Herr Irgendlink, Ex-Künstler, Schriftsteller, Profi-Prokrastinateur und angezählt

Das Ende. Damit will ich beginnen. Damit muss ich beginnen. Aufräumarbeiten im Atelier wie jedes Jahr um diese Zeit. Wenn die Offenen Ateliers Rheinland-Pfalz einen großen Sinn stiften, dann die, dass die vielen kleinen Künstlerinnen und Künstler, so auch ich, einmal im Jahr einen Cleansweep im eigenen Atelier machen. Die Spinnen und Insekten vergrämen, Staub wischen, Überflüssiges vor die Tür räumen auf einen Entscheidungshaufen, der in aller Ruhe inspiziert wird und Wegwerfenswertes von Nichtwegwerfenswertem geschieden wird. Den Preis für einen Container müsste man sich leisten können.

Kubikmeterweise Seltsames vor der Tür, das man in die Kategorie „Könnte man mal noch brauchen“ einsortiert. Welch fatale Einstellung. Nichts ist mehr brauchbar, wenn man es genau betrachtet. Das Leben ist zu Ende gelebt. Alles was ist, ist nicht. Schrödingeresk nimmt jede Materie zwei Wahlzustände an. Wenn man mit verschränkten Armen vor seinem Tagwerk steht und den Haufen betrachtet, ist man nicht bereit, sich einzugestehen, dass alles, woran man schuftete, was einem wichtig und wertvoll schien, gleichzeitig auch wertlos ist. Es ist wie mit der Katze, nur dass die Zustände nicht Leben und Tod sind, sondern Wertvoll und Wertlos.

Ich kam ganz gut voran, bewaffnet mit Staubsauger und Putzeimer und den Trennstationen für verschiedene Müllsorten vor der Tür im Staub des immer noch nicht gepflasterten Ateliereingangs. Metall, Glas, Brennbares und gottleidiger Kunststoff. Teufelszeug. Gelbe Säcke, Restmüll, hier ein Bilderrahmen, etwas angemackt, aber könnte man ja nochmal brauchen. Stapel alter Kunstwerke aus den neunziger Jahren. Wenn man wert genug wäre fürs Museum oder die Auktion, sicher ein Schatz, aber so doch nur Plunder in bunten schillernden Farben, der sich nur theoretisch gut machen würde über einem Hipstersofa in der Hauptstadt.

Im Tageslauf schaffe ich es, die beiden Atelierräume in einen ansehnlichen Zustand zu bringen. Zwischendurch immer wieder am PC, die Adressdatenbank durchforsten, wen ich einladen könnte. Sind nicht allzuviele Bekannte und Freunde geblieben. Der Coronagraben geht mitten durch mich hindurch. Ich bin nicht mehr sicher, wer von all den Bekannten wo steht, wen man mit Geimpftsein erschreckt, wen mit Maskentragen und linientreuem Angsthaben. Ich glaube mittlerweile tatsächlich, dass der Coronagraben mitten durch mich hindurch geht und ich mir selbst nicht mehr trauen kann. Mich selbst anfeinde, weil ich mal diese oder jene Position einnehme. Ich bin ja so ein verwirrter Kopf geworden.

Anderthalb Jahre Stillstand und nicht das tun, was man normalerweise täte, frisst sich durch mich.

Zwanzig dreißig Jahre alte Kunstwerke finde ich in einem Schrank. Fotos und übermaltes Zeug, teils recht ansehnlich. Ab in die Tonne? Oder besser auf den Zweifelstsapel, der liegen bleibt für weitere Jahre und über den man mit zeitlichem Abstand noch einmal schaut, sich wundert und sich sagt, Mann, war ich gut, Mann war ich schlecht. Herzlichen Gruß an Schrödingers Entscheidungskatze.

In solchen Situationen komme ich gerne ins globale Weitdenken, was es etwas leichter macht. Wenn man in Dimensionen wie tausenden, hunderttausenden oder gar Millionen Jahren denkt, kann einem ruckzuck alles egal werden, was aus nur irgendeiner Art Materie besteht, weil es ja sowieso von Gletschern zermalmt wird, von Giften zersetzt oder von Skeptikern genichtwertschätzt wird. Man ist dann, nach diesen tausenden oder millionen Jahren ja längst tot. Muss nicht zappeln, fiebern, hoffen. Ein zu Staub, Atomen, undefinierbarem Nichts zerriebenes Etwas ist man.

