Der Haken mit der Schweizer Alleskönnerweckuhr

Es hatte noch nicht geregnet, als ich perversfrüh um drei Uhr drei erwachte. Die Nacht lag still. Der Traum, den ich verließ war bizarr. Im fein eingerichteten Atelier lebte ich mit etlichen Freunden, die alle in irgendwelchen Nischen im Atelier wohnten – ähnlich wie in einer Kindersendung mit Hermann van Veen, die in einer Windmühle spielt. Dort schlief sogar jemand im Schrank. Es herrschte Aufruhr, weil es uns partout nicht gelang, ein einziges Licht, hoch oben im Gebälk, total unzugänglich, auszuschalten und wir suchten alle Schalter und Sicherungskästen zwischen Spinnweben und in hölzernen Winkeln. Plötzlich tauchte eine Schar Besucherinnen und Besucher auf und machte sich im verwinkelten Atelier breit. Mitten in der Nacht. Und es wurden mehr und mehr. Man muss sich das Atelier als fünfzig Meter lange, zehn Meter breite, acht Meter hohe, staubige Scheune vorstellen, die in verschiedene, nach oben offene Räume und Alkoven gegliedert ist, ein Labyrinth aus Kunst und anderen Relikten. Ein bisschen Steampunk-Charme mit viel altem Zeug, aber fast alles bestand aus Holz. Wenn ich es mir recht überlege, weicht meine Vision, hier und jetzt, jenseits des Traums gar nicht mal so sehr ab von dem Bild, das das Atelier im Traum war. Ein über die Jahre gewachsenes Gebilde der Selbstarchivierung im Kollektiv mit Künstlerkolleginnen und -kollegen. Drei Uhr drei wusste ich deshalb, weil ich aufs Handy schaute, nachdem ich erwacht war und ich war so wach, dass es mir angebracht schien, aufzustehen und mich an den PC zu setzen. Der Fluch der freien Zeiteinteilung. Du kannst aufstehen wann du willst, schlafen wann du willst, einen völlig abstrakten Lebensrhythmus kannst du an den Tag legen als Freischaffender. Völlig unbemerkt vom gesellschaftlichen Mainstream führst du ein marottenvolles Leben … nach ein paar unproduktiven Minuten oder gar einer Stunde kroch ich zurück ins Bett. Es hatte zu regnen begonnen. Das Geplätscher auf dem Dach lullte mich in den Halbschlaf. Unzählige Punkte hinter den Augenlidern gaben ein abstraktes Bild wie mit einem alles zerstörenden Filter eines Bildbearbeitungsprogramms erzeugt. Einzig ein helleres Dreieck war zu erkennen, ja, man muss sich das Halbschlaftraumbild vorstellen wie das Bildrauschen eines nächtlichen Röhrenfernsehers in den 1970er Jahren, schwarzweiße, flackernde Punkte mit Kratzgeräusch, Schnee, wie man so schön sagte. Nur, dass mein Bild violett-bläulich gefärbt war mit einzelnen Punkten der Komplementärfarben angereichert und eben, es gab da noch das merkwürdige, etwas hellere, ebenfalls gesprenkelte Dreieck, das sich im Einerlei des Gepunktsels unbeirrt hielt. Als ich die Augen öffnete, erkannte ich, dass das Dreieck der Ausschnitt des Dachfensters war, der durchs fahle Nachtlicht auf meine Augenlider projiziert wurde. Ich dachte darüber nach, das alles aufzuschreiben, schlief ein und erst um halb sieben weckte mich die Schweizer Radioweckuhr, die ich kürzlich reaktiviert hatte. Das Problem der Radioweckuhr ist, dass sie ein Eigenleben führt. Neben Weckfunktion und Uhr, hat sie noch eine Lampe, was sehr praktisch ist, an den langen Winterabenden vorm Holzofen hockend. Das Licht ist weniger aufdringlich als das Deckenlicht und es lässt sich sogar dimmen. Außerdem gibt es ein Radio. Und das Gerät hat ein digitales Zeitdisplay, was auch sehr praktisch ist, denn meine normale analoge Uhr gab kürzlich den Geist auf und zeigt mal diese, mal jene Zeit, bloß nicht die richtige. Der Haken mit der Schweizer Alleskönnerweckuhr ist, dass sich der Wecker nicht ausschalten lässt. Das heißt, einmal am Tag rappelt das Ding. Ich kann frei wählen, wann. Die Knöpfe, um den Wecker einzustellen, funktionieren prima. Sieben Uhr dreißig schien mir eine probate Zeit. Der Wecker geht nach anderthalb Stunden automatisch aus. Neben Tönen wie Vogelgezwitscher und Meeresrauschen und Grillengrillen gibt es noch die Wahl, sich vom Radio wecken zu lassen. So kam es, dass ich etwa vorgestern in den Nachrichten des lokalen Senders von der bevorstehenden Krötenwanderung im Landkreis erfuhr, und, was soll ich sagen, es war ein erfrischendes Etwas in den Nachrichten im seit Menschengedenken andauernden Corona-Horror-Allerlei.

Ich fand die Radioweckuhr vor einigen Jahren auf dem Sperrmüll in einem Wohngebiet in Windisch in der Schweiz.

