Diese vor Menschen und Autos überquellende Stadt. Gerade habe ich mit der Caféterrierin der örtlichen Bibliothek geklärt, ob es üblich ist, so wie bei den Ikealäden in Deutschland, einmal Kaffee zu zahlen und dann „for ever“ nachzuschenken. Lächelnd gewährt sie mir einen zweiten, betont aber, mehr nicht. Båstadt ist so eine Art Kurstadt an der Westküste Skånes. 12 km Sandstrand, frische Seeluft. Weder Nord-, noch Ostsee. Kattegatt, zwischen den Meeren, nicht Fisch, noch Fleisch. Für meine Begriffe ein bisschen zu geschäftig. Es fühlt sich an wie das Bad Münster am Stein meiner Kindheit. Leckeis, Minigolf und Streichelzoo. Vor 30 Jahren konnte ich viele Menschen auf einem Fleck noch gut ertragen. Schlange stehen und Gedränge, Wartezeiten und ab und an ein Krankenwagen, der sich mit schriller Sirene durch die Autokolonnen auf der Durchgangsstraße schlängelt. Die Mehrheit der Touristen am Ort ist im Hirnschlag gefährdeten Alter. Auch ich kratze verdammt an dieser magischen Grenze. Vorhin spreche ich ein paar Live-Gedanken i s iPhone, tue so, als würde ich telefonieren. Das Menschengewusel fasziniert mich genau so, wie es mich abschreckt, pummliges, Kaugummie lutschendes Mädchen mit Pickeln, rebellosch verunsichert. Abgemagerter Typ mit fettigen Haaren, schmutzigen Kleidern, kaum 60 und schon auf einen Rollator gestützt. Mit seiner Augenklappe sieht er aus wie ein Pirat. Heerscharen agiler Golfer, das rosarote Sweatshirt lässig über der Schulter. Ein Wohnwagengespann mit der Aufschrift World Freedom und ganz viele Menschen mit ca. 30 cm hohen bunten Boxen, auf denen gedruckt ist Food of Africa. Die gibt es im örtlichen ICA Markt. Ich habe vergessen, zu recherchieren, um was für ein Produkt es sich handelt.
Unser Zeltplatz ist etwa 4 km außerhalb von Båstad direkt an einem wilden Steinstrand. Ein Club Platz. Die Angestellten, bzw Clubmitglieder tragen rote Pullover. Ihren Anweisungen ist unbedingt Folge zu leisten. Vor der Schranke gibt es ein Alcotest-Pustegerät, das einen nur raus fahren lässt (Schranke), wenn man absolut nüchtern ist. Wir sind per Rad unterwegs, nüchtern auf dem gelbarkierten, ca. 35 km langen Rundkurs des Skåne Wanderwegs, der sich um die Halbinsel schlängelt.
Fipptehler bleiben im Text. Schnell absenden aus dem FreeWland der örtlichen Bib.
Burn -out, -in, -over, -under
Geschrieben Dienstag 26. 7. 2011, einzusortieren vor „Vinslöv“.
Die Lieder sind weg. Die Lohntackerei ist weg. Es gibt keine Sorgen. Nordwestwind vertreibt die dunklen Wolken bzw. zerreißt das stahlgraue Einerlei, das uns seit dem Start in der Pfalz verfolgt. Wie lange ist das jetzt her? Die Zeit hat aufgehört, sich anzufühlen. Es begann mit dem Sekundenzeiger, damals in Rendsburg. Einfach stehen geblieben. Nun stehen auch der Minutenzeiger, verharren Stunden. Alles, was noch vor Kurzem war, scheint mir nun vergessen. Ein gutes Maß für den Grad der Erholung ist das Nicht-Vorhandensein von Lulliefullieliedchen-Gestampfe im Kopf. Die Werberadioliedchen, die ich während der Arbeit höre, fressen sich tief in mein Bewusstsein. Begleiten mich auf Schritt und Tritt. Wenn es nicht mehr stampft im Kopf, bin ich entspannt. Ich kann sehr schnell entspannen, seit meinem Todestag vor fast drei Jahren. Am letzten Überstundentag, letzten Mittwoch, sendeten sie im Radio einen Bericht über das Burn-Out-Syndrom. Besonders Lehrer, Beamte und Perfektionisten seien dafür empfänglich und man solle unbedingt einen mindestens dreiwöchigen Erholungsurlaub einplanen, um dem vorzubeugen. Genau die Woche, die ich dem großen Möbelauftrag geopfert habe, fehlt. Als Tacker gehöre ich aber nicht zur Burn-Out-Risikogruppe.
Ein Kohlweißling ziellos über der Wiese. Packgeräusche einer schwedischen Familie mit zwei halbwüchsigen Kindern und zwei schneeweißen Huskies. Ihr riesiges Hauszelt ist jetzt in einer moderat großen Packtasche, die gesamte Familie in einem roten Volvo- Combi mit Dachkoffer. So tingeln sie von Ort zu Ort. Warum die? Warum ich? Warum die SoSo? Warum sind wir stets besorgt, Strecke zwischen uns und die Vergangenheit oder besser gesagt, unseren Alltag zu bringen? Warum nehmen wir das Eine bereitwillig mit und lassen Anderes nur zu gerne daheim? Abstand. Dem Ausbrennen vorbeugen. Neugier. Und last but not least, das ist jetzt persönlich: weil ich darüber live schreiben möchte. Wieder ist gestern die Sinnfrage aufgetaucht, die ich mir schon während der Caminowanderung gestellt habe: würdest Du auch so enthusiastisch lustvoll reisen, wenn du nicht zu jeder Tag- und Nachtzeit darüber schreiben könntest? Wieder drücke ich mich um eine Antwort, überlasse es spekulativen, mir wohlgesonnenen Kommentaren, „aber ‚tüürlich würd‘ er das machen, der Herr Irgendlink. Er würd‘ eb’n and’re Wege finden, das Erlebte in Kreatives umzusetzen.“
Gestern Abend habe ich gezweifelt. Haderte: du tust es nur noch um des Live-Bloggens willen. Die Kräfte, die dich treiben, sind identisch mit denen, die dich zur Ruhe bringen.
