Welch wunderbare Furche! Kurz vor zwölf lümmele ich am Bahnhof Freudenstadt und weil die Kälte anzieht, es hier oben auf womöglich 600 oder 700 Metern über dem Meer zieht wie Hechtsuppe, bin ich ständig am Tippeln, schaue hier und da. Wie ein fleißiges Bienchen der feinen Künste, das von Blüte zu Blüte fliegt. Bloß dass meine Blüten komisches Zeug sind, das normale Menschen gar nicht wahrnehmen. Wie ein gekritzeltes Ohr verlässt die Reifenspur das Pflaster, pflügt sich durchs Grün einer Verkehrsinsel, das den Winter überlebt hat. Ein wunderbarer Graben am Rande des Bahnhof, wie geschaffen von meinem Künstler-Alterego Heiko Moorlander, der mit tonnenschweren Maschinen marzialische Reifenspuren weltweit hinterlässt. Der im Gegensatz zum mir Noname-Artist-Wicht damit Millionen verdient. Der berühmt ist. Der alles hat was ich nicht habe. The Pleasurecity Golden Ear nenne ich das Kunstwerk, das er hier hinterlassen hat. Es ist kurz nach Zwölf. Ich sehe Frau Lauts Zug einrollen, aber eben noch schnell das Foto mitnehmen. Das Jahr ist zwar noch jung, aber Pleasurecity Schlitzear, so könnte es ja auch heißen, wenn ich über meine politische Korrektheit springe, ist definitiv ein Kandidat für den Moorlander-Kalender 2026. Zack im Kasten. Zack Zug. Zack windet sich Frau Laut durch die unsäglichen Gleisbarrieren und da stehen wir. Halloen uns, plaudern uns warm. Frau Laut will gleich los wegen der Kälte. Hätte aber auch noch ein paar Dinge zu erledigen, die Stadtumgebung erforderlich machen. Bankgeschäfte, Schreibwaren, Lebensmittelkauf. Sollten wir vielleicht besser hier … sag ich, wer weiß, ob da oben im Wald Briefmarken-, Geschenkpapier- Geldläden und was noch alles kommt.
Aber Frau Laut scharrt mit den Hufen. Und ich ja insgeheim auch. Essen und Wasser haben wir genug. Dennoch sei erwähnt, dass es immer richtig ist zu tun was getan werden muss, wenn es möglich ist zu tun was getan werden muss und nicht ins Blaue zu radeln, wo man nicht weiß, ob dort das was getan werden muss getan werden kann.
Wir sind beides Nordkap- Veteraninnen. Wir dürfen dass. Wir wissen etwas von hunderte Kilometer Lappland ohne nichts durchqueren, ohja, was sind wir für herrliche Reisebübchen und -mädchen :-)
Raus aus Freudenstadt vorbei am Hospital. Immerhin gibts eine Sparkasse. Frau Laut tankt Geld. Ich bin ja schon einen Tag on Tour und hab alles. Vermutlich. Und zack, Wald.
Hohe Tannen. Schneeplacken. Kalter Wind. „Ich komme mir vor wie in einem Rainer-Dornburg-Film“, sagt Frau Laut. Ha! Köstlich. Ich muss lachen. Gefällt mir. Besser als Blair Witch Project denke ich; sage ichs? Mag den Humor der Frau Laut. Rainer Dornburg wohnt in der Gegend und auf Youtube gibt es zahlreiche Radreisevideos. Unter anderem spielen die deswegen auch in der Gegend, hier im tiefen, dunklen, winterlichen, kalten, dennoch anheimelnden Wald.
Etwa 15 Kilometer im Sattel rasten wir an einer Schutzhütte. Die Sonne scheint. Wir kochen Kaffee, essen Bananen und Kekse und Brot. Genau da oben haben die geschlafen, der Rainer und seine Tochter. Frau Laut zeigt zu einer Luke über dem Eingang der Hütte. Natürlich alles abgesperrt, aber bestimmt kann man die mieten, jaja, genau da oben. Ich finde das berauschend, so dicht dran zu sein. Rainer ist auch ein bisschen ein Idol. Und jetzt sind wir hier.
