Dieser Tage – Verbuddeln des seit Jahren Unverbuddelbaren

Dieser Tage. Also Anfang März, das sei für die Akten gesagt, falls Zukunft A eintritt. Dieser Tage fiel die Entscheidung für eine Radreise mit Open End und Open Ziel. Grob ist die Richtung, nordwärts, angedacht. Grob ist der 17. Juni als Starttag angedacht. Nein, ziemlich exakt.

Der 17. Juni ist ein besonerer Tag für den Radareisenden in mir. Er ist die Wiege meiner Radtouren- Leidenschaft. Die ersten Radreisen von der Nordpfalz zum Bodensee, gemeinsam mit meinem Vater und Freunden, starteten wir meist in der 17.-Juni-Woche, also um jenen ehemaligen Feiertag der BRD, der sich Tag der Deutschen Einheit nannte.

Der 17. Juni ist eigentlich zu spät, um mein – grob – geliebäugeltes Ziel zu erreichen, den Polarkreis bei Mitternachtssonne zu überqueren. Aber egal. Ich habe in den letzten Monaten geübt, suboptimale Lebens- und Arbeits- und Vorankommensbedingungen zu durchstehen. Ein Springen über den inneren Schatten des Perfektionismus, der mich mein Leben lang schon ausbremst. Und wenn es nicht der 9. Mai werden kann, die Tour ohne Ziel und mit offenem Ende nordwärts zu starten, so bin ich auch mit dem 17. Juni zufrieden und ich bin sogar damit zufrieden, einfach daheim zu bleiben. Denn ich habe genug erlebt. Alle Ziele sind erreicht. Es gibt eigentlich nichts mehr zu tun für mich als das Leben so gut es geht zu genießen. Und Neugier. Aber ohne Gestaltungswillen.

Das Ende des Gestaltungswillens ist auch ein Neuanfang, in eine Laissez-faire Phase einzutreten und sich von der Gegenwart überraschen zu lassen. Ja, vielleicht ist so das echte, tiefe, unillusorische, nicht von anderen Zeitmodi verstellte Erlebnis von Gegenwart erst möglich? Ich weiß es nicht.

Ich glaube, ich bin seltsam in einem Zustand guten Vorankommens. Selbst wenn ich auf der Stelle trete und mich an Kleinigkeiten aufhalte, treffe ich Entscheidungen oder lasse sie einfach fallen und handele danach, mache dabei Abstriche an mein Selbst an meine im Lauf der Zeit angewöhnten Ansprüche, an die So-sollte-es-seins. Das ist gar nicht mal so übel. Im Tausch Schluderei-und-weiter gegen stehen-bleiben und grübeln, wie ich dieses oder jenes Problem am einfachsten löse, komme ich unversehens voran. Es fühlt sich gut an, längst liegen Gebliebenes einfach zu erledigen.

Letzte Woche war sicher ein Meilenstein. Seit Jahren steht ein Wassertank im Hof der Frau Mama, den wir schon immer mal eingraben wollten. Also eigentlich sollte ich das tun. Ein 6,5 Kubikmeter großes schwarzes Monster. Die Modalitäten, wie es begraben wird, sind schon seit Anbeginn klar: Bagger mieten Loch graben, Monster rein, zuschaufeln. Aber mach das mal, wenn du es noch nie gemacht hast und nur eine vage Idee hast, wie es geht. In Gedanken habe ich das Ding schon hundert mal vergraben.

Dieser Tage zog eine wandernde Baustelle am Hof der Mama vorbei. Fünf Männer verlegten Glasfaser mit zwei Baggern, Rüttler, kleinen LKWs. Brachiale Kerle, die ordentlich ranklotzen. Also frag ich mich samstags zum Polier durch, ob sie nicht Kapazität hätten, mal eben schnell ein Loch …? Zack. Nachmittags nach der Schicht rücken sie an, und verbuddeln das Ding.

Das Verbuddeln der großen scharzen Monsters, des seit Jahren Unverbuddelbaren bringt eine Art Lawine ins rollen. Von Fleiß und Ehrgeiz gepackt nehme ich weitere kosmetische Operationen am einsamen Gehöft vor, und auch in der Künstlerei bin ich fleißig. Schneide einen Kunstfilm, räume Datenspeicher auf, rette den PC der Liebsten und und und. Ich kann gar nicht glauben, wie flott das alles geht. Fast gerate ich in einen Schaffensrausch. So müssen sich Bluthunde fühlen, wenn sie das Eisen im Saft riechen. Runter zum Waldrand, zwei im Winter bereit gelegte Eichenstämme hochschleppen, Brennholz, Brennholz, Brennholz immer wieder.

Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen. Wichtig ist, dass vieles geschieht auf engstem Raum und in engster Zeit und auf einer zweiten Schicht meines Daseins gaukelt auch wieder die Reisekunstlust. Ja ja. Anfang März wurde der Grundstein gelegt, so vermerke ich es hiermit als Aktennotiz. Der Sommer wird zeigen, ob ich tatsächlich aufbreche.

Vermutlich bin ich gerade in einem quantenphysischen Wechselzustand, in dem mehrere Zustände gleichzeitig stattfinden, bis sich einer am Ende durchsetzt?

Wichtig ist, einfach drauflos, merke ich.

Das gilt auch für diesen Artikel, den ich nicht beabsichtigte zu schreiben, der mir eigentlich zu grob und unreif scheint, aber im Nachhinein muss ich sagen, klar wird der veröffentlicht! Wichtig ist doch auch, für die eigene Dokumentation zu arbeiten. Falls einem doch einmal etwas Bahnbrechendes gelingt, man plötzlich gefragt wäre auf dem Markt, sind die Chronistinnen und Chronisten froh, auch solche Tagebucheinträge zu finden?

Ich hab nichts zu verlieren. Das Blog ist frei. Niemand muss es lesen und nur einer, nämlich ich, muss es schreiben.

Dir, der Du bis hierher last, sei gedankt.

 

7 Antworten auf „Dieser Tage – Verbuddeln des seit Jahren Unverbuddelbaren“

  1. Entschuldige bitte, daß ich diesen Kommentar schon weit vor dem Zuendelesen hinterlassen muß.
    „… und ich bin sogar damit zufrieden, einfach daheim zu bleiben. Denn ich habe genug erlebt. Alle Ziele sind erreicht. Es gibt eigentlich nichts mehr zu tun für mich als das Leben so gut es geht zu genießen. Und Neugier.“
    Wow. In dem kurzen Stücklein eine Art Resignation UND GLEICHZEITIG deren Negation und vollkommene Absurdität und Unmöglichkeit untergebracht! Wow.

      1. Jö, lieber Emil, hab Dank für den lieben Kommentar. Ich hab die Anführungszeichen für Dich gesetzt und das stron-Tag rausgenommen, so dass es hoffentlich so ist wie Du es gerne haben nmöchtest.
        Die „Negation bei gleichzeitiger Rücknahme“ ihrer selbst und die daraus resultierende Zuversicht hatte ich nicht im Blick, aber das trifft es genau!

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