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Surfen auf einer stets brechenden Welle aus Bimmelbahnen

Schiene im Vordergrund und dahinter ein Bahnhofsschild auf Bahnsteig mit Aufschrift Dahn Süd. Hinter dem Bahnhof erstreckt sich eine Wohnstraße, ein Haus mit Krüppelwalmdach im Zentrum, sowie ein orangener Kleintransporter.

„Reisen unter Realbedingungen“, so lautete meine Mission für die Radtour durchs Elsass in die Schweiz in der vorletzten Woche. Ich berichtete über die Reise teils „in echt“, also unterwegs schreibend (einige Artikel zuvor), teils im Nachhinein und nun noch in diesem Artikel, ein Nachzügler-Bericht vom allerletzten Reisetag auf dem Rückweg.

Noch etwa 70 Kilometer bis nach Hause. Regen und Sturm sind angesagt. Ich habe ein wunderbares Zeltplätzchen nahe der französischen Grenze im Pfälzer Wald gefunden. Eine Wiese direkt neben dem Radweg. Eine Sitzbankgarnitur mit Tisch. Moosweicher Untergrund. Abends das Zelt trocken aufgebaut. Direkt daneben murmelt ein Bach. Die Straße nahe Hirschthal ist weit weg. Kaum Verkehr. Das Scheinwerferlicht dringt nicht zum Zelt durch. Wenn man mich fragt, hast du einen Tipp fürs Wildzelten, sage ich oft als erstes, baue das Zelt nie in der Außenseite von Kurven auf, denn dort beleuchten vorbeifahrende Autos die ganze Nacht über deine Zeltwände. Das ist wie Leuchtturm, nur mit unregelmäßiger Signatur und einhergehend mit einem schneidenden Geräusch, jenem Mischmasch aus Motorenlärm und Autoreifen auf Asphalt.

Realbedingungen wollte ich simulieren, wozu, wozu, wozu? Realbedingungen beim Langstreckenreisen bedeutet doch ohnehin: alles kann immer passieren. Dauerregen, keine Nahrung mehr in den Packtaschen, Hitze, Durst, eine Panne, all das Negative. Aber auch Positives wie zwei günstig zueinander gerichtete Bäume bei Windstille an einem warmen Tag, zwischen denen man die Hängematte aufspannen kann.

Das neue Zelt zu testen war mein Ansinnen während der Tour. Die frisch verbauten Fahrradkomponenten prüfen. Knackt etwas, rüttelt es, lösen sich Schrauben? Tja. Es soll Regen geben und der ist für meinen Zelttest nun einmal unabdingbar. Wie baut sich das Zelt bei Regen ab? Kannste haben. Es regnet an diesem Morgen des letzten Radeltags in Strömen, so dass ich in der Früh den Plan fasse, nur noch die 25 Kilometer bis zum Bahnhof Hinterweidenthal zu radeln. Das Zelt ist nass und schwer. Unter „Realbedingungen“ würde ich an diesem Tag so lange radeln, bis der Regen aufhört, Sonne durchsticht (tut sie fast immer, auch wenn Dauerregen angesagt sein sollte). Regen, auf dem Fahrrad unterwegs, ist selten so schlimm, wie er in der Vorhersage klingt oder wie man ihn wahrnimmt, wenn man den ganzen Tag am PC schuftet und durchs Fenster nach draußen schaut. So ist es auch an diesem Morgen. Ich lausche dem Plätschern aufs Zelt, das das Murmeln des Bächleins direkt daneben übertönt. Ich will nicht da raus. Nach etlichen Minuten habe ich ein Gefühl dafür, wie der Regen tickt. Es gibt viel mehr nieselige Momente als man vermutet, die sich draußen mit halber Regenkleidung (nur die Jacke, nicht das volle Programm mit Regenhose und Gamaschen) ganz gut anfühlen. Als Radler habe ich ein Gespür dafür, was ein guter Radelregen ist, also ein Regen, bei dem man noch halbwegs angenehm fahren kann, ohne zu durchnässen. Indizien sind etwa Scheibenwischer der Autos auf Intervall.