Ich bin am Ende, stelle ich fest. Ich bin kein Künstler mehr. Als Mensch könnte ich mir eine Zukunft von zwei drei Dekaden als Systemadministrator vorstellen. Irgendwas mit Linux. Am Computer schaffen. Bissel Geld verdienen zum Leben. Das Leben verbringen. Tot umfallen am besten in einer nahen Zukunft. Muss ja. Ist ja so natürlich, dass es endet.

Als Künstler weitermachen und nächstes Jahr schon wieder dieses verflixte, von Insekten, Spinnen, Siebenschläfern und sonstigem Getier verschmutzte Atelier säubern? Muss nicht.

Während ich aufräume, dekoriere ich die Wände mit Kunstwerken fürs Volk, das vielleicht reinschaut, und stelle mir die Frage, was erzähle ich denen denn? Ich bin ein Künstler? Kauft, nehmt reichlich? Ist was wert? Echt jetzt? Ich glaube doch selbst nicht daran. Das da vor mir, all die Materie, ist Vergangenheit. Ich hab das getan. Es entstand. Und nun bitteschön, her mit dem Container. Material jeder Art ist nichts wert. Bzw. ist doch was wert. Nur in dem Moment, in dem jemand das Material kauft, es seinen Besitzer wechselt. Dann ist es für kurze Zeit etwas wert.

Ein Auto zum Beispiel hat nur in einem winzigen Moment einen Wert. Dann, wenn ein Mensch im Autokaufmannsladen sagt, ja, ich will es haben, und es bezahlt. Sobald er sich ans Steuer setzt und damit wegfährt, hat der Gegenstand jeden Wert verloren.

Der Mensch sitzt nun am Steuer einer Drangsalierungsmaschine. Wenn er um die nächste Ecke biegt, steht er im Stau, leidet, vermutlich ohne es zu bemerken, und noch ehe er sich eingesteht, dass er ein Sklave des Autosystems geworden ist, wird er glückselig lächelnd, aber insgeheim voller Zorn all den anderen Staustehern als Feind gegenüberstehen. Schluss mit den feinen Werbebildern, die einem suggerieren, hast du ’ne Karre, bist du frei. Regelmäßige Inspektionen, Tüv, Parkplatzsuche. Gegenstände machen nicht frei, Kauf beleidigt dein inneres Kind, das nur spielen will. Mit Kunst ist das auch so. Kauft keine Kunst! Kauft keine Autos! Kauft nichts!

Den Vorraum des Ateliers habe ich klarschiff. Schön leer. Nur ein paar alte Schinken an den Wänden und eine improvisierte Sitzecke zum gemütlich beieinander hocken.

Ich ackere durch mein Leben und stelle fest, seit dem letzten Stipendium bin ich ja Schriftsteller und kein Künstler mehr. Herrjeh. Ich sollte retrospektieren! Es kommen Ideen, das Atelier in eine Art Rückblick zu verwandeln. Kommentierte Ausgabe des Herrn irgendlinkschen Lebens der letzten dreißig Jahre. Ich lecke Blut. Könnte schön werden. Neben allen Zeigegruppen aus verschiedenen Exponaten einen kleinen Text. Finaler Verweis, dass es einmal war und dass der werte Herr nun geruht, den Rest seiner Lebenszeit damit zu verbringen komisches Zeug zu schreiben.

Warum auch nicht. Ich kann es mir ja zum Glück leisten, an Dingen zu arbeiten, die nicht in die weltweite Produktionskette passen.

Hey, und das, das ist vielleicht ein Lichtblick. Etwas, was mein Gemüt erhellt. Kontinuierliche Nichtproduktivität. Ausdauerndes Nichtbeitragen zum konsumatorischen Wahnsinn. Der finale Widerstand in einem unbequemen System des Zusammenlebens.

Es fehlt nicht mehr viel. Ich bin alt. Die Rente ist nah. Ich hab mein Leben gelebt. Muss nur noch wenige Jahre bestehen. War ’ne schöne Zeit.

Die Gegenwart? Kotzt mich an. Wenn ich könnte, würde ich mich einmauern und eine Wand anstarren. Funktioniert leider nicht. Man muss mithingehen wo alle hingehen. Wir sind Lemminge.

