikant besser gekleidet sind, als anderswo in der Welt.

Ich saß auf meinem Stein und dachte. Dass man sich den Luxus, hier einzukaufen eigentlich nur leisten kann, wenn man in Brot und Futter steht und dazu gehört zur wohlverdienenden Gesellschaft. Jeder, dachte ich weiter, möchte gerne dazu gehören, wenn er das sieht, Glanz, Schönheit, Markenmacht. Es ist wie früher in der Schule, ein unerträglicher Zustand, am Rand zu stehen und nicht in Cliquen organisiert zu sein, ein Außenseiter – klar herrscht in aller Schönheit und Geborgenheit auch gähnende Langeweile, aber das nimmt man für gerne in Kauf, Herdentrieb machts möglich? Egal: im Taumel des gegenseitigen sich übertreffen wollens und des besser aussehen wollens oder wenigstens genauso gut gekleidet sein wollens wie die Anderen, haben sich die Genugverdienenden hier zusammen gefunden, um sich mit bis zu 30 Prozent vergünstigter Markenware einzukleiden. Bringen ihre Designhunde, die zum Outfit gehören mit und ihre quengelnden Designkinder, ihre Designfrauen und -männer und natürlich ihre schicken chrompolierten Designautos.

Blick in einen der Läden, welcher zwei Eingänge hat im Abstand von 20 Metern. Ganz vorne locken Schnäppchenständer voller T-Shirts für nur 15 Euro. Ich gehe hinein, geradezu aufgesaugt vom Tiefdruckgebiet des Preises, fingere an den labbrigen 15-Euro-Hemdchen, Kotzfarbe, falsche Größe, schlecht genäht, widerlicher Schnitt, blicke mich um und mit einem Mal wird mir die Isobare des Niedrigpreises bewusst. Der Laden ist organisiert wie eine Wetterkarte, durchzogen von Linien gleichen Preises, die sich blasenförmig nach Hinten ausweiten. Nach der 15- Euro-Linie folgt die Zwanziger, die Dreißiger, die Fünfziger und die Hunderter. Frappierend.