Glatt vergessen zu publizieren: Notiz vom letzten Freitag

Vielleicht hat Frau Freihändig, die Hauptstadtethnologin ja recht: Weniger Bloggen ist gar nicht so übel.

Mein Grund fürs Nichttun ist intensive Kunstarbeit. Da die Kunst kompliziert und in keiner Weise Easy-Reading ist, taugt sie nicht fürs Blog.

Trotzdem: am Morgen, nach drei Schlechtwettertagen wieder in den Wäldern unterwegs, durch die ich das Bliestallabyrinth lege. Schon einige Orte ausgespäht für die vier Hidden Art Objekte, großformatige Fotocollagen, die ich in Kunststoffrohren wasserdicht in der Erde versenken werde.

Gedenke Mitte Mai mit den Roharbeiten am Labyrinth fertig zu sein. Dann ist alles virtualisiert und ich kann es mit Photoshop in ausstellungsgerechte Portionen verarbeiten. Mitte Mai ist sowieso Deadline. Dann soll auch das Buch „Straße nach Gibraltar“ vom Tisch sein. Es wächst täglich.

Tja und dann? Kokolores sagte vorhin am Telefon, wir verdingen uns bei Bosch, bauen Einspritzpumpen für 3000 Autos und 500 Traktoren, danach machen wir eine Weltreise. Klingt gut.

Tja, das liebe liebe Geld. In seiner Bedeutung überbewertet, macht es mir zu schaffen. Es ist ein Kopfproblem, kein materielles. Der Wurm schmeckt nach dem Apfel in dem er lebt. Viele Würmer, die gemeinsam in einem Apfel leben, beinflussen durch ihre Stimmung den Geschmack eines Apfels. Wenn viele Würmer in eine Art Massenwurmhysterie geraten, weil sie Angst haben, zu wenig vom Apfel abzukriegen, dann hat das gewichtige Auswirkungen.

Die Erde ist ein kranker Apfel – aber guut.

Wörschweiler Notizen

Gestern wieder Kunst „geschafft“. Das Bliestallabyrinth sieht aus wie ein Schmetterling. Die Galerie liegt am Kopfende. Das einsame Gehöft liegt am rechten Flügel. Am Linken Flügel befindet sich der dunkle Kirkeler Wald, steil und voller Felsen. Dort spritzt das Wasser aus dem Berg. Es gibt Höhlen und Bunker und Felsen und die Klosterruine Wörschweiler thront auf einer Kuppe über dem Bliestal. Vor einigen Jahren fürhte meine Hausstrecke mit dem Mountainbike über das Kloster durch den Wald bis zu den Sieben Fichten und zurück. Beim Radeln kommen mir oft gute Ideen. So entwickelte ich eine Geschichte, die „Wörschweiler Notizen“ heißen sollte. Sie handelte von einem Knecht im Mittelalter, der tagein tagaus, ein und die selbe Arbeit verrichten musste. Sein Tagesablauf war so streng gegliedert, dass selbst die geringste Abweichung davon das Verderben bedeutet hätte. In philosophisch konzentrischen Kreisen wollte ich den Weg, den ich bereiste, als Muster nehmen für die Vollendung modernen Lebens und daraus die Grundformel ableiten: „Lerne das Leben, schaffe dir deine eigene Realität, in der du dich auskennst und in der du dich wohl und geborgen fühlst und sodann laufe im Kreis … laufe einfach im Kreis.“

Die Hausstrecke ist eine Runde, die der moderne Mensch alltäglich absolviert, um seinen Körper fit zu halten. Manche joggen, andere fahren Rad oder nordicwalken. Das Geheimis der Hausstrecke ist, dass man ihre Länge ganz genau kennt. Man weiß wann wo welche Steigung auftritt und hinter welcher Kurve sich der Straßenbelag ändert. Tagein tagaus. Die Hausstrecke gibt einem Ruhe und Kraft und weil man genau weiß, was kommt, muss man auch keine Angst haben. Die Hausstrecke ist ein Muster, das sich durchs Leben zieht. Dieses Muster lässt sich auf fast alle Situationen anwenden. Die Arbeit und die Liebe zum Beispiel. Man ist stets bestrebt, Abläufe zu erforschen, und sie dann zu wiederholen.

Erstmals wurde mir dieses Prinzip bewusst, nachdem ich einen Urlaub im Süden verbracht hatte und es mich im nächsten Jahr genau an den selben Ort zog – warum? – weil es im Vorjahr so spannend war und weil ich, ein Jahr später, im fremden Süden angelangt, eine unheimliche Harmonie zu dem Ort empfand. Das Muster der Hausstrecke trifft auch auf die weitaus längere und seltener frequentierte Urlaubsstrecke.