Ich bereite also das Atelier eines Exkünstlers auf, der nun Schriftsteller ist. Von einem brotlosen Beruf in den nächsten gewechselt. Wobei die Brotlosigkeit natürlich Jammern auf hohem Niveau ist. Ich habe ja so viel Glück, in einem der wenigen krisenfreien Länder der Welt zu leben. Ich sollte dankbar sein, achwas, ich bin dankbar!

Beim Atelieraufräumen kommt mir der Elch unter die Finger. Ein hölzernes Ding. Ich habe es im Mittelfenster auf die Fensterbank gestellt. Etwa vierzig Zentimeter hoch. Der Elch ist das Geschenk eines Jungen an meinen Vater. 2016 waren sie Zimmernachbarn im Krankenhaus. Die beiden verstanden sich gut. Mein Vater fungierte dem Buben aus Notfallopa, munterte ihn auf, vertrieb ihm die Zeit mit Scherzen, ohja, das konnte er bestens. So dass der Junge die Woche im Krankenbett halbwegs gut überstehen konnte und ich denke, auch mein Vater profitierte von dieser Notgemeinschaft. 2016 zu Weihnachten stand dann der Elch unterm Baum. Gebaut vom Jungen.

Als mein Vater 2017 im Sterben lag, ging der Elch zu Bruch. Vater hatte ihn, betäubt von Morphinen, verschusselt und der Tierchen zerbach. Stand eine Weile im Keller, bis ich ihm das Gehörn wieder anklebte und es im Atelier auf die Fensterbank stellte.

Wie ich so den Elch anstarre, denke ich, dass er eigentlich ein Kunstwerk ist, das ein Bub geschaffen hat mit Laubsäge und Liebe, um es einem Leidgenossen zu schenken. Herrjeh. Material. Das ist kein Auto, das wertlos wird, sobald es über die Ladentheke geht. Das ist keine Drangsalierungsmaschine, mit der man Menschen in die Abhängigkeit zwingt. Es ist Liebe?

Der Elch wuchs mir ans Herz in den letzten Jahren, die er im Atelierfenster stand. Das alte Künstlerherz schlug. Das Hirn rumorte. Ich beschloss, den Elch bemalen zu lassen von vielen verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern. Ein Col-Art-Projekt, bei dem der Junge als Initiator fungiert und ich als Vermittler, als eine Art Reparateur in kaputter Welt, in der es noch immer Liebe und Zuneigung gibt unter Fremden, auch wenn man dies momentan gar nicht vermuten würde. Menschen, die nebeneinander in Krankenbetten liegen, haben etwas Existentielles, finde ich.

Ich kann den Elch aber nicht bemalen lassen von meinen vielen lieben Kunstmitmenschen, ohne den Ur-Urheber des Kunstwerks ausfindig zu machen. Das würde ein faszinierendes Kunstprojekt, denke ich, aber nur, wenn der Bub mit im Boot ist. Schließlich ist er der Erste, der am Kunstwerk gearbeitet hat, auch wenn er davon gar nichts wusste. Es wird nicht einfach, ihn zu finden. Ich nehme nicht an, dass man mir im Krankenhaus mirdnichtsdirnichts die Kontaktdaten des Jungen erzählen würde. Schon phantasiere ich, das irgendwie anzuleiern, kann ja nicht so schwer sein, einen Buben zu finden, der 2016 im gleichen Krankenzimmer wie ein Sterbender lag … so lasse ich den Abend ausklingen mit Könntes und Müsstes und Sollte-man-mals. Vielleicht ist der Künstler in mir ja doch noch am werkeln?

Ob ich es tue? Morgen wird wieder der Profi-Prokrastineur die Regie übernehmen, vermute ich. Der, der die leere Wand anstarrt und damit zufrieden ist.

Tief sinken auf hohem Niveau

Einer jener Abende. Einer jener Tage. Eine jener Situationen. Verdammt in den eigenen PC. Virtuell, online, an der Welt teilhabend per Sozialer Medien. Nicht mehr ‚echt‘ existierend dem Leben und einem gelebten Leben hinterher heulend. Lese ich den Tweet eines Freundes, in dem es ums Rauchen geht und wie schlimm die Situation ist, bei Hochwasser, abgeschnitten von der Möglichkeit für Nachschub zu sorgen, keine Chance zu haben, Zigaretten oder sonstwie Rauchbares aufzutreiben.

