Hinterm Chasseral #UmsLand

Ob ich einen Umzug mache, fragt mich der Radler auf französisch. Er ist nicht viel schneller als ich, kurbelt im ersten Gang, Wind umzaust uns und in den windstillen Momenten brennt die Sonne. Comment, frage ich, denn ich verstehe es nicht, wenn mich jemand auf französisch fragt, ob ich einen Umzug mache. Deutsch? Ja. Also wiederholt er die Frage auf deutsch. Schon ein bisschen despektierlich. Dass ich das Zelt dabei habe und überhaupt, rund um die Schweiz radele und so kommen wir ins Gespräch.

Eigentlich hatte ich vorgehabt nach zwei gut zueinander stehenden Bäumen Ausschau zu halten, um die Hängematte aufzuhängen, ein bisschen zu ruhen. Es dürfte Mittagszeit sein. Kurz zuvor hatte ich am Ortsrand von La Sagne (ja ja, den Ort gibts tatsächlich im Kanton Neuenburg) etwas gegessen, denn unerwartet stellte sich mir der Neunprozenter in den Weg, den wir gerade hinauf ächzen, naja, eher gemütlich plaudern. Mein Mitfahrer hat ein schnittiges leichtes Gravelbike mit fein genoppten, breiten Reifen. Ich wundere mich, dass er sich mit mir aufhält. Scheint neugierig geworden. Er entpuppt sich als Deutscher aus Berlin, der über München nach Dortmund nach Tübingen nach Annecy nach Neuchatel kam. Ich frage, ob das beruflich bedingt ist, dass er so oft in andere Orte wechselt, er sagt nein. Ist halt rastlos. Mikroelektronik-Ingenieur. Kein Wunder also, dass er mir die Steigungsrate beim Radeln auf Basis der angewendeten Energie ausrechnet und als Faustformel ausspuckt, 20 cm pro Sekunde bei einer Leistung von 200 Watt, was die Leistung eines recht fitten Hobbyradlers sei, der mitsamt Radel und Gepäck hundert Kilo wiegt.

Wir reden über dies und das, eine Röhrkarre überholt uns, wie ich sie hasse, die Sinnlosbrutalröhrer – fast immer Männer natürlich. Wozu, wozu, wozu und Christian, so heißt mein Berliner Elektroingenieur, erklärt, dass das eben in der Schweiz das Mittel ist für den Schlechtverdiener, der bei 4000 Franken einen Hilfsjob macht, um seinen Status zu zeigen. Andere tun das mit betonburgenähnlichen Eigentumswohnungen, aber die kann man sich mit 4000 CHF ja nicht leisten. Obs stimmt? Was bleibt ist der Lärm, wie er um die Kurve verhallt und um die nächste Kurve und die übernächste Kurve noch leiser wird. Manchmal verschluckt sich das Autochen und dann gluckert es so schön aus dem Auspuff. Nicht schön finde ich das. Der Bub am Steuer siehts wohl anders. Es ist Teil seiner Persönlichkeit.

Christian warnt mich vor Zecken, die seien ganz arg hier in der Gegend und in der Tat hatte ich schon vier Stück, die ich mit der Pinzette ziehen musste im Laufe der Reise. Ich hatte Engadiner Zecken, Vogesenzecken, bisher noch keine Jurazecken. Toi toi toi.

Vor uns hin plaudernd vergesse ich meine Müdigkeit und schwupp sind wir oben auf der Wasserscheide zwischen Rhein und Rhone, so sagt es ein Schild. Mein Mitradler will Richtung Le Locle, ich bleibe auf der Juraroute Nummer 7, die so gut wie keine größeren Städte durchquert. Dass dem so ist, ist ein bisschen problematisch wegen des Einkaufens.

Am Morgen hatte ich wohlweislich noch in Travers eingekauft mit Blick auf zwei Tage, den Sonntag noch eingeplant, Obst, Milch, Brot, Ölsardinen. Die schmecken zwar nicht, aber sie sind gut, um den Hunger zu stillen und die Fette der Fische seien ja auch fürs Cholesterin gesund, hört man.