Die morgendliche Arbeit sollte sich heute eigentlich um das Passfälscher-Projekt kümmern und um das Buchprojekt mit Albert Herbig und Klaus Harth, Ceci n’est pas une voiture. Doch als ich auf meiner Landkarte am Passfälscherprojekt weiter arbeiten wollte, konnte ich mich nicht mehr einloggen. Der Loginserver zeigte einen Bad-Gateway-Fehler. Zwar ist die Karte noch da, aber ohne Login kann ich sie nicht erweitern und das ist ja der Sinn der Karte, und ich kann auch die Kartendaten nicht herunterladen. Plötzlich wird mir ganz bange und ich schaue, welche Daten in dem Portal womöglich für immer unzugänglich sind, wenn der Bad-Gateway-Fehler nicht von den Betreibern des Servers gelöst wird. Schließlich entdecke ich noch ein offenes Browserfenster der eingeloggten Karte und kann die Passfälscher-Daten sichern. Frühere Projekte? Zweibrücken-Andorra? Radlantix? Müssten gesichert sein hier, lokal. Hoffentlich.

Unbedingt bei weiterer Umap-Instanz anmelden und die Karten doppeln. Und lokal sichern!

 

Zweibrücken-Andorra iDogma-Postkarten

Ein altes römisches Stadttor in Straßenflucht. Daneben modernere französische Stadthäuser, Autos, Mülltonnen. Zwei Bilder auf Fimstreifen mit schwarzem Hintergrund montiert. Links die schwarz-weiß-Version, rechts bunt zehn Jahre später aufgenommen. Titel Zweibrücken-Andorra 2000-2010 km 498.

Ich muss aufpassen. Seit einer Woche wie rausgekugelt aus dem Passfälscher-Projekt, das mir so wichtig ist. Das fuchst mich. Zu viel organisatorisches Beiwerk. Zu sehr mich um Geld kümmern müssen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass dieses sich ums Materielle kümmern müssen einen völlig aus der Bahn wirft. Es ist vergleichbar damit, dass man arbeitet, um ein Auto zu finanzieren, mit dem man zur Arbeit fahren kann. Dass man schnell genug sein muss, um schneller als andere zu sein und als erster die Futterstelle zu erreichen. Dann kommt das unbändige Bedürfnis, zu versagen. Sich zu versagen.

Wenn etwa der Online-Shop nicht auch eine Art Werksverzeichnis wäre, hätte ich die aufwändige, stets im Fluss seiende Software längst eingestampft. Immerhin wurde ein Projekt mit unikaten Postkarten heute Morgen fertig, die Zweibrücken-Andorra-Zeitsprünge.

https://shop.irgendlink.de/produkt-kategorie/postkarten/zweibruecken-andorra/

Nachtrag 7. Dezember 2020: das Projekt ist schon beendet. Die Karten gibt es nicht mehr zu kaufen. Sechs Einzelnmotive wurden versendet. Die Serie insgesamt hatte ich an mich selbst beauftragt, so dass mir für Archivierungszwecke erstmals ein astreiner iDogma-Postkartensatz vorliegt. Faszinierend schöne Karten mit Stempel und Macken. Zudem ist dieses etwa vierte größere Mailart-Projekt wie aus einem Guss.

Insgesamt wurden seit 2015 folgende iDogma-Projekte verwirklicht: AnsKap (mit 169 verschickten Karten das größte und vielfältigste), Gibrantiago, sowie zwei drei kleinere Projekte, die ich noch recherchieren und dokumentieren muss.

Ich nenne es iDogma, weil alle Schritte, die zum fertigen Produkt führen auf einem iPhone oder Smartphone ausgeführt werden. Es ist eine Art ‚Reverse Mailart‘, im Gegensatz zur klassichen Mailart also nicht ein Empfänger und viele Absender, sondern ein Absender (der reisende Künstler) und viele Empfänger (seine virtuell Mitreisenden).

 

 

Novembrig grau umtriebig

Unheimlich langsam geht es voran. Wenn Bloggen wie Eisberg wäre, dann wäre nur ein Fünftel der Arbeit sichtbar. Der Rest läge im Dunkeln. Achwas. So ist es ja auch.

Seit dem Jahrestag der Pogromnacht arbeite ich am Passfälscher-Blog, das ursprünglich eine Art Reise auf den Spuren des Cioma Schönhaus werden sollte. Der Pandemie-Entwicklung geschuldet nur virtuell. Mit dem Finger auf der Landkarte, wie man so schön sagt. Noch ursprünglicher, nach Originalidee aus dem Jahr 2013, hätte die Reise tatsächlich stattgefunden. Ich wäre nach Berlin geradelt in die Sophienstraße zum ehemaligen Wohnhaus von Ciomas Familie, um von dort den Weg per Fahrrad in die Schweiz anzutreten.

Nun geht es virtuell und irgendwie anders als geplant von Statten. Ich bin ein bisschen froh darum, denn eine im Prinzip fahrradtouristische Begleitreise mit diesem schweren Thema würde dem auch gar nicht gerecht.

Das Passfälscher-Blog wächst. Hier im Stammblog möchte ich ab und zu berichten wie es vorangeht und Beiträge posten, die nur am Rande mit dem Passälscher zu tun haben. Dinge, die dazugehören und doch nicht passen wollen werden in dieser Kategorie Passfälscher einsortiert.

Drüben im Passfälscher-Blog habe ich einen Infokasten eingebaut, der die Artikel einbindet, die an dieser Stelle entstehen. Ich hoffe, es klappt.

Unterwegs an diesem novembrig tristen Grautag schon in aller früh, irgendwie arbeitend schreibend, Kunst schaffend, einen Shop verwaltend, recherchierend, sich selbst promotend, System administrierend, grübelnd, allumfassend ganz Mensch seiend wie ich mir das ungefähr vorgestellt hatte.