Radeln bei Regen ist wie das Radeln generell reine Gefühlssache.

Das Zelt ist sauschwer. Klatschnass. Das Innere verstaue ich halbwegs trocken im Packsack. Das Äußere wickele ich zusammen und klemme es auf den Gepäckträger. Unter Realbedingungen würde ich es tagsüber irgendwo zum Trocknen aufhängen. Radele gemütlich auf den Radwegen durch den Pfälzer Wald, liebäugele beim Abzweig in Fischbach bei Dahn, ob ich die Südvariante fern der Bahnlinie entlang der französischen Grenze nehme und die gesamte letzte Etappe per Radel bewältige. Ich Hasardeur, ich. Oder doch lieber diesen einen kleinen Pass rüber nach Bundenthal, von wo es nicht mehr weit ist zur Pfälzer Wald Bahnlinie zwischen Karlsruhe und Saarbrücken? Entscheide mich für Zweiteres. Ich bin ja so klug. Ich bin ja so müde. Ich bin ja so unmotiviert. Erst einmal einen Kaffee in einem Wasgau-Supermarktcafé nahe Dahn. Dazu Fischbrötchen. Unter Realbedingungen würde ich in dem Café mein Ladeequipment an eine Steckdose hängen und Akkus und Telefon wieder aufladen, während ich auf der mobilen Tastatur etwas schreibe. Diesen Artikel zum Beispiel hätte ich können verfassen. Er sähe bestimmt anders aus, wenn ich ihn am Donnerstag vorletzte Woche geschrieben hätte.

Lasse mir Kaffee und Fischbrötchen schmecken, beobachte das Lebensmittelmarktgeschehen, beneide die Menschen um ihr Alltagsleben, weiß aber auch mein Vagabundendasein zu schätzen. Eine lange Radtour ist auch immer eine Schulung in Selbstliebe. Schaue in der Bahnapp, wann die Züge in Hinterweidenthal abfahren. Immer um 22 nach. Könnte klappen, wenn ich mich beeile. Wieder im Sattel kommen die Kräfte zurück, kommt Radellust auf, schimmert plötzlich wo ein Streifen Sonne, frischt der Wind auf, direkt mir entgegen. Ich habe keine Eile. Wenn ich den Zug verpasse, nehme ich den nächsten um 22 nach.

Verpasse den Zug knapp. Keine Lust, am Bahnhof zu warten. Es gibt ja alle fünf Kilometer einen Bahnhof und der Radweg ist super. Führt auf schmalen Wegen schön durch Wald, stets geteert. Rüber nach Münchweiler. Blick zur Uhr, könnte sogar reichen, bis Rodalben zum Bahnhof oder gleich nach Pirmasens Nord. Dort eingestiegen müsste ich dann nicht mehr umsteigen. In Rodalben führt der Radweg direkt am Bahnhof vorbei. Noch sechs Minuten bis der Zug kommt. Ich buche per App ein Ticket, doch die hängt sich in einer Endlosschleife auf, unmöglich, den Kauf abzuschließen. Also Automat. Zieleingabe usw., schon kommt der Zug und ich breche ab. Das stresst mich. Fahrrad und Zug ist nie schön. Adieu schnelle Heimfahrt.

Ich schaffe es in der Stunde zwischen den Zügen sicher bis Thaleischweiler-Fröschen, vielleicht bis Höhmühlbach. Beide Bahnhöfe direkt am Radweg. Höhmühlbach ist sehr verlockend, sympathischer Minibahnsteig. Da will ich hin. Derweil überholt mich schon kurz hinter Thaleischweiler mein Zug. Mist. Drei Mal habe ich den Zug nun verpasst. Irgendwie schön, dieses Surfen auf einer stets brechenden Welle aus Bimmelbahnen. Kein Regen mehr. Dauersonne stattdessen und Gegenwind, bzw. Gegensturm. Trotzdem klappt es mit dem Vorankommen. Ist nun eh klar, dass ich die letzten zwanzig Kilometer nach Hause per Radel zurück lege. Bei einem Bouleplatz neben einem Tennisplatz lege ich das Zelt zum Trocknen aus. Realbedingungen at it’s best.

