Vom Wert des Menschen

Da habe ich mal wieder zu viel geglotzt und die Bilder mischen sich im Kopf. Sud der Verwirrung: ProSieben-Containerladungen gefälschter Turnschuhe werden geschreddert, um Schaden von der Volkswirtschaft abzuwenden.

– Zap – ein arbeitsloses RTL2-Pärchen versucht das letzte aus dem Harz-Vier-Amt heraus zu schinden. Sie überlegen NPD zu wählen, doch was sollte das bringen? „Ich habe noch nie gewählt,“ sagt sie, „ist auch besser so, denke ich.“ Manchmal nehme ich mir eine Portion Intoleranz und werfe sie über die Bilder wie Jesus sein Netz. Lasset uns zu Bilderfischern werden.

– Zap – zwei MTV-Rapper haben sich die Zähne vergolden lassen und versuchen den Mädchen zu imponieren. „Igitt,“ sagt die Eine, „joa, warum nicht, beschwichtigt die Andere.“

– Zap – Ex-Bigbrother-Internierter J. versucht die Zuschauer zu einem 9life-Gewinnspiel zu überreden: „Findet ein Wort mit -auto … um Himmels Willen, das kann doch nicht so schwer sein. Ruft einfach an. Oder ruft Ihr etwa nur bei dubiosen Sendern an, bei denen bauchfreie Mädels mit 90er Oberweite die Gewinnspiele moderieren?“

– Zap – bauchfreies Mädel mit 90er Oberweite will wissen Wort mit -haus. Auf der Tafel steht: Baumhaus, Krankenhaus, Freudenhaus.

– Zap – jemand lief Sat1-Amok in einer Realschule.

– Zap – schon wieder diese scheiß Turnschuhe, für 5 Euro pro Paar in China produziert und 400-tonnenweise nach Hamburg geschmuggelt.

Da es regnet, zappe ich mich rüber ins Atelier. Im Atelier ist das Dach ungedämmt. Umso romantischer klingt dort der Regen.

– Zap – Regen auf mein Dach. Asche in mein‘ Ofen. Stoßweise Atem in der Luft. Im Schein der Stirnlampe sieht das unheimlich aus. Ich denke über Schuhe nach. Woraus sie bestehen: Leder und Kunststoff

– Zap – „Denk‘ weiter, Mann, woraus besteht Leder, woraus besteht Kunststoff?“ zap „Tiere und Öl“ zap „Weiter, Mann, weiter, woraus ist Öl, woraus Tiere?“ zap „Tiere aus Getreide, Öl aus öhm? Arbeit? Getreide aus öhm Arbeit?“ zap „Woraus besteht Arbeit?“ zap „Lebenszeit, schreib’s laut, LEBENSZEIT.“ Deiner und Deiner und meiner und auch aus der Lebenszeit von Afrikanern, Chinesen, Managern.

Eine flüchtige Kunstbübchenrechnung ergibt, dass nicht nur Schuhe aus Lebenszeit bestehen, sondern jedes andere Produkt auch.

– Zap – ein Punker regt sich über die Ungerechtigkeit in der Welt auf. Er kann seine These jedoch nicht hinreichend begründen, sondern redet nur vage von Ungerechtigkeit, so dass man denkt, „jajaja, hast ja recht, aber jetzt falle mir nicht weiter auf die Nerven.“

– Zap – der Punker lässt sich nicht wegzappen, setzt hinzu, „darauf hab ich keinen Bock.“

– Zap – ich schalte den Rechner ein, um diese Zeilen zu hacken.

Woraus bestehen die Worte?

Aus Buchstaben.

Aus Pixeln.

Aus Bits und Bytes.

Aus Einsen und Nullen.

– Zap – aus Lebenszeit.

– Zap – hab ich gerne gemacht.

Weltweit und doch zu Hause.

Auch ein Slogan. Leider keine witzige Gleichung parat, mit der man ihn verwandeln könnte.