Der Radweg führt nordwärts meist auf Waldwegen, die zum Glück nur manchmal von Forstfahrzeugen zu einer Schlammschlacht gemetzelt wurden. Meist läufts gut für uns. Anhand der Schneedichte sehen wir, wie hoch wir sind oder nicht. Das GPS zeigt an manchen Abschnitten 900 Meter und da wirds dann schon schwierig bei Schnee aufwärts wie abwärts. Aber wir haben Ruhe, Zelte mit, eine Liste mit Schutzhütten und überhaupt, hey, wir sind doch Nordkap-Veteraninnen. Du kannst uns gar nichts, Schwarzwald!
Ähm. Naja, untrainierte Nordkap-Veteraninnen, das sind wir. Ich muss ganz schön schnaufen auf diesem Pamir-Highway des kleinen Mannes, der kleinen Frau, obschon er mehr oder weniger den Höhenlinien folgt, gehts doch immer wieder auf und ab. Frau Laut hat zudem mit Krämpfen zu kämpfen, beide Oberschenkel und ob ich denn wüsste, wie man das dann dehnen muss, so rum oder so rum, um dem entgegen zu wirken, fragt sie verzweifelt. Ne, weiß ich nicht. Sie schaut im Internet nach. Wir schieben. Der Frost ist da. Die Sonne bald weg. Hier oben auf den Weiten tun sich unbewaldete Wiesen auf, herrscht gemeiner Wind. Es hilft nichts, Langsamkeit ist unser Freund, unsere Freundin. Gen Besenfeld.
Was erwartet uns dort? Gibt es da alles, was Frau Laut noch kaufen möchte? Wegen der Weite hat man einen wunderbaren Blick über das kleine Dorf. Es wirkt nicht so, als gäbe es dort überhaupt etwas außer Kirche, Häuschen, Glascontainer, weiter weiter weiter, streifen wir durch das Dorf. Frau mit Kind vorab. Ich frage, gibts da einen Laden, aber ja, sagt die Frau, gradaus, vorbei am Rathaus, linke Seite, beste Pizza der Welt. Der Dorfladen erweist sich als geradezuer Glückstreffer. Im Netz lese ich, nun da ich dies schreibe, dass es ihn nicht immer gab. Im Jahr 2014 wurde er eröffnet. Warm. Freundlich. Bereich mit Tischen und Stühlen zum Hocken. Wir kaufen Brot und Lebensmittel und Bananen. Es gibt sogar Magnesiumtabletten und Geschenkpapier. Bloß Briefmarken, die gibt es nicht. Wärmen uns auf. Der Abend naht. Wir sind auf der Wasserscheide zum Enztal. Bald gehts nur noch bergab. Schauen die Navis an, wo die wenigsten Höhenmeter sind, die wenigsten Bundesstraßenabschnitte, denn mit den wiederkehrenden Oberschenkelkrämpfen ist beides Gift. Auch abwärts rollen ist mühsam. Eigentlich ist alles Gift. Die Kälte beißt. Im Westen geht die Sonne. In der Dämmerung irren wir im Wald hinüber zu einer kleinen Kreisstraße, die ins Enztal füht. Dunkelheit. Wir bleiben auf der Straße. Sie ist wenig befahren. Wir haben viel Licht.
Gompelstal, Enzklösterle. Die Welt gefriert. Weit kommen wir nicht mehr. Meine Finger steigen langsam aus, sprich, tun es der Welt gleich und gefrieren. Zum Glück hatte ich mir Schutzhütten gemerkt im Enztal. Zwei Stück unmittelbar bevor. Bei der zweiten bauen wir unsere Zelte auf, kochen uns auf dem Trangia Nudeln, guter Laune. Frau Lauts Zelt ist klein genug, dass es unters Vordach der Hütte passt und ich muss mit meinem Zelt draußen unter dem unheimlich klaren, funkelnden Sternenhimmel bleiben. Wie mit dem Stechbeitel geschnitzter Mond.
Ich friere beim Lesen.
Schön, wie du Worte findest, die Stimmung zu malen und zu schnitzen.