Wie ein Tagesschaugewinnler im Eins-komma-acht-fünf-neun-Benzin-Billigpreisland

Eins Fünfundachtzig Neun. Sag noch einmal einer, der Christian mit seinem Tankrabatt sei ein Depp. Funktioniert doch. Die Zwohundert ist fern. Ich mit dem Auto unterwegs, weil ich es doof finde, mit dem Fahrrad zur Tanke zu fahren und einen Fünfliterkanister voll zu machen. Irgendwo ist man ja auch Mensch und nicht Heiliger und dann schämt man sich sinnloserweise für Dinge, Verhaltensweisen, Bedürfnisse und dann tut man anders als man täte wie wenn man sich nicht dafür schämte zu tun wie man möchte.

Es ist kompliziert. Ich muss ohnehin jede Menge Zeug kaufen, Lebensmittel, Getränke, besagtes Benzin für den Balkenmäher, um dem überbordenden Gras auf dem einsamen Gehöft zu Leibe zu rücken. Da ist Auto sicher angezeigt. Ach Auto, du wunderbares Allheilmittel! Alleine die Vorstellung, wie man das machen könnte, per Fahrrad, im einen Laden jede Menge Zeug zu kaufen, das man auf dem Fahrradanhänger unterbringen könnte und es dann unbewacht vor dem anderen Laden zu lassen, in dem man auch einkaufen möchte. Bei all den Schurken, die sich draußen in der Welt herumtreiben.

Wir sind ja so was von am Sack, wir Menschen. Ich bin echt froh, wenn es mit uns vorbei ist und der Planet mal wieder Ruhe schöpfen kann. Man seine Dinge draußen stehen lassen kann, ohne Angst zu haben, dass sich jemand daran vergreift. Die Türen haben keine Schlösser in meiner neuen Welt, dann, wenn wir endlich getilgt sind von dem Planeten. Das wird ein feines Ländchen werden, denke ich, in dem die Wesen die Augen aufmachen, bevor sie einen Schritt vorwärts tun, damit sie die Schnecken sehen und auch alles andere Getier und die Blumen … die Schnecken sehen und ihre Füße im Zaum halten, mit denen sie sie achtlos zertreten würden. Die Schnecken, die Ameisen. Alles, was kreucht und zertretbar ist auf diesem Planeten, kann dann endlich aufatmen, wenn diese Trampel, wir, gegangen sind.

Zuerst fahre ich mit der Karre mal in den Getränkeladen, eine Kiste Bier kaufen. Gut möglich, dass das Benzin später noch billiger wird. Man sagt, gegen Abend sinkt der Preis, weil alle vor der Tagesschau hocken und sich realen Schrecken reinziehen. Da will niemand mehr tanken und dann kann man ja den Preis senken. Ich bin ein Tageschaugewinnler, denke ich. Es ist kurz vor acht, die Bierkiste ist jetzt mein und nebenan im Lebensmittelladen kaufe ich auch noch allmögliches Zeug, denn die Tagesnachrichten haben noch nicht begonnen im 1,859 Benzin Billigpreisland. Ich wette auf 1, 799, ich Tollkühn, ich Depp. Auf dem Rückweg vorbei an der Zapfsäule, kostet die Brühe immer noch 1,859. Auch recht. So ‚billig‘ war es schon lange nicht mehr. Ich brauche ja auch nur fünf Liter. Also schraube ich den Plastikkanister auf, stelle ihn neben die Zapfsäule. Stecke die Karte in den Automaten, befolge die Anweisungen, gebe die Geheimzahl an, tippe Okay und nix passiert. Die Okaytaste funktioniert nicht. Egal wie fest ich drauf drücke. Ich könnte sie mit der Zunge ablecken und sie würde nicht funktionieren. Andere Karte, gleiches Spiel. Die Uhr tickt. Die Minuten vergehen. Vielleicht fällt ja der Preis, während ich mit dem Automaten ringe, denke ich, sorge mich gleichzeitig um die Konsistenz der Karten. Mit Geld habe ich es nicht so und vielleicht hat sich hinter meinem Rücken etwas auf dem Bankkonto abgespielt, Übles, was mich kreditunwürdig macht, aber vielleicht ist nur der Okaysensor der Zapfsäule kaputt? Es ist spät. Die Leute sind daheim und martern sich mit den Abendnachrichten, alle Säulen frei, also laufe ich mit dem Kanisterchen rüber und probiere das andere Terminal aus. Alles bestens. Karte, Geheimzahl, Technik, Zapfsäule. Nur der Preis steht mittlerweile bei 1,889.

Fuffzehn Cent für einen bärtigen Kerl mit dunklen Augen irgendwo in einem Büro im höchsten Gebäude der Welt, mit Blick auf die aufgeschütteten Inseln im Persischen Golf, denke ich mir. Ein kleiner Preis für einen Ölmulti, eine bittere Niederlage für einen kleinen, knausernden, rechnenden Konsumenten wie mich. Herrjeh. Ich tanke.

