Von Stechmücken, Tyrannen, von Viertaktgebrumm und Elend in zehntausender Potenz

Ich erschlug die einzige Stechmücke am Hof. Ich reparierte die Pumpe um einen übrig gebliebenen Kubikmeter Wasser aus einem Fass zu saugen und im Garten zu verbringen. Ich dachte über Permakultur nach. Über Wandel, Hoffnung, Zukunft, Perspektive jeder Art.  Über Despoten, und abgrundtief ungerechte Gerichtsurteile (dass es überhaupt eine Anklage geben kann, wenn jemand Kritik übt, ist am Abscheulichsten), die es mir per Nachrichten ins Hirn spülte. Der Weg vom autoritären Tyrannen zum Thema Geld mag einem schwer nachvollziehbar sein. Ein paar Balkenmäherrunden später sinniere ich jedenfalls über Geld und Wirtschaftskreisläufe und darüber, wie schmutzig die wirtschaftliche Interaktion ist. Das onkeldagoberteske Geldbad, das in den Lustigen Taschenbüchern so niedlich wirkte, hat eine schreckliche Fratze. Ein Bad im Elend Abgehängter.

Ich sollte Geld nicht mehr benutzen. Es ist wie Luft und Wasser, trägt den Schmutz korrupter Geschäfte in sich. Sobald du es nutzt, machst du dich mitschuldig. Nein, es ist schlimmer als schmutzige Luft und schmutziges Wasser. Es lässt sich nicht reinigen. Die Schuld, die darin steckt ist imateriell. Mit jedem Einkauf unterstützt du autoritäre Systeme, förderst Unterdrückung, Menschenhandel, Gewalt, Krieg, Sklaverei. Homöopathisch verdünntes Elend steckt in fast jedem Handel.

Ich mähte schweren Herzens den geschundenen – ja, was ist das überhaupt, dieses hellbraune Gewirr aus Halmen, teils einen halben Meter hoch, aus dem ein paar gerade noch grüne Brennnesseln ragen, durchsetzt von vertrocknetem Laub – Rasen? Ist es nicht! Seit Mai habe ich die Fläche unter den Obstbäumen nicht mehr gemäht, habe überhaupt nichts gemäht, was leidet unter der Trockenheit, dachte, das kommt schon gut, wenn du es verschonst, das Grün. Denkste. Nun musste es sein, denn die Äpfel werden reif und ich habe keine Lust, im hohen (ahahaha, er hat es hoch genannt) Gras unter den Bäumen nach ihnen zu suchen, also kurbelte ich den Balkenmäher an, sonor brummendes Benzinding, und zog meine Kreise unter allen zu erntenden Bäumen in der Südwiese. Es gibt Quetschen. Viele liegen schon unten. Voller Würmer. Aber es gibt heuer immerhin welche. Quitten hängen auch ein paar. Hmm? Bevor ich den Reinhard-Hamann-Baum mähe, sammele ich wohl besser die schon gefallenen Äpfel auf. Viele sind es nicht und klein sind sie. Zum Saft keltern taugen sie dennoch.

Einen ganzen Korb voll habe ich aufgelesen und als ich nach oben schaue, sehe ich, dass kaum noch welche am Baum hängen. Und dass die wenigen ganz winzig sind wie die gefallenen Äpfel, also brauche ich die Wiese unter diesem Baum gar nicht zu schinden.

Den Reinhard-Hamann-Baum habe ich nach meinem Künstlerkollegen benannt, der vor einigen Jahren sein Zelt unter dem Baum aufgeschlagen hatte. Es war schon Herbst. Zuvor hatte er die gefallenen Äpfel auf einen Haufen gelesen, fast eine Kunstaktion. Während eines Festivals blieb er neben anderen Zeltleuten ein paar Tage am Hof. Das muss vor zehn Jahren gewesen sein. Vor drei Jahren starb Reinhard. Seitdem heißt der Baum nach ihm. Ich sollte für jeden verstorbenen Freund, jede verstorbene Freundin einen Baum benennen.

Gedankenverloren schufte ich mich voran zur Nordwiese, wo weitere Apfelbäume stehen. Uraltes Gewächs, kaum beschnitten, aber der Golden Delicious Baum trägt jedes Jahr viele kleine wohlschmeckende Äpfelchen, die einen gar köstlichen Saft ergeben. So schiffe ich mit dem Balkenmäher Spiralen fahrend unter den Bäumen. Trage Helm. Wie oft habe ich mir schon den Kopf gestoßen an den quasimodoesk gewachsenen Krüppeln. Wie oft fluchte ich. Wie oft war ich froh um den Helm. Da geht der Schlag nur ein bisschen ins Genick und es gibt wenigstens keine Schürfwunde. Wie oft hörte ich, selbst durch die Ohrschützer, ein breites Apfelplumpsen auf den weichen Boden. Dieses Mal nicht. Ich schaue nach oben. Der Delicious ist fast leer. Ein einziges Äpfelchen baumelt irgendwo. Sonst keine Früchte. Und von den Jona Gold, den Goldparmenen und wie sie alle heißen, sind auch kaum Früchte zu erwarten. Zwetschgen große Etwase hängen an den Zweigen. Mehr noch. Bisher hat mich noch keine Wespe bedroht. Sie mögen es nicht, wenn man sie in den fauligen, schon am Boden liegenden Früchten mit dem Balkenmäher überfährt. Dann umschwirren sie den Grasmähenden Agressor bedrohlich. Was war das für ein Spurt, als ich unter einem Quittenbaum einmal ein ganzes Wespennest erwischte. Balkenmähermäher müssen lange Beine haben, eine gute Kondition, Reflexe; sie müssen die Eigenschaften von Fluchttieren und Räubern zugleich in sich tragen, um zu bestehen.

Ich bin ein Totengräber. Fast kommen mir die Tränen. Ich wandele wie ein Dead Man, die Kugel längst im Herzen, durch fleisch gewordene Dystopien. Der Balkenmäher ist mir Pferd genug, zwei glatzköpfige Umweltdetektive sind mir auf den Fersen …

Ich habe die einzige Stechmücke am Hof getötet.

2 Antworten auf „Von Stechmücken, Tyrannen, von Viertaktgebrumm und Elend in zehntausender Potenz“

  1. Da kann ich einfach nicht „Gefällt mir“ anklicken, weil das, was Du wunderbar beschreibst, mir nicht gefallen kann.

    Ach, ich hoffe, daß ich nicht so sehr alt werden muß …

    1. andererseits kann man froh sein,
      dass man das noch erleben darf,
      denn was wir nun erleben ist wohl so einmalig
      wie die Einmaligkeit
      die zu unserer Existenz geführt hat.
      Was für ein grandioses Erlebnis!
      gefällt zwar keinem,
      aber dabei sein
      ist alles…

      Sven

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