Ja, doch, als Fazit mag gelten, dass die insgesamt 700 Kilometer auf dem Rad mit Reisegepäck und insgesamt vier Zeltübernachtungen der Realität recht nahe kommen. Was fehlte, war die zeitliche Unbestimmtheit, das offene Ende, das einen die Langstrecke innert mehrerer Wochen simuliert. Die Leichtigkeit des Nicht voran kommen müssens, garniert mit ein bisschen Ungewissheit.

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Das Kessler-Syndrom des modernen Radreisens

Eine Picknickwiese, auf der zwei Radler schlafen. Davor liegen Fahrräder auf dem Boden, im Hintergrund lehnt ein Fahrrad an einem Baum. Die Socken eines der Radler sind nicht sehr sauber.

Ach früher. Das waren noch Zeiten. Wir hatten keine Schutzbleche am Fahrrad, kein Licht, keine Packtaschen; wir führten kein Zelt mit, keinen Kocher, keine Hight-Tech-Luftmatratze mit innenliegenden Daunen oder Kunstfaserisolierungen; wir trugen keine Helme, fuhren auf Bundesstraßen, weil es kaum Radwege gab. Handy, Navigation per GPS, Internet sollten erst in einigen Jahren erfunden werden. Das moderne Zuviel an Dingen, Angeboten und Auswahlmöglichkeiten stand in den Kinderschuhen.

Die frühen Touren führten von der Pfalz zum Bodensee, quer durch den Schwarzwald und wieder zurück. Gemeinsam mit meinem Vater und Freunden und auf Fahrrädern mit der Technik der damaligen Zeit. Unser Gepäck wickelten wir in Mülltüten, die auf Stahlgepäckträgern verzurrt wurden. Es gab wenig. Wir hatten alles. Unsere Bodenseetouren sind legendär. Immer in der 17. Juni-Woche. Ein bundesrepublikanischer Feiertag, den es nicht mehr gibt und der diese Woche meist zu einer guten Brückenwoche machte. Gefühlt regnete es immer und ununterbrochen. Nach vollbrachter Tagesetappe hielten wir Ausschau nach verlassenen Gebäuden, Schuppen, Rohbauten. Wir schliefen unter freiem Himmel (wenn es mal nicht regnete), auf Miststreuern, die wir mit Plastikplanen überdeckten und uns notdürftig damit zudeckten, unter Brücken. Wir lösten Bretter an Schuppen im Schwarzwald, quetschten uns in unaufgeräumte Bruchbuden. Einmal erschlichen wir uns eine Brauereiführung in Alpirsbach, weil es so sehr regnete, wir so sehr froren, dass wir nicht mehr weiter wollten. Ja, gerne können sie teilnehmen, sagte der Brauereiführer, der an diesem Tag eine Gruppe von Mercedes Benz durch die Brauerei mit der längsten Bierleitung der Welt führte, aber später, wenn wir zum Umtrunk zusammen kommen, separieren sie sich bitte! Wir waren die ersten, die einen Tisch im Umtrunkraum okupierten. Es war so kalt im Bierkeller. Den Umtrunk hatten wir uns verdient, und hey, Mercedes gehörte doch schon damals zu denen, die gerne etwas abgeben können an Leute wie uns.

Vielleicht habe ich die Geschichte schon einmal erzählt?

Langsam kristallisiert sich meine AnsKap-Variante via Finnland heraus. Ich hatte schon erwähnt, dass ich mir den langsamen Weg durch Deutschland, Dänemark und Schweden, alles per Fahrrad, nicht vorstellen kann. Dass ich fürchte, den Elan einzubüßen und die Tour noch vor der Ostsee abbrechen könnte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeint – ich kenne mich doch. Und dass es deshalb ratsam ist, einen rabiaten Bruch mit dem heimischen Sofa herbei zu führen und mir am besten den einfachen Rückreiseweg abzuschneiden, indem ich mich per Zug und Fähre ins „Zielgebiet“ begebe.