Zweifellos eine banale Sache, über die ich da schreibe, die mich auch nicht sehr aufregt. Ist mir eigentlich egal, ob es fuffzehn Cent mehr oder weniger kostet und ob der Automat mich ‚absichtlich‘ so lange hingehalten hat, bis der Preis endlich ’stimmte‘.

Ich hab meinen Stoff. Und genau darin liegt unser gemeinsames großes Problem. Wenn wir unsere Bedürfnisse erfüllt sehen, egal, ob es hakt, ob wir zufrieden sind mit dem Handel oder nicht, aber wir wurden befriedigt in dem was wir wollten, dann kehren wir der Welt den Rücken, machen ein Siegel über alles Miese, was wir erlebt haben (im Fall eine Verzögerung durch einen Bankautomatismus und lumpige fünfzehn Cent mehr) und sagen, gutso. Millionenfach drehen wir abgefüllt abends den Zapfsäulen den Rücken und sagen uns, macht nix, sind ja nur fuffzehn Cent. Hauptsache, der Balkenmäher schnurrt und ich werde dem Gras im eigenen Garten Herr.

Wir sind vereinzelt. Wir sind alleine. Wir sind Gegnerinnen und Gegner an den Zapfsäulen dieses Planeten. Wir würden nie auf etwas verzichten, um vielleicht so etwas wie Solidarität zu üben mit unseren Mitmenschen, tankst du nicht, tank‘ ich auch nicht, lass die doch verhungern auf ihrem Bohrloch – wenn alle gleichzeitig verzichten, hat der Händler ein Problem. Einzelne können aber nichts gleichzeitig. So einfach ist das. Fuffzehn Cent, ach und was sind schon fuffzehn Cent?

Ich habe meine fünf Liter jedenfalls. Und ich werde Unheil stiften damit. Das ist klar. Seit Anbeginn der Zeit wurde nie eine Wiese gemäht, in der kein einziges Lebewesen zu Tode kam. Schnecken, Insekten, Blindschleichen, Mäuse.  Doch das ist eine andere Geschichte.

 

 

5 Antworten auf „Wie ein Tagesschaugewinnler im Eins-komma-acht-fünf-neun-Benzin-Billigpreisland“

  1. Ich fühle mich ertappt. Gleich doppelt, denn so geht es mir auch und auch ich durchschaue diesen Mechanismus. Anfangen mit aufhören will niemand. Und ich meine nicht nur die Zapfsäulen dieser Welt.

    Danke für diesen Text.

    1. Ich arbeite daran. Ich werde aber zu langsam sein. Aber wie es so ist bei der „digitalen Bildhauerei“: die Strukturen sind langsam sichtbar.

  2. Jeder holt sich mal eine Krankheit, die Erde hat halt gerade Mensch. Aber was sind schon ein paar hundert oder tausend Jahre. Langfristig ist sowieso Schluss, wie eine lesenswerte Kolumne in der NZZ kürzlich illustrierte:

    „Die Sonne wird heller, und zwar um ein Prozent alle 100 Millionen Jahre. Das scheint sehr wenig, doch auf das Ökosystem der Erde hat das langfristig drastische Auswirkungen. Die Temperatur auf der Erde wird langsam ansteigen, und das Leben, so wie wir es kennen, kann nur noch etwa 500 bis 800 Millionen Jahre weitergehen. Dann werden die meisten Pflanzen absterben, weil es zu wenig CO2 in der Atmosphäre haben wird.

    Ohne Pflanzen verlieren auch alle Landtiere die Lebensgrundlage. Die Meere werden deutlich schrumpfen, doch in ihnen wird Leben vorerst weiterhin möglich sein. Bald werden aber auch sie verdunsten. Zuerst werden die komplexeren Lebensformen verschwinden, die einfacheren, also Mikroorganismen, werden länger überleben. Die Reihenfolge wird genau umgekehrt sein wie bei der Entstehung und Verbreitung des Lebens auf der Erde. Die zuletzt gekommenen, höheren Organismen werden als Erste verschwinden, und die, die zuerst da waren, werden als Letzte aussterben. Das Wort aus der Bibel, «Die Ersten werden die Letzten sein», ist hier ganz unerwartet prophetisch.

    Die Erde wird in spätestens einer Milliarde Jahren nur noch eine lebensfeindliche, ausgetrocknete Wüstenlandschaft sein. Von den insgesamt etwa 5 Milliarden Jahren, in denen Leben auf der Erde möglich ist, sind schon mehr als vier Fünftel vergangen.“

    https://www.nzz.ch/wissenschaft/sonne-lebensfreundliche-phase-endet-in-einer-milliarden-jahren-ld.1685504

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