Der Reiz der Live-Produktion

Nun doch. Die Straße nach Gibraltar wird, trotz möglicher Unreinheit, hier fortgesetzt. Das Problem einer Veröffentlichung im Testblog ist, dass das Testblog offline auf dem selbstgebastelten heimischen Server läuft, also nicht mit dem Netz verbunden ist. Das wiederum verdammt das Buch Straße nach Gibraltar, welches mir als Beweis für eine Live-Reise dienen soll ins stille Kämmerlein. Das trifft auch mein Credo: Ein Mann ein Blog. Man soll sich nicht verzetteln. Es ist ein Leben, ein Mensch, viele Erinnerungen, eine Straße, jede Kreuzung eine Entscheidung usw. usf.
Wie auch immer. Blogtechinsches Geplänkel, welches mal wieder die Frage nach dem Sinn dieses Blogs aufwirft. Es ist mein Arbeitstableau. Es gibt nur dieses Blog.

Eins ist gewiss. Die Straße nach Gibraltar wird (hoffentlich klappt es besser als bei der richtigen Reise) etwa Mitte Juni hier fertig dokumentiert vorliegen. Den Weg dahin könnt Ihr täglich verfolgen. Verzeiht mir die Tippfehler. Wer weiterhin nur Blogeinträge lesen möchte: Einfach die Einträge mit dem Titel Straße nach Gibraltar ignorieren. Wer nur die Straße nach Gibraltar sehen möchte: Rubrik Straße nach Gibraltar anklicken.

So, und nun nicht weiter über Chaos und Ordnung in diesem Weblog geplänkelt. Hände hochkrämpeln und in die Arme spucken und los gehts äh öh Morgen.

Tag der Arbeit

Wird langsam konkret mit dem Job. Erste Vorstellungsgespräche bahnen sich an. Aus einem Anfall von Ziellosigkeit habe ich das Spektrum der Bewerbungen weit gestreut, weshalb die Zukunft, ganz grob abgesteckt, zwischen virtueller und realer Welt liegt. Beides hat seine Vorzüge. Die virtuelle Welt reizt mich mehr, weil es sich dabei um einen Ast am Baum des Lebens zu handeln scheint, welcher noch viele Verzweigungen verspricht. Will sagen: mach‘ was mit Computer, da kannste was lernen. Die reale Welt hingegen bietet mehr Geschichten. Man muss vermutlich ziemlich feinfühlig sein, um das zu erkennen. Jeder Job hat seinen Reiz, wenn man ihn aus der Perspektive des Beobachters sieht. So habe ich das schon vor einigen Jahren als Postmann gehalten. Eine Fülle von Geschichten, die ich zum Teil in Blog-Form festgehalten habe, waren die Folge.

Gestern mit dem potentiellen Arbeitgeber N. telefoniert. Im Gegensatz zur Spediteurin, welche LKW-Fahrer nachts für 5 Euro pro Stunde ohne Spesen sucht, bewies N. Humor, indem wir über Kunst schwadronierten und er diagnostizierte: „Draf ich also davon ausgehen, dass sie derzeit finanziell nicht ausgelastet sind?“ Sowas gefällt mir.

Und so kann ich nur immer wieder rege behaupten: Bei der Jobsuche müssen die persönlichen Parameter stimmen und nicht die materiellen (darüber haben wir noch gar nicht geredet). Und: ob ein Mensch einem liegt oder nicht, erkennt man fast immer in den ersten Sekunden.

Wie auch immer. Nachmittags geschludert und mit Kokolores einen Spaziergang in der Kaiserslauterer Gegend gemacht. Dort gibt es eine so genannte Elendsklamm. Fast wie in Bayern. Enge Schlucht, durch die ein wildromantischer Pfad führt mit vielen Brücken und Treppen. Elend ist in diesem Fall übrigens mit fremd zu übersetzen. Es stammt vom mittelalterlichen alilendi (lat. alienus). Die Schlucht war seit jeher eine Grenze.

Nun, da ich dies schreibe, ist’s sonnig. Wird ja doch langsam Frühling. Im Ofen schnurgelt das Feuer. Seit einer Stunde sollte der fünfte Teil der Straße nach Gibraltar online sein. Hab ihn zurück gestellt, weil mir Bedenken kommen. Ich glaube, er zerschießt das Blog? Von mehreren Seiten erkenne ich, dass diese fiktive Geschichte mit wahrem Hintergrund als bares Blog wahrgenommen wird. Ich werde das Projekt in meinem Testblog weiterführen und erst wenn es fertig ist, veröffentlichen.