Auf einem einsamen Gehöft abseits der Welt ist nicht gut Tabak beschaffen, falls man, als sozusagener Ex-Raucher mal Lust hätte auf eine Zigarette. Die Stimmung stimmt. Musik dudelt per Youtube, Sandinista von The Clash, Hitsville und wie sie alle heißen, die tollen Titel aus den frühen 1980er Jahren.

Jetzt eine Zigarette! Der Twitterfreund skizziert ein Szenario, in dem der Tabak alle ist, die Blättchen und die Filter auch und es gibt noch nicht einmal eine Prawda, die man in Stücke fetzen könnte, um sich notdürftig mit einem Rest Tabak, den man eventuell doch noch fände, eine Notkippe zusammen bappen zu können. (Nachtrag, es waren mehrere Twitterinnen an der Rauchlustauslösung beteiligt, namentlich @FrauRettich und @der_emil).

Ich drifte durch den Abend und lasse mich per Mausklick von hie nach da driften. Im Hintergund dudelt immerhin The Clash nach Herzenswunsch, was unweigerlich die Lust auf Tabakkonsum entfacht. Jetzt eine Zigarette! Oh Welt, was tust Du mir an, mich in die Erinnerung (wie es einmal war als rauchender Mensch) knechtend!

Flapsig kommentiere ich dem Freund etwas mit Aschenbecher und dass es doch problemlos möglich wäre, einen Aschenbecher zu fleddern, um Tabak und Rauchbares zu generieren nur für den gelebten Moment.

Idee!

Hey, Moment mal, das könnte ich eventuell wahr machen, denn solch einen Aschenbecher gibt es tatsächlich hier auf dem Gehöft. Kilometerweit vom rettenden Zigarettenautomaten entfernt. Also nix wie weg vom PC und all den Botschaften, die auf mich einprasseln, runter in die echte Welt. Unters Vordach der alten Scheune. Dort steht ein Aschenbecher.

Es regnet. Es regnet seit Tagen. Seit Wochen. Schon immer? Vor Tagen noch saßen wir beisammen, aßen, redeten, tranken, rauchten. Da ist noch was übrig. Bestimmt. Hoffentlich! Es ist diese seltsame Menschseinsstimmung, geworfen ins eigene Sein, das sich um nichts kümmert als um das eigene Sein selbst. Ein egoistischer Akt, der sich vorbeimogelt an den Problemen der Welt die auf einen eindreschen ohne Gnade und der einen sich glücklich fühlen lässt, ohne dass es dafür eine Grund gäbe. Das Clash-Gedudel tut sein Übriges.

Man ist. Ich bin. Und das ist auch gut so (um es mal mit einem ehemaligen Berliner Oberbürgermeister zu sagen). Kurzum, ich drifte durch den Abend, abgekoppelt von der Welt, dennoch Teil davon, was es zwar kompliziert macht, was aber für den gelebten Moment keine besondere Rolle spielt. Was ist der glückliche Mensch so klein und schön, wenn er einfach nur klein und schön sein darf und es sich eingesteht, klein und schön zu sein.

So klettere ich aus meinem Kokon der Künstlerbude weg von dem Sozialen Medien-Gedudel hinaus in die echte Welt. Regen, Regen, Regen. Durch mannigfaltige Löcher im Dach rinnt das Wasser. Es ist nicht anzunehmen, dass das sechzig Jahre alte Dach auf der Künstlerbude noch die zwanzig dreißig Jahre durchhält, die ich womöglich noch auf der Welt sein werde. Das ist mir aber im Moment egal, denn ich habe mir eine abendliche kleinfeinmensch-Mission definiert, in der es darum geht, sowas Ähnliches wie eine rauchbare Zigarette zu schaffen. Aus Nichts. Einzig aus dem, was aus einem vor Tagen vollgedrückten Aschenbecher noch herauszuholen ist.