Der schnellste Firmenwagen ist nutzlos, wenn man im Stau steht. Spediteur M. kroch 40 Tonnen schwer mit 30 km pro Stunde Richtung Heimathafen. Fand ich bedrückend. Nur noch zwei Ausfahrten und er würde es geschafft haben. Die Luft roch nach Gummie und verbranntem Öl und ich stellte mir vor, ich hätte im Mai, als ich die Chance hatte, beim Spediteur angefangen. Vielleicht säße ich nun in dem Truck? Zitterpartie.

Derweil überlegte ich, beim örtlichen Elektrogiganten vorbei zu schaun und einen Hub zu kaufen für das geplante Netzwerk. Entschied mich für Stau und anschließendes Ebay. Weltweit und doch zu Hause.

Telepathische Schreibung mit Dr. Treznok

… saß ihm gegenüber, mechanische Schreibmaschine zwischen uns. „Unter welchem Namen veröffentlichst du?“ „Irgendlink,“ sagte ich. Mit zwei Fingern hackte er Irgendlink in das Formular. Er beobachtete mich. Ich fragte mich, ob er merkt, dass ich nichts denke? Bohrender Blick. Er legte los. Buchstabe um Buchstabe klackten auf den Zettel. „Ich denke doch gar nichts, was schreibt der denn?“ dachte ich … und: „Ups, jetzt habe ich ja doch etwas gedacht, ob er wohl gerade schreibt, ich denke doch gar nichts, was schreibt der denn?“

Er arbeitete konzentriert, hob den Blick von der Schreibmaschine und wieder zurück. Zeile um Zeile legte er auf das Blatt. Ich dachte darüber nach, ob es überhaupt möglich ist, gar nichts zu denken. Irgendwas gaukelt doch immer. Ich schloss die Augen. Das Klacken wurde lauter, zudem traten die Hintergrundgeräusche hervor. Menschen murmelten in der Kunsthalle. Aus der Küche floss Knoblauchduft in den Raum. Kürbis, dachte ich, Kürbis mit Knoblauch und Zwiebeln. Wie von ungefähr setzte ich ein Mjam-mjam-lecker-lecker hinzu. Wohlgemerkt nur gedacht. Weiß nicht, ob alberne Pilze in der Pfanne schmorten. Der Knoblauchgeruch übertünchte alles.

Hinter ihm an der Wand hing Kunst. Als ich die Augen wieder öffnete schaute ich auf eine Lehrtafel für Soldaten, welche den Plan einer Stolperfalle zeigte. Schöne Skizze mit Wald im Hintergrund und einem Netz aus Stacheldraht, das man genau soundso in einigen Zentimetern Höhe breitflächig ausbringen musste, um den Feind zu behindern. Fiese Sache. Dort wo der Wald war, stand groß Feind mit einem Pfeil daneben, wie er nichtsahnend auf die Stolperfalle losstürmt. Plötzlich assoziierte ich das Schreibmaschinenhacken mit Maschinengewehrfeuer.

He Mann, wolltest doch nichts denken, dachte ich.

Die Walze ratterte. Dr. Treznok zog das Papier aus der Schreibmaschine: „Hier, dein Gedicht. Das hast du geschrieben. Ich war nur das Medium. Du kannst es unter deinem Namen veröffentlichen. Alle Rechte Irgendlink.“

Ich nahm das Blatt und las Dinge aus tief in meiner Seele, alberne Pilze und Quallen, platt am Strand und wer Gott geschaffen hat.

Nur: Wenn du weder Telepathie, noch an sonst etwas glaubst und Dr. Treznok behauptet, er habe das Gedicht nicht geschrieben, sondern du; wer hat dann das Gedicht geschaffen? dachte ich.

(12. 11. 2006 Kunsthalle Schwaab, Ingelheim)

Ihm gegenüber, nichts denkend

vor vielenvielen Jahren
gabs mal kein Universum
nur Quallen im Meer
und alberne Pilze im Nirgendwo

da sprach ich: es werde
und es ward, Licht und so
und dann was alles so ist

das Werden ist auch im Sein
so geht es voran Schritt für Schritt
das ewige Bleiben, die Quallen
die gehn platt am Strand
und sehn alt aus

das kann ich auch!
und so schuf ich Gott