Seit Tagen im Gegenwind, dünkt es mich. Das Zelt hatte ich mit Blick auf die Heldburg an einem Waldrand recht günstig im Windschatten aufgestellt. Frisch geerntete Nutzwiese. Zwei drei Hochsitze ringsum. Das macht mich stets ein bisschen nervös, fühle mich sozusagen placebobeäugt und rechne damit, dass mich nachts ein Jäger weckt oder ein Schuss oder ein Vieh. Obschon das bisher nie der Fall war. In jener Nacht höre ich nur das rhythmische Geklappere eines Wellblechdachs auf einem der Hochsitze. Ansonsten still. Guter Schlaf.
Morgens bin ich meist recht früh dran, sagen wir zwischen sechs und acht Uhr, fertig gepackt im Sattel und je nachdem, ob ich noch Notizen mache, dauert es auch mal etwas länger.
Nachvatertagsverschlafenes Städtchen Heldburg. Ich frage mich Richtung Könishofen durch, irre ein bisschen umher, bis mir eine Frau mit Hund, der mich während der Plauderei konsequent verbellt, den entscheidenden Hinweis gibt: Über Gellertshausen vorbei an einem Stausee bis nach Alsleben und zack. Gesagt getan. Einkauf im kleinen Dorfladen in Gellertshausen. Vier Männer hocken davor an einem Kaffeetischchen, fragen, woher, wohin, das Übliche und geben mir kleine Anekdoten zum Besten. Nämlich dass Gellertshausen in diesem Zipfel Thürgingens in Bayern die einzige Gemeinde ist, die keine Grenze zur Zonengrenze hatte und dass man in diesem Zipfel zu sagen pflegte, ringsum Westen, nur im Norden, da ist Osten.
Gen Alsfeld die Saalequelle. Genauer, die Quelle der Fränkischen Saale. Genauer, eine der beiden Quellen der Fränkischen Saale. Die andere ist ein paar Kilometer weiter nördlich. Gefasster Brunnen, aus dem das Wasser sich aus dem Boden zu drücken scheint, über einen Überlauf hinab plätschert und schon gleich ein kleines Bächlein bildet.
Wetter macht mir zu schaffen, sowie auch die inkonsequente Radwegesitution. Ich hätte gerne einen schönen Fernradweg, der mich zuverlässig voran bringt. Stattdessen hangele ich mich von Dorf zu Dorf. Ab und zu sind Großrichtungen ausgeschildert in dreißig Kilometer entfernte Orte. Mellrichstadt ist so einer. Da muss ich hin. Ist aber nicht immer auf den Schildern. Ich rate voran. Das Wetter wird übel. Gerade so schaffe ich es, vor einem Regenschauer, mich unters Vordach einer Leichenhalle zu retten. Herbstadt. Jackpot. Steckdose. Ich lade das Handy und schreibe einen Blogartikel. Kein Netz. Wind weht Regen herein. Nicht sehr gemütlich. In einer Regenpause radele ich weiter und zwei Dörfer später erwischt mich fast ein Wolkenbruch. Gerade so schaffe ich es unter ein Dach. Ratet. Das der Leichenhalle. Keine Steckdose, aber dafür Internet. Blogartikel hochladen, Regenschauer aussitzen, vierzehn Uhr, laut Wetterapp ist das Gröbste vorbei. Unterwegs hatte ich mehrfach zwei Wanderinnen überholt. Was wohl aus ihnen geworden ist, frage ich mich. Langsam und schutzlos bei dem Sauwetter.
Die App hatte mich angelogen. Kaum habe ich den Schutz der Leichenhalle verlassen, plätschert es ein finales Mal los. Nicht so schlimm, aber doch genug, um ordentlich nass zu werden. Verflixt.
Im nächsten Dorf treffe ich die beiden Wanderinnen wieder. Respekt. Die sind schnell, bzw. ich hab ja auch stundenlang getrödelt. Zwei Frauen, die auf Wallfahrt waren. Die Simmelshäuser Wallfahrt, meine ich mich zu erinnern, sagten sie. Sie spendieren mir eine Zigarette. Ein Mann, der zu einer Geburtstagsfeier möchte direkt gegenüber des Hüttchens, in das wir uns verzogen haben, gesellt sich zu uns. Peter, Bass-Sänger, leidenschaftlicher Wallfahrer, und so erhalte ich einen Crashkurs in Sachen Wallfahrt. Ich muss sagen, das klingt ganz faszinierend, was die drei mir erzählen. Peter geht noch schnell rüber zu seinem geburtstierenden Schwager und holt uns ein Bier und wie von Gotteshand reißt der Himmel auf, die Sonne trocknet und wärmt uns. Bier und Zigaretten. Das Über-die-Stränge-Schlagen des kleinen Mannes sozusagen.
Treu bleibt nur der Wind von vorne. Und Mellrichstadt, wo ich endlich wieder Lebensmittel kaufen kann und vergeblich versuche, bei einem Intersportladen eine lange Unterhose zu kaufen. Es gibt nur neumodernes Laufkundenzeugs, also Laufhosen für teuer Geld mit Schnickschnack und aus widerlichem Stoff, nichts, was man sich nachts im Schlafsack an die Beine tun würde. Es soll kalt werden, sagt die Wetterapp, sechs Grad nachts. Versuchter Hosenkauf. Aber als Anklagepunkt vorm großen Reisegericht. Den angepeilten Campingplatz in Bischofheim in der Rhön schaffe ich nicht gegen den Wind. 17 Kilometer entfernt gebe ich mich geschlagen, zelte wild auf einer Wiese hinter einem Sägewerk.
Es ward kalt die Nacht. Verdammt kalt.
Auch hier hat sich der Mai in den April zurück entwickelt, es regnet immer wieder heftig und es bläst nun schon den 4. Tag mächtig aus dem Westen. Ich habe schon oft an dich gedacht.
Glück auf!
„Seit Tagen im Gegenwind, dünkt es mich.“
Und das Saubloede daran: je schneller Du radelst, desto staerker wird der Gegenwind. 🤣
Sorry , aber diese dumme Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen. 😉
Das stimmt allerdings auch. Immer wenn ich stehen blieb, dachte ich, was will ich überhaupt, ist doch nur ein laues Lüftchen. Aber eben, man merkt es. Vor allem das Rauschen im Ohr nervt auf Dauer.
👍