Der Aschenbecher ist ein schneeweißes Keramikding, das wie ein Würfel aussieht, in dem sich eine Mulde befindet. Ein in die dritte Dimension entronnenes Renault-Symbol, das einst als Werbedingsi geschaffen wurde. Wenn man den Meterstab anlegt, kann man das Dingsi genau definieren und stellt fest, dass es exakt sonundsoviele Zentimeter hoch, breit und lang ist und dass sich darin zwei Mulden befinden, in die man brennende Kippen hineinlegen kann, gemütlich schwofend mit Leuten, einen Abend verbringend. Ein kleiner, eigentlich wertloser Kultgegenstand mit aufgedrucktem  Renault-Markenzeichen. Ich liebe dieses wertlose Ding. Ich besaß einst zwei dieser Renault-Aschenbecher-Würfel, verschenkte aber einen davon an einen Freund, der ein großer Renault-Fan war und der freute sich riesig über das Geschenk.

Gut fünfzehn Jahre her, dass ich ihm den Fan-Aschenbecher schenkte. Ich habe lange nichts von dem Freund gehört. Laut Facebook aber geht es ihm gut und er ist am Leben und er liebt noch immer Renault und ist Fan.

Zurück zu meiner ‚Sucht‘ und dem anderen Freund, der mich mit seiner Twitterei lustig gemacht hat, jetzt und hier ohne Tabak, Filter und Blättchen eine Zigarette zu rauchen.

Was uns Künstlerinnen so besonders macht, ist, aus dem Moment heraus zu agieren. Aus dem Nichts das Etwas zu schaffen. Das Nichts meines jetzigen Moments ist Zigarette. Es gibt keinen Tabak auf dem einsamen Gehöft. Und das ist auch gut so (siehe ehemaliger Berliner OB, sinngemäß). Wenn man in diesem Zustand die Lust verspürt, dennoch eine Zigarette zu rauchen, muss man mächtig in die Trickkiste greifen. Man muss sich über zahlreiche Bedenken hinwegsetzen: Rauchen schadet. Eine Zigarette führt unweigerlich zur nächsten und ruckzuck hängt man wieder am Stengel. Alles erwiesen und oft ausprobiert und bestätigbar, so isses.

Als Künstler, zumindest so einer wie moi même, Herr Irgendlink, der nicht das Glück hat, mit Wumms in den Kunstmarkt einzudringen, weiß man, wie mit gefühltem Mangel umzugehen ist.

Man improvisiert. Und das ist auch gut so.

Also unterm Vordach stehen, Regen beplätschert. Der Himmel dunkelt noch nicht. Diffuses Licht der Sommermonate. Darf ich diese Grenze überschreiten? Ich starre in den Renault-Kubus. Körper Lust auf Tabak. Nur einen Zug wenigstens. Das wärs jetzt. Also fleddere ich den Grund des Würfels und fummele fünf oder sechs Stummel hervor, vielversprechende Überreste eines gelebten Abends. Normalerweise würde ich nun den Tabak heraus fummeln (ich gebe zu, diese Siuation ist nicht neu) und ihn notdürftig von Asche und Schwärze befreien und den gereinigten Stoff in ein frisches Blättchen rollen. Auf Wunsch mit Filter. Perfekter Genuss aus Müll. Ich habe weder Blättchen, noch Filter, noch Tabak. Nicht einmal die aktuelle Prawda.

Obs gesund ist? Welch Frage! Ist es natürlich nicht, aber ich könnte und plötzlich, als ich mir die Finger in all dem Müll beschmutze und es stinkt und ekelt, wird mir bewusst, wie jämmerlich und pervers die ganze Situation ist, wie tief ich auf allerhöchstem Niveau in meiner Wohlstandswelt sinke. Ich könne auch runter zum nächsten Automaten und die Scheckkarte reinstecken und mir ein neues Päckchen Kippen kaufen oder zwei. Oder hundert. Aus den Vollen schöpfen.

Wieviel Prozent meiner Mitmenschen haben die Möglichkeit, einfach so aus dem Vollen zu schöpfen und ist das gerecht?

Ist es nicht und ich sollte aufhören vom Rauchen zu reden oder von Annehmlichkeiten oder vom schönen Leben. Wenn man einen Strich unter die Rechnung ‚Schönes Leben‘ zöge auf dieser Welt – alle Menschen gerechnet, die die gerade sterben, die die gerade geboren werden in Elend oder Glück – was käme wohl dabei heraus? Der primitive Additionsmathematiker in mir mag gar nicht ausrechnen, was dabei heraus käme. Die Billanz wäre katastrophal.

Die Billanz ist katastrophal!