Nur denken, das wirst du immer.
Vinslöv
Selbstgebastelt: eine Skåne Postkarte mit Motiven von der heutigen Radtour. Genug Sonne, dass es für Schattenwürfe reicht. WiFi gab es bis heute früh auf dem Zeltplatz. Keine Ahnung woher. Die nächsten Gebäude hunderte Meter entfernt. Später war unser Gratisnetz abgeschaltet und wir sind nun durch Vinslöv spaziert, neben der Schule ein offenes Netzwerk mit Parkbank.
Schweden, dann doch
Die Welt im Kopf
In gewisser Weise ist Rendsburg wie Santiago. Eine Kombination verschiedener Vorstellungen, die sich nach und nach bestätigen oder die man nach und nach revidiert. Bin ich im letzten Winter auf dem Jakobsweg gewandert mit der Kurzversion „so sieht es in Santiago aus, nämlich: Pforte, Statue, Loch“ und einem Haufen Mythen im Kopf, aus denen ich mir ein abstraktes Bild der Stadtatmpsphäre geschustert habe, bin ich nach Rendsburg gekommen mit dem Slogan „Brunnen, lange Bank, Rolltreppe untern Kanal“. basierend auf der Email von Kommentatorin Andrea, die mir mit ihren Erzählungen über die Stadt am Nordostseekanal Lust gemacht hat, sie zu sehen. Gestern konnte mein körperliches Ich endlich Zeuge werden, was wirklich ist hier im hohen Norden. Wir folgen dem blauen Strich, der sich kilometerweit vom Marktplatz durch die Stadt schlängelt, und an dem sämtliche Sehenswürdigkeiten aufgereiht sind. Mit Nummern sind sie versehen. Der Strich ist nur in der Fußgängerzone professionell aufgemalt, an anderer Stelle eher lieblos notdürftig gepinselt. Eine Stadt bröckelnden Glanzes. Vorbei an oftmals leeren Ladenlokalen, „zu vermieten“ direkt neben „Sale“ -Angeboten, Mobilfunkladen, wieder und wieder „Sale“ und „zu vermieten“. Aus hohlen Fenstern starrt einstige Pracht und ein armer Mann kauert an einer Ecke und spielt so unglaublich schlecht Gitarre, dass die Leute ihm Geld geben, damit er endlich still ist. Es regnet einen feinen Regen, der nicht weiter stört, ungefähr so wie Mann-mit-feuchter-Aussprache, der eine politische Rede hält.
Der blaue Sehenswert-Strich ist länger als die gestern erwähnten 3,2 km – wie sehr ich das Bild der Welt doch verfälsche, die Bilder, die ich in Euch Lesenden erzeuge durch mein einfaches Sein, mein Dahin-Geplappere, meine herrlich unbedarfte Leichtigkeit … es spielt gar keine Rolle, ob unsere Vorstellungen mit dem, was uns tatsächlich in der echten Welt erwartet, übereinstimmen und eigentlich ist just in diesem Moment für mich doch nur wahr, dass ich an einem frisch gedeckten Frühstückstisch sitze und den Finger über den glatten, winzigen iPhonebildschirm jagen lasse. Ab und zu ein Nippen an der Kaffeetasse.
Und für Dich in jenem Moment, in dem Du das liest, ist wahr, dass Du vorm Monitor sitzst und Dir ein Rendsburg-Bild machst, wo- und wie auch immer.
Bei unserem Spaziergang auf der blauen Linie, erweist sich alles, wovon Kommentatorin Andrea erzählt hat als existent. Sogar der lustige Brunnen, den A. Beschrieben hat, mit den beweglichen Einzelteilen, Gliedmaßen von Messing- Figuren, Schiffsanker, Ziegenköpfe, Schweineohren usw. befindet sich wohlbehalten auf einem Zentralen Platz.
Abends Kino. Der letzte Potter. Neben mir ein kleiner, dicker Mann, der ein Gespräch über das Wetter anzettelt, sodann sein uraltes Handy herauskramt und stolz einen Download beginnt mit Wettervorhersage, Strömungsfilm, allem PiPaPo. Eine Maßnahme, die auf dem iPhone ein Monitorstreicheln dauert. Aufgeregt zeigt er den Ladebalken, der sich bis Filmbeginn voran schiebt, zwei Mal scheitert und es ist mir ein bisschen peinlich, als die SoSo zu meiner Rechten längst den riesigen iPhonebildschirm hochhält mit höchster Farbtiefe astreines Wetter. Über Schledwig-Holstein hängt ein sattes Tief. Aber mein Nachbar bleibt unbeeindruckt bzw. hat vielleicht das iPhone nicht gesehen. Stotz präsentiert er mir den Strömungsfilm, während Tom Riddle den Elderstab aus Dumbledors Grab birgt.
Bild by SoSo