Zurück ins Labyrinth. Ein gut Stück weit habe ich es in den Kirkeler Wald verlegt, nicht zu Letzt in der Hoffnung, dass ich mit den Fotos, die ich darin aufnehme in die hochauflösende Satelitenzone gelange (und somit das Projekt auch bei Mapquest oder Google-Maps verankern kann).

Und die Hausstrecke? Eines Tages im Herbst hatten Holzfäller im gesamten Wald dafür gesorgt, dass die Wege nur noch unter Qualen befahrbar waren.

Der Knecht? Es gibt eine historische Figur, die die Vorlage lieferte. Der Knecht wurde eines Tages geheißen, Schlangen, die im Klostermauern Wärme tankten zu verscheuchen. Dabei verursachte er einen Großbrand, der das Kloster und die umliegenden Hütten bis auf die Fundamente zertörte.

Mündliche Überlieferung

Kokolores hat mir einen Anrufbeantworter geschenkt. Es gibt keine Bedienungsanleitung. Auch im Netz war nichts zu finden. Mit Kokolores hin und her gemailt. Sie sagte, sie konnte das Ding erst verstehen, nachdem ihr Vater es ihr erklärt hatte.

Back to the Roots: der Trend geht zur mündlichen Überlieferung. So sitzen wir abends beim Lagerfeuer und erzählen einander die uralten Geschichten vom I-Pod.

Diverse Tätigkeiten

Vorhin an der Straße nach Gibraltar weiter gearbeitet. Der Bildteil kommt so langsam ins Lot. Der Textteil? Hoffe, dass ich das Rohscript bis Mitte Mai fertig habe. Es wird ein Buch über die Liebe. Momentan keine weiteren Abschnitte veröffentlicht, weil ich mit den neuen Passagen an meine bloggolerischen Grenzen gestoßen bin. Will sagen: manchmal muss ich an Geschriebenem wirklich hart arbeiten und kann es nicht direkt veröffentlichen. Die Inhalte werden nach und nach hier zu finden sein.
Das Bliestallabyrinth wächst auch. Beim Eingeben der Geokoordinaten wurde mir bewusst, was für eine verfluchte Verwaltungsarbeit hinter dem Projekt steckt. Noch ist von den Kunstwerken kaum etwas sichtbar. Das gesamte riesige Konzept befindet sich im Kopf, aber die ersten Entwürfe musste ich den Galeristen für die Vorankündigung schicken. Was habe ich gemacht? Erstens: den Plan der Region mit allen Waldwegen und kleinen Pfaden gescannt, dann mittels Bildbearbeitung eine Ebene eingefügt, in die ich das Labyrinth skizzierte. Ca. 40 km lang schlängelt es sich bis fast vor die Tore der Galerie, um dann in einem Bogen wieder hinaus in die Wälder zu führen und durch die wildromantische Guldenschlucht zurück nach Zweibrücken. Dann wendet sich die Kurve wieder der Galerie zu, jedoch nicht im direkten Weg, sondern durchs Zweibrücker Flieger-Viertel (dort heißen die Straßen nach berühmten Luftfahrtpionieren, Udet zum Beispiel und Richthofen, Lindbergh und Messerschmitt) … wo war ich, ach ja, mitten im Labyrinth, also, im Zick Zack durchs Fliegerviertel dann in ein Gewerbegebiet, zurück auf die Hauptstraße, dann endlich hinüber zur Galerie.

Ich werde nun noch ein paar Bilder und Geopunkte einholen. Das Bliestallabyrinth führt nämlich direkt an der Künstlerbude vorbei. Ich bin der friedfertige Hochseefischer der Kunst.

Konzeptkünstler R.

Gestern, drunten n der Stadt, herrschte reger Betrieb vor den Banken. Missmutig fingerten die Menschen mit ihren Kontoauszügen, verzogen das Gesicht. Vor der Sparkasse traf ich Konzeptkünstler R. „Lange nicht gesehen, alter Freund.“ Er berichtete von einer Reise nach Hierro, wo ihm seine Tante ein Grundstück vererbt hatte. Dort hatte er über Winter sein Zelt aufgeschlagen. Jeden Tag lief er hinunter zum Atlantik und baute einen Steinstapel, genauso, wie er es vor vier Jahren in 50 km Abständen am Rhein getan hatte.. „Die Dinge kommen und die Dinge gehen,“ lächelte er verschmitzt. Ich versuchte mir das Bild vorzustellen: ein gebückter Fremder – auf einer winzigen Insel mit nur 10.000 Einwohnern vor der Küste Afrikas – stapelt Lavastücke, die schon am nächsten Tag von den unermüdlichen Wellen des Ozeans in die Tiefe gerissen werden. So verging sein Winter.

Ich erwähnte mein Buridans-Dilemma. Da sagte er: „Es gibt nur ein Dilemma, nämlich nicht zu wissen, ob es sich bei dem Problem tatsächlich um ein Dilemma handelt.“