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anfang (Bild, Link entfernt 2016-11-26)

Montag, 17. April 2000 – Der Mann im Kreis
Frühmorgens schon wach. Besser gesagt: die ganze Nacht immer wieder aufgewacht, mich hin und her gewälzt, im Halbschlaf wild geträumt. Das Leben draußen nicht mehr gewöhnt. Isomattenschlaf ist anders als Bettschlaf. In der Morgendämmerung kochte ich einen Kaffee, um mich aufzuwärmen. Die Nacht war eiskalt. Das Zelt innen ganz klamm von der Kondensfeuchte des eigenen Atems. Obendrein hatten mich die Güterzüge, die jede Stunde durch das enge Tal donnerten wieder und wieder geweckt.

Als ich in die Rezeption ging, um zu bezahlen, lag eine lokale Zeitung auf dem Tisch. Oben prangte ein Artikel mit dem Titel „La Vie Dans une Circle“ (oder so ähnlich). Ich übersetzte: Ein Leben im Kreis. Es ging um einen Landstreicher, der schon seit Jahren in dieser Region lebt und auf seinen Wegen einen Kreis beschreibt: wieder und wieder kehrt er an ein und die selben Orte zurück. Soweit ich den französischen Artikel zu interpretieren vermochte lebte der Mann auf einer Fläche von gut 7000 Quadratkilometern. Sein Wohnzimmer sei ein Kreis, seine Garage ein Erdversteck in einem sumpfigen Terrain irgendwo an der Saar, in dem sich unter Zweigen versteckt ein altes Mountainbike befindet. 7000 Quadratkilometer, errechnete ich, sind ein Kreis von etwa 100 km Durchmesser. Der Mann war Herr über ein riesiges Revier, in dem er eine weitläufige Behausung sein Eigen nannte. Unter jener Brücke unweit von Straßbourg mochte sich sein Wohnzimmer befinden. Neben einem Bahndamm bei Sarre-Gueminnes eines seiner Schlafzimmer. Die zahlreichen Fernsehgeräte, aus denen er seine Alltagsinformation bezog stünden in öffentlichen Gebäuden, Kneipen, kleinen Bars vielleicht auch diese hier – die Rezeption des Campingplatzes Plan Incline?

Ich bezahlte meine Rechnung und mit Gedanken an den seltsamen Berber, welcher im großen Kreis lebt, stieg ich aufs Fahrrad und folgte dem Tal Richtung Arzviller. Steil berghoch, denn ich musste die 35 Höhenmeter, die die Kanalschiffe in einer überdimensionalen Badewanne den Berg hinauf geschleppt werden per Muskelkraft erkämpfen. Abseits der Straße zeugten verwitterte Schleusen von einer Zeit vor der „Badewanne.“ Wie lange mochte ein Lastkahn wohl früher benötigt haben, bis er, von Schleuse zu Schleuse fahrend, den Hügel überquert hatte? Oben erspähte ich zu meinem Erstaunen einen Tunnel, durch welchen der Kanal führte. Die ehemals dem Lastverkehr dienende Schiffahrtsstrecke zwischen Rhein und Marne ist nun zu einer wunderbaren Touristenroute geworden.

Während ich so vor mich hin kurbelte, musste ich wieder an den Bettler, den Mann im Kreis denken. Was ihn wohl auf die Straße getrieben haben mochte? Wie er zu dem werden konnte, der er heute ist. Ich dichtete ihm eine langsame, schleichende Entwicklung an, in welcher er als ganz normaler Mensch gestartet war und über die Jahre hinweg hatte sich sein Leben geändert, vom Arbeitnehmer war er zum Arbeitslosen geworden, vom Liebenden zum Enttäuschten, vom vom Erfolgreichen zum Versager. Vom Menschen, dem zunächst alle Möglichkeiten offen gestanden hatten, und der die freie Wahl gehabt hatte zu gehen, wohin er nur wollte und zu tun und zu lassen, was ihm gerade in den Sinn kam, war er mutiert zu einer seltsam abgewrackten Kreatur, dazu verdammt im Kreis zu leben. Vielleicht hatte er seine Frau verloren? Dann Alkohol. Dann die Straße?