Es ist nun nur noch ein kleiner Schritt, die Verbindungen zu buchen und es muss bald geschehen, denn das Zeitfenster für ein billiges Ticket schließt sich. Spätestens sechs Wochen vor dem geplanten Tourstart muss ich das Bahnticket reservieren und um alles dingfest zu machen auch die Fähre nach Helsinki. Sonst wirds unnötig teuer. Dienstag schließt sich mein Zeitfenster also.

Ich bin aufgeregt. Ich schaue nach Alternativen. Zum Beispiel weniger brachiale Fährfahrten über Schweden, weniger teuer, dafür aber Schwedenradeln, was ich schon so oft hatte. Die Finnlines bieten zudem noch einen Rabatt, wenn man Mitglied im Starclub wird und und und. So viele Möglichkeiten. Überhaupt, was bin ich zugerümpelt mit Gegenständen und Möglichkeiten! Jede Möglichkeit eine Entscheidung, die gefällt werden will.  Starclub oder nicht? Profitiere von Sonderangeboten in unseren Dutyfreeshopf und tollen Rabatten. Soll ich Brunch zubuchen? dann wirds billiger. Und Wlan buchen? Könnte die 30 stündige Fahr etwas milder machen, und ich könnte schon auf der Fähre bloggen.

Jeder Gegenstand eine Verantwortung. Was, wenn sie mir den Brooks auf der Fähre abmontieren oder das ganze Radel verschwindet? Brauche ich ein Zweithandy, falls das erste ausfällt oder kaputt geht; wie versorge ich mich mit Energie? Was muss ich armer Teufel alles an Gegenständen mitnehmen, die alleine der technischen Versorgung des Liveblogprojekts dienen, warum kann ich nicht einfach einen Stift und Kladde mitnehmen und die Reiseerlebnisse händisch notieren wie früher. Immer online, umschwirrt von Gegenständen. Unweigerlich drängt sich der Vergleich auf zum großen Orbit-Kollaps, über den man spekuliert – es gibt dafür ein Fachwort. Es bezeichnet das Szenario, dass der Orbit sich mehr und mehr mit Satelliten anreichert und es zu Kollisionen kommen wird. Sehr schnelle Satelliten, die mit zehntausend km/h durchs All sausen und die deswegen große Zerstörungkraft haben, seien sie noch so klein. Das Kessler-Syndrom beschreibt eine Rückkopplung, eine Art überkritische Masse an künstlichen Weltraumflugkörpern, die plötzlich zum Kollaps führen kann, indem die Flugkörper aufeinander prallen, sich gegenseitig in kleinste Teile zerlegen, deren Flugbahnen unkontrolliert sind und diese Kleinteile wiederum bringen nach und nach alle anderen Satelliten in Gefahr, zehntausend Kilometer Schnelligkeit sei Dank.

So ähnlich geht es mir als Reiseradler mit dem Hightech-Gepäck meiner Zeit. Was hab ich nicht alles im Gepäck, was ich früher zum Bodensee nicht dabei hatte: Solarzelle, Pufferakkus, Ladegeräte, Ladekabel, mobile Tastatur, Superweiche Luftmatratze, Schlafsack-Inlay, Kocherzeugs hier, Waschzeugs da, pi pa po. Und alles schwirrt in einer imaginären Umlaufbahn um mich als Kunst- und Literatur prozessierender Reiseradler mit Highend-Bloganbindung (natürlich ist auch jede Menge Software im Gepäck), Tag und Nacht online. Irgendwann müssen doch mal die Fetzen fliegen?

Okay, gut, früher, als wir uns bei Regen und Mieswetter zum Bodensee schufteten, waren wir ja nur zum Spaß unterwegs. Ich hatte noch kein überbordendes Kunstkonzept im Gepäck.

Man könnte sagen, meine tausend Satelliten der modernen Reise-Konzeptkunst sind unabdingbar. Ohne die Technik, keine Kunst.

Ich registriere mich mal im Starclub. Das mildert vielleicht die Transportkosten.

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