Ab Travers führte die Route auf einer kaum befahrenen Bergstraße strikt berghoch. Gleich hinter dem Ort steht ein Schild, das die Kennwerte der Route anzeigt. Steigung 9,4 Prozent. Sieben Kilometer berghoch bis zu einem Berg, dessen Name mir gerade nicht einfällt. Jeden Kilometer steht ein solches rotes Hinweisschild für Radler, das – es ist auf französisch, erst nach einer Weile lerne ich, was die Werte bedeuten – den jeweiligen Steigungswert des nächsten Kilometers anzeigt. Mal sind es nur 8,9 Prozent, Mal exakt 9, weiter oben sind es plötzlich nur noch 5 und irgendwann sogar -0,1 Prozent.

Schließlich findet man sich in einer Art Hochebene und dann kommt der Wind. Heftiger Gegenwind. Was wäre es schön zu radeln durch die weiten Wiesen vorbei an einzelnen Gehöften, fern die Ränder der Wälder auf den umgebenden Bergen. Der Wind ist wie Bergfahren ohne aufwärts zu radeln. Die Gegend macht mir Angst. Ich kann mit zu viel Weite nicht gut umgehen. Kämpfe mich trotzdem weiter. Bis La Chaux de Fonds führt das Hochtal.

Ein Abstecher nach le Locle lohnt insofern, als sich dort eine unterirdische Mühle befindet an einem Fluss, der vollständig im Berg verschwindet. Frau SoSo und ich hatten die Sehenswürdigkeit einmal besucht, wirklich beeindruckend. Ich empfehle es meinem Radelbegleiter Christian.

Später La Chaux de Fonds. Stadt der Uhren. Großes Zentrum. Hochhäuser auf 1000 Metern, das Bogota Europas, scherze ich mit mir selbst. Wie nicht von dieser Welt. Eigentlich führt der Radweg in zwei Kilometern Entfernung daran vorbei. Ich radele trotzdem runter in die Stadt, noch etwas einkaufen. Feierabendbier und Bananen. Zwei goldene Regeln des Fernradelns sind: Wenn du einkaufen kannst, tu es. Und wichtiger: Wenn Du deine Trinkflaschen füllen kannst, tu es. Auch in der Schweiz! Obschon es da ja überall Brunnen gibt. Nicht so im Jura. Auf der Strecke ab La Chaux sind Brunnen Mangelware. Ich bewege mich kilometerweit durch hügeliges Hochland. Ein kumuliertes Auf und Ab. Wunderbare Gegend. Stille. Enge, kaum befahrene Sträßchen. Ab und zu Restaurants, Hofläden. Manchmal gibt es nur Eier zu kaufen, andere haben feste Öffnungszeiten und man kann ein reichliches Lebensmittelangebot kaufen, sogar Brot gab es in einem Laden, doch der schloss samstags um 12 Uhr.

Der Chasseral taucht auf. Höchster Berg des Juras. Man kennt ihn fast nur von der „Vorderseite“, der dem Seeland zugewandten Seite. da kann man ihn in der Umgebung von Biel/Bienne gut sehen, meine ich. Die Hinterseite ist auch ganz hübsch. Wander und Radeltourismus. beschaulich und ruhig.

Am Abend verzeichne ich knapp 70 Kilometer auf dem Tacho. Bin hundskaputt vom Auf und Ab und vom Gegenwind. Auf einer frisch abgeräumten Wiese finde ich ein Plätzchen für mein Zelt in einer Mulde ganz am Rand. Stille. Zunächst.

Doch gegen Dämmerung kommt die Kuhherde der Nachbarweide zu mir herüber, beäugt mich neugierig, grast, widerkäut und die Kuhglocken bimmeln verdammt laut. Zum Glück nicht die ganze Nacht.

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