Das muss man sich vor Augen führen, wenn man gefühlsmäßig dazu in der Lage ist. Danach glücklich weiter leben? Ist das möglich? Im Nichtwissen und Nichtwahrhaben wollen, fährt man gewiss besser. Man muss sich als moderner Mensch eigentlich in einer permanenten Selbstverzeihungsschleife befinden, um bestehen zu können, vermute ich.

Unguten Gefühls schreibe ich diesen Artikel. Nicht unglücklich, zum Glück.

Wenn ich bloß die Welt retten könnte, für Glück allüberall zu sorgen, das wärs.

Glücklich sein in der Gewissheit, dass es dazu einen Gegenpart gibt.  Unglück nämlich.

Stichworte im Jetzt. Nachdenkenswertes, das vermutlich zu nichts führt. Ich werde trotzdem weitermachen. Das Ergebnis, unter welcher Rechnung auch immer, bzw. unter meiner eigenen Lebensbilanz, ist noch offen.

Das ist doch auch ein bisschen Glück, oder?

Es hat etwas von Möglichkeit.

Ein traumhaftes Eiland namens Wohlbefinden

Herd, Herd, Bart, Fußboden, Staub wischen, Garagentor. So steht es auf einem schnell hingekritzelten Fresszettel. Die Zutuns des heutigen Morgens. Gerade habe ich den Vieltagesbart mit dem elektrischen Haarscherer abrasiert, indem ich in den Garten trete unter den Nussbaum, mir die Kleider vom Leib reiße, mich nach vorne beuge, der Gesichtskontur mit bedacht folge. Der Wind weht die Stoppelhärchen weg vom Körper, verteilt sie auf der Wiese wie Samen. Ich finde, das ist eine gute Methode, dem Bartwuchs Herr zu werden, wenn man nachbarslos und unbeobachtet in einer geradezu thoreauesken Bude auf dem Land lebt.

Halb elf bin ich verabredet und muss somit gegen zehn, besser noch früher, los, um Journalist F. ein paar persönliche Gegenstände ins Pflegeheim zu bringen, denn endlich endlich hat er ein eigenes Zimmer. Weshalb ich ungefrühstückt und mit vielen verschiedenen Zutuns im Kopf hantiere, der Bart ist ab, ich zurück in der Wohnung und die verflixte Uhr zeigt zehn vor zehn. Ich müsste los. Jetzt direkt. Nix Herd, Fußboden, Garagentor, aber immerhin, Bart. Den kann ich von der Liste streichen und naja, das mit dem Herd, also dem unten in der Freilandküche und dem kleinen Zweiplattenkocher oben in der Bude, das ist ja nicht so wichtig, dass ich da mit einem feuchten Lappen darüber wische, damit sie schön sauber sind, wenn später am Tag die Liebste vorbeischaut. Fußboden geht auch ungewischt, nur gesaugt, sieht fein aus, jaja, Herde kochen auch, wenn sie nicht so ganz sauber sind, also schnell ins Auto, in dem schon die paar Habseligkeiten für Journalist F. gepackt sind. Fernseher, Gemälde vom Fliegenden Holländer, Fernsehsessel, tolle alte Stehlampe. Gerade rechtzeitig treffe ich beim Pflegeheim ein und niemand weiß Bescheid und ich ecke mal wieder an bei Frau W. Solche Chaoten wie mich und den Journalisten F. mag sie ja gar nicht, aber sie ist dennoch eine gutherzige Frau. Durch den Hintereingang lade ich die Gegenstände im strömenden Regen aus, zwischenlagere sie im Flur, parke das Auto jenseits der Krankenwagenzufahrt und kehre zurück. Journalist F.s neues Zimmer befinde sich im ersten Stock, sagte Frau W. Treppenhaus rauf, links, rechts et voila. Betriebsblind wie ich bin, irre ich durchs Heim auf der Suche nach dem Treppenhaus, bis ich Frau W. wieder in die Hände laufe und sie mir erklärt, das Treppenhaus sei da, wo ich eingetreten sei, herrjeh, es ist zum Verzweifeln mit mir und Frau W. hat tatsächlich ein bisschen Mitleid mit dem total erschöpften Kerl, der Dinge schleppt.

