Russische Yakwolldecken und  irgendwas mit ‚Nöt‘ zum Essen

„Wolle Militärspaten kaufen? Gummistiefel? Ganzkörpermückenschutz? Hausschuhe? Babbig süßes, längliches, bräunliches Etwas mit der Aufschrift Nötkola?“ Wie ein Drahtgeflecht gewordener Lude steht ein alter Einkaufswagen voller rostiger Spaten vor dem Alles-Laden. Eigentlich wollen wir Brot kaufen, aber die Hoffnung, dass in dem gut besuchten Geschäft auch nur irgendein nützliches Lebensmittel zu finden ist, schwindet mit dem Überschreiten der Türschwelle. Alte, mechanisch zu öffnende Klapptüren. Drinnen ist es düster, bzw. neonbeleuchtet irgendhell und es gibt: alles. Also wirklich alles an Haushaltswaren und Kleidern, was man sich nur denken kann, beziehungsweise, was man hier im schwedischen Outback eben so braucht. Anglerbedarf neben Duftkerzen, Teller und Tassen und so weiter und so fort. Ich nenne diese Läden Alles-Läden und ich liebe sie. Der letzte, den ich besucht habe liegt schon eine Weile zurück: 2016 in den weißen Dörfern Andalusiens auf dem Weg nach Gibraltar und davor, meine ich mich zu rinnern, habe ich den letzten 2015 in Karesuando an der schwedisch-finnischen Grenze besucht. Dort gab es sogar Ganzkörper- Stechmücken-Verhüllungen. Quasi die Burka Lapplands.Hier nun wieder ein Alles-Laden namens Albrecht & (und den zweiten Namen habe ich leider vergessen). Hudiksvall querab. Das ist eine kleine Stadt an der schwedischen Ostseeküste zwischen Gävle und Sundsvall, oder gröber gesagt zwischen Stockholm und dem äußersten nördlichen Zipfel der Ostsee. Die Gegend heißt Jungfrauenküste, verrät uns eine deutsche Auswanderin, die in Axmarsbruk einen feinen Laden betreibt, in dem man Honig und Senf aus eigener Produktion kaufen kann.

Wir haben uns nach einigen Problemen auf dem Campingplatz in Hudiksvall einquartiert, mussten erst lernen, dass um diese frühe Jahreszeit bei Leibe nicht alle Campingplätze geöffnet sind. In Stockholm, vorgestern, scheiterten wir in einem feinen Waldgebiet südlich der Hauptstadt vor der heruntergelassenen Schranke eines hermetisch abgeriegelten und streng videoüberwachten Geländes, weil die Rezeption um 19-Uhr-spät schon geschlossen war und wir telefonisch niemanden erreichen konnten, der uns den personalisierten Einlass-Code verrät. Fast jeder Campingplatz in Schweden hat eine Schranke und fast alle sanitären Einrichtungen sind durch Code- oder Chipkartensystem oder Schlüssel vor Eindringlingen geschützt.

Vor dem Campingplatz in Tullinge, der ganz nahe neben einem muslimischen Friedhof im Süden Stockholms liegt, telefonierte ein eigenartiger Kerl sich die Ohren wund, weil sein Code nicht mehr funktionierte. Man kann immer nur einmal rausfahren mit dem Code und wieder herein. Das heißt, das System verbucht einen als auf dem Camping oder nicht auf dem Camping. Binäres Camping-Chimären-Dasein. Der Mann, der aussah wie ich mir einen japanischen Yakuza vorstelle, war eine Woche unterwegs (in an outlike state, um es mal schrödingeringisch zu sagen) und man hatte ihm den Code unterm Hintern weg geändert. Vielleicht. Dass sich viele seltsame Gestalten in der Gegend herumtreiben, sagte er, dass er sein Auto nur ungern draußen lasse. So entzauberte er den dichten, hügeligen Wald, mit dem wir noch bis eben geliebäugelt hatten, wildzuzelten.

Sattdessen rauschen wir weiter auf der E4, drei oder vierspurig mitten durch Stockholm. „Da, das Schloss“, sagt Frau SoSo, aber mein Blick ist längst auf Nordkurs gerichtet. Außerhalb kaufen wir ein, tanken voll. Die Läden haben oft bis 22 Uhr geöffnet. Benzin gib es, Kartenzahlung sei dank, immer.

Theoretisch könnten wir in die Nacht hineinfahren bis weit über das 350 Kilometer entfernte Sundsvall hinaus. Was heißt Nacht: in diesen Breiten geht die Sonne um halb zehn unter und gegen vier wieder auf. Die Dämmerung dauert ewig. Richtig dunkel ist es höchstens drei Stunden lang.

Wir entscheiden uns gegen Brachialnord, zelten stattdessen auf einem Parkplatz in der Gemeinde Sigtuma bei einer Art Freilichtmusum. Ein altes Dorf wurde auf vier fünf Hektar hügligen Landes liebevoll restauriert. Falunrote Gebäude auf grüner Wiese, Schwengelpumpe, bizarre landwirtschaftliche Geräte. Man muss Viby nicht gesehen haben. Dennoch ein Idyll.

Die Mutter aller Idylle dürfte jedoch Hornslandet sein. Am Ende der Halbinsel nördlich von Hudiksvall verzeichnet die Karte einen Campingplatz, den wir ansteuern. Schon von der E4 aus ist Hölick ausgeschildert. 33 Kilometer. Auf der Stichstraße hinunter zum Zipfel ist kaum Verkehr. Das Zauberland zwischen Felsen und Bäumen und Meer hält am Ende einen kleinen Hafen bereit, ein paar Häuschen, in den Wäldern sind Ferienhäuser verteilt und der Camping … ist eine einzige Baustelle. Der Besitzer bedauert am Telefon, dass sie erst am 1. Juni öffnen. Wir umso mehr, denn der Ort ist absolut still. Gäbe es keine Möwen und andere Vögel und würde der Wind nicht in Bäumen rauschen und Wellen ans Ufer schlagen, man würde ab-so-lut nichts hören. 

Einziger Trost, das Internet ist für schwedische Verhältnisse grottenlangsam, so dass wir wenigstens einen Pluspunkt einfahren, als wir auf dem auch sehr feinen und zwar nicht ganz so idyllischen Campingplatz Hudiksvall einchecken.

Die Nacht war erbärmlich kalt, vielleicht sechs Grad. Gegen drei Uhr in der Dämmerung unter rotem Morgenhimmel schürten wir für eine Weile den Spirituskocher, um die durchfrorenen Körper wieder auf Temperatur zu bringen. Heute werden wir im Alles-Laden nach Decken schauen. Vielleicht etwas russisches, aus Jakwolle.

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