S. kam mir in den Sinn. Ich sah sie neben mir liegen, damals, in guten Zeiten und, während ich durch die Tristesse des Hochplateuas zwischen Rhein und Marne radelte, war mir, als spürte ich ihren Atem, hörte sie seufzen, während sie schlief, lachen, weil etwas Sinnloses aber Komisches passiert war. Sie war so nah. Das machte mich sentimental. Ich versuchte die Gedanken zu verscheuchen vom süßen Frieden, indem ich das Bild von vorgestern hervor rief: Sie auf dem Tisch mit ihm, meinem Nachfolger, seltsam geleckter Latin-Lover, dann der Sturz, bei dem sie mich vom Hocker riss, so als hätte sie mir doch noch etwas zu sagen: Halt mich, rette mich. Und der Lover lief blutend zum Klo und sie lag auf dem Boden, weinte und ich rappelte mich auf, rieb mir die Hüfte und ging.

So verging der zweite Tag der Reise mehr Innen als Außen. Von der Umgebung nahm ich nur wenig wahr. Im Reisetagebuch notierte ich: km 95, links, ganz schwarz, hohe Vogesenberge und: km 141, Ebermenhil, Hunger! sowie: km 144, zw. Ebermenhil und Laneauville Durst!

Hidden Art Item # 1 und 2

Okay, heute gehen die versteckten Kunstwerke Nr. 1 und 2 unter die Erde.

Hinweise auf die Koordinaten von Item # 1 findet man in der Kunststraße Zweibrücken-Landau bei km 75,6.

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Schon verpackt: Item # 1, 16 signierte Künstlerkarten, somit unikat – Empfehlung: aufheben, nicht verschicken. Ansicht: Postkarten

Ein echtes Schnäppchen: Wer Kunstwerk Nr. 1 findet, erhält dort die Koordinaten zu Kunstwerk Nr. 2, die A 8 Wutz.
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Die A 8 Wutz, eine Fotoinstallation mit Schwein, etwa 10 cm groß.

Handelsübliches Schwein klammert Foto des zerfledderten Autobahnhinweisschilds in Peppenkum.

Findige Kunstsammler bitte hier den Fund kommentieren oder mir eine E-Mail an info@europenner.de schicken.

Kunstwerke behalten und nach Belieben bezahlen.

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anfang (Bild, Link entfernt 2016-11-26)

Und also schrieb ich ins Reisetagebuch

17. April 2000, Campingplatz Plan Incline, nähe Lutzelbourg. Ganz in der Nähe des berühmten Schiffshebewerks, welches eine 35 Meter hohe Differenz im Canal du Marne au Rhin überbrückt. Tonnenschwere Kanalschiffe werden in einer riesigen Badewanne den Hang hinauf gezogen. Beinahe lautlos. Das scheint DIE Attraktion in der Gegend zu sein. Das Tal ist eng. Mein Lagerplatz liegt zwischen Straße und Bahnlinie, obendrein in einer Einflugschneiße – wohin? Straßbourg? Sarrebruck?

In dieser frühen Jahreszeit ist noch nicht viel los auf dem Campingplatz. Ich bin froh, dass er überhaupt geöffnet ist. Am Anfang einer Reise, allein unterwegs ist zwischenmenschliche Seelsorge ziemlich wichtig. Will sagen: es ist wichtig, jemanden zu treffen, bzw. wenigstens jemanden in der Nähe zu wissen. Die Platzwarte leben in einem großen Wohnwagen. Frau Platzwart stapft mit Gummiestifeln umher. Sie kommt herüber und fragt, ob ich zufrieden bin. So blicke ich von meinem Notizbuch auf. Wir halten ein Schwätzchen über das Reisen im Allgemeinen und das Radreisen ganz besonders, ihr Vater habe die Route 66 gemacht per Rennrad und dass er es nie wieder tun würde.

Überall auf dem Campingplatz ist Wasser. So hoch sind die Pfützen, dass man mit den Pedalen unter Wasser kommt, wenn man radelt. Das Schwimmbad ist verwaist. In der angegliederten Kneipe trinken Männer Wein. Sie reden, wild gestikulierend, elsässisch oder lothringisch, wie auch immer, eine Sprache, die dem Pfälzischen sehr ähnlich ist und ich sie somit gut verstehe. Flipperautomat und Tischfußball. Kaum eine Möglichkeit, einen trockenen Platz für mein Zelt zu finden. Auf einer Art Hochpunkt unweit des Schwimmbeckens fand ich eine halbwegs trockene Stelle.