Das Zimmer von Journalist F., er schrieb es mir per Mail, ist suboptimal. Ein Einzelzimmer, immerhin, aber mit gemeinsamem Bad. Um ins Zimmer zu gelangen muss man durch ein anderes Zimmer laufen, bzw. rollstuhlen, in dem ein Mann lebt, der eine FC Bayern Fahne über dem Bett hängen hat.

Du musst Fußballfan werden sage ich zum Journalisten. Er lächelt verschmerzt. Suboptimal, das triffts. Die Kammer ist vielleicht 12 Quadratmeter groß. Bett, Kommode, Schrank, Tisch und seit heute noch Fliegender Holländer, Stehlampe, Fernsehsessel und ein riesiger Flachbildschirm, dessen Füße so weit auseinander stehen, dass er nicht auf der Kommode aufgestellt werden kann.

Sie lagern Menschen. Es muss funktional und wirtschaftlich sein. Wohlbefinden ist nicht eingeplant.

Für den Fernseher gibt es einen Hack, den wir beim nächsten Treffen durchführen, indem wir ein groß genuges Brett auf die Kommode legen. Dies sei all denen gesagt, die mitfiebern und jetzt denken, wie kann denn der arme Mann ohne Fernseher. Wir kriegen das hin. Durch raue See navigierend in Richtung eines traumhaften Eilands namens Wohlbefinden.

Rechtzeitig bevor die Liebste eintrifft bin ich zurück auf dem einsamen Gehöft und öffne das Garagentor.

Im kurzen Moment zwischen gezücktem Geldbeutel und Kasse steckt alles Glück dieser Welt

Augenkuckverbot seit Montag. Irgendwas plagt einen ja immer. Die Augensache taucht ab und zu auf, macht Kopfweh und ein paar andere Querelen und verschwindet dann wieder. Hilfreich ist, wenn man nicht auf den Monitor starrt, viel schläft, sich keine Sorgen macht, oder wie man so schön sagt, sich keinen Kopf macht um dies und das.

Vorsorglich mal den Doktor konsultiert, was aber auch verflixt am Ziel vorbei schießt, da die Symptome bis zum Termin nächste Woche abklingen werden, jaja, sind sie ja heute schon besser, sonst würde ich jetzt nicht vor dem Monitor sitzen und diesen Artikel tippen. Wie auch immer, bis nächste Woche rechne ich mit üblicher Kerngesundheit und der Doktor und ich werden uns über dies und das unterhalten, bloß nicht über Körper und Plagerei. Vielleicht kann ich eine Kopfdurchleuchtung rausschinden, damit ich im Fall, dass das Augenweh wieder auftritt nicht immer in schockstarrende Spekulation verfallen muss, welch schreckliche Ursachen das Kopfweh hat.

Ich tippe auf eine bakterielle Entzündung im Nasen-Ohrenraum. Der Hardcore-Hypochonder in mir ist da leider anderer Meinung.

Dass die gesundheitlichen Dinge bisher immer von selbst verschwanden sollte mir eigentlich Arztbesuch genug sein. Das Leben ist nur eine Kombination verschiedener Spekulationen, die einem auf der Basis von Nichts eine Heidenangst einjagen.

Meistens.

Im Alltag läuft es nicht besonders gut. Mit der Wohnungsräumung für Freund Journalist F. habe ich mir selbst jede Menge aufgebürdet. Schließlich lagern nun jede Menge Gegenstände vom Journalisten in meinem Atelier. Der Umgang mit fremder Leute Dinge ist lästig. Im Anblick von fremder Leute Belange habe ich den Eindruck, es gibt mich selbst gar nicht als wollendes Wesen, sondern ich bin ein Gefangener zwischen den verschiedenen Bedürfnissphären anderer. Obendrein sehe ich mich mit all dem sinnlosen Material, das ein Mensch angehäuft hat und das sich im Atelier und in den angrenzenden Räumen mit all dem sinnlosen Material, das andere Menschen angehäuft haben, nun überwältigt von zu habenden Dingen, zurückgeworfen in die Zeit, als ich das Buch Haben und Sein las und mich mit der Problematik beschäftigte, an irdisches, profanes Gut gebunden zu sein und darin versuchen zu müssen etwas wie Lebensglück zu finden. Als ich das Buch vor Jahrzehnten las, war mir nicht ansatzweise bewusst, was noch auf mich zukommt und dass es mit dem Denken darüber nie und nimmer nachlässt und dass alles viel schlimmer werden wird, weil man nicht alleine ist auf der Welt und sich nicht gegen den Usus der Masse stellen kann. Wenn die Masse das Leben so und so vorlebt, habend, im Konsum versuchend, glücklich zu werden, dann färbt das auf einen selbst ab. Es ist wie an einem stark schmutzenden Verkehrsweg zu leben, den Dunst und die Abgase alltäglich einatmen zu müssen, weil es nichts anders gibt an Luft und so gibt es wohl in der Gesellschaft auch keine andere Möglichkeit als zu konsumieren und sich selbst in die Herde der Melkkühe des ewig kapitalistischen Verkäuferseelchens einzubringen.

Konstatiere ich.

Die Journalistenhabe ist jedenfalls dem einsamen Gehöft einverleibt. Neben Vaterhabe, Tantenhabe, Schwagerhabe, Onkelhabe, Freundeshabe, Freundesfreundhabe, Menschen-die-ich-längst-vergessen-habe-habe …

Nichts davon bin ich. Manchmal, wenn ich all die Gegenstände betrachte, die irgendwann irgendwer hier auf dem einsamen Gehöft eingelagert hat, nur mal eben ein paar Monate, erfreue ich mich eines Dings und stelle mir vor, wie es wäre, es zu besitzen, komme aber zur Erkenntnis, dass nicht der Besitz eines Dings das ist, was einen glücklich macht, sondern der Kauf. Dieser kurze Moment zwischen Kasse und Ladentüre, in dem der Gegenstand, sagen wir ein Blumentopf, noch nicht ganz mir gehört, aber auch schon nicht mehr demjenigen, der ihn mir verkauft. Das muss wahres Glück sein. Im kurzen Moment zwischen Kasse und gezücktem Geldbeutel steckt alles Glück dieser Welt. Der Gegenstand, sagen wir ein Neuwagen, hat in deisem Moment noch genau den Wert, der auf dem Preisschild steht. Diesen Wert wird er nach abgeschlossener Bezahlung nie wieder erreichen. Genauer betrachtet wird der Gegenstand, sagen wir ein Fernsehgerät, nach dem Bezahlvorgang, wenn er in mein Eigentum übergegangen ist, gar nichts mehr wert sein. Wenn man den Gegenstand, sagen wir ein Ebike, nach dem Kauf wieder loswerden möchte, ihn verkaufen möchte, muss man sich einreihen in die Riege der Händlerinnen und hoffen, dass das Argument, der Gegenstand, sagen wir ein Elektroherd, ist ja gebraucht, hat Kratzer usw., nicht allzu mindernd auf den Preis auswirkt.

Ich schweife mal wieder ab. Bitte entschuldigen Sie. Es war nur mal wieder ein Auge-auf-Monitor-Moment, in dem ich nicht umhin konnte, ein paar Zeilen zu schreiben. Muss doch geschmeidig bleiben, das Hirn, um Großes zu schreiben irgendwann.

PS: Telefonbuch, Waschmaschine und das Fragezeichen.

Das Blog vertont

Beinahe wäre es passiert! Ich hätte mich nachmittags vors Mikrofon gesetzt und einen Blogeintrag gesprochen, also nicht einen schon geschriebenen Blogeintrag gelesen und ver-em-pe-dreit, sondern statt zu schreiben ihn live ins Mikrofon diktiert.

Telefonate und andere Querelen kamen dazwischen.

Beflügelt und auf die Idee gebracht, dass man ja statt zu schreiben driekt aufs Mikrofon einreden könnte, hatte mich, dass ein erster Beitrag nun auch als mp3-Datei fertig geworden ist. Die Schauspielerin Silvia Bervingas hatte ‚Haferflocken, die halbe Miete der Künstlerernährung‚ gestern gelesen.

Es ging recht flott und ganz zwanglos. Wir tranken Kaffee, rauchten Zigaretten, schwätzten ein wenig. Zwischendurch las Silvia den Text probe, den ich ausgedruckt hatte und das war auf Anhieb gut. Im Audiofile, das ich in den oben verlinkten Artikel eingefügt habe, findet Ihr den zweiten Anlauf, eingelesen im Irgendlinkschen Atelier mit einem guten Mikrofon an einem lautlosen Raspberrypi und mit Audacity zurecht geschnitten und entrauscht.