Die große Main-Rutsche. Man kann eigentlich nichts falsch machen mit dem Mainradweg. Er ist ziemlich gut ausgebaut, gut beschildert, überall Bänkchen und Ruhemöglichkeiten, Biergärten und Campings. Schon sehe ich mich abends in Osterburken. Ich muss nur noch schnell zur Taubermündung, ein paar Kilometer aufwärts radeln und dann über die Hügel nach Osterburken, von wo aus mich die S1 ohne Umstieg nach Homburg/Saar bringt. Die brachte mich vor vier Jahren quasi wie ein Wurmloch auch zum ersten Abschnitt meiner Reise rund um Bayern.
Das Leben ist nie nur ’schwupp‘, wie man sich das im Hirn so zurecht montiert. Ein Rennradler holt mich aus meinen Speedträumen. Die Tauber, das sind noch achtzig Kiloemter etwa, sagt er. Aber man soll sie sich nicht als eitel Flussradweglein vorstellen, denn es geht da auf und ab und zwar zackig. Für einen Moment fährt er freihändig und macht mit beiden Händen eine Schlangenlinienbewegung.
Nächste Woche startet er gemeinsam mit zehn Freunden auf eine Rennradtour nach Hamburg. Fünf Tage haben sie veranschlagt mit dreißig Sachen pro Stunde. Zudem über Bundesstraßen, denn eins ist klar, selbst wenn nach Hamburg ein Mainradweg führen würde, könnte man nicht in fünf Tagen dort sein. Die Unbilden der Fernradwege sind numal, dass sie nie den geraden Weg nehmen und dass ab und zu oder gar ziemlich oft ungeteerte Stücke dabei sind. Gravel, wie man neudeutsch zu Splitwegen sagt, bremsen einen vorneweg um einige Kilometer pro Stunde. Im Spessart hatte ich auf den ewig langen, gekiesten Waldwegen einmal eine Musterrechnung der okkulteen Höhenmeter gemacht. Jene Höhenmeter, die das GPS gar nicht aufzeichnet. Wenn ich auf jeden Splitstein, den ich überradele zuerst hinauf und dann wieder hinab muss und jeder Splitstein einen Zentimeter hoch ist (ich weiß, das ist zu viel, aber mit eins rechnet es sich besser und es ist ja auch Unsinn, herrlicher Unsinn, der einem durch den Kopf geht, wenn man hunderte Meter weit einen acht prozentigen Waldweg hinauf ächtzt), wenn ich also ein Zentimeter pro Stein mal eine Million Steine, dann habe ich abends 100 okkulte Höhenkilometer im Sack.
Wenn ich mich nicht verrechnet habe. Am Main habe ich mich definitiv verrechnet, bzw. verschätzt. Das sogenannte Mainviereck ist ein Stück Abweichlermain, der einen Bogen macht nach Süden, rechtwinklig dann nach Osten fließt und dann wieder einen Bogen nach Norden. Der Mainsyphon sozusagen. Wie auch immer. es sind tatsächlich bald achtzig Kilometer bis nach Wertheim, wo die Tauber in den Main fließt.
Genug Strecke, um geläutert gegen Abend am Abzweig zum Radweg Liebliches Taubertal zu stehen, sich das Kinn zu reiben, laut Hmmmm zu sagen, kurz in die Handykarte zu schauen, sich umzudrehen und dem Main weiter zu folgen. Du musst nur noch eben diese Mainschleife, sage ich mir, und da, da schau mal, da ist ein Radweg, der direkt nach Würzburg abzweigt vom Mainradweg. Der Aalbachradweg. Ich darf Bayern nicht ein zweites Mal kastrieren und die Grenzlinie, der ich doch eigentlich folgen möchte, über die Maßen strapazieren. Obendrein. Denn der Tauberradweg hätte mich unmittelbar aus Bayern heraus geführt, durch Baden-Württemberg dem Ende entgegen.
Schon 2019 tat es mir weh, den Zipfel ums Berchtesgadener Land wegen Schlechtwetters nicht geradelt zu sein. Umso mehr weiß ich, dass ich, Perfektionist, der ich bin, es hinterher bereuen würde, wenn ich nicht die Ecke Würzburg-Ochsenfurt mit im Programm hätte.
Den Weg entlang der Mainschleife oberhalb von Wertheim folge ich einem Frachtschiff namens Sofie. Zuvor schon viele Schiffe immer wieder gesehen. Eines beladen mit Windrad-Flügeln. Wir sind fast gleich schnell, wir Radler und Schiffe.
Bei Bettingen erreiche ich den Abzweig zum Aalbachradweg. jaja, ist ein schöner Weg, erzählt mir ein Kartoffelbauer, der gerade sein Feld nach Käferbefall untersucht, und dass es mal wieder regnen könnte, sagt er, nein, zum Glück keine Käfer, aber das ist so die Zeit, da kommen die Tierchen. Der Weg ist gar nicht mal steil, sagt er und ich könne ja im hießigen Outletcenter noch einkaufen. Das habe geöffnet bis zwanzig Uhr. Hinauf zum Center, das bei der A3 wie eine fremdländiche Märchenstadt wirkt mit Türmchen und Schnickschnack, kommen mir zwei Radlerinnen entgegen mit Markenklamottenschöntütchen am Lenker, prall gefüllt mit, ja was, Markenklamotten vermutlich.
Ein viertelstündiger Ächtzhüpfer und ich bin jenseits des Outletcenters und der Autobahn auf einem feinen Wiesenradweg, meist geteert. Ein Glücksgriff. Wirklich. Nicht auszdenken, ich schwitzte nun etwas weiter westlich parallel zu dieser Strecke den Radweg liebliches Taubertal in einer solchen Schlangenlinie, wie es der Rennradler morgens breit erklärt hatte.
20 Kilometer bis Würzburg finde ich in einem Weiler namens Holzmühle ein feines Plätzchen bei einem Holzlager. Die Nacht war bitterkalt.
Die nächtliche Kälte aber auch. Erinnert mich oft an die schwedischen Temperaturen im Mai 18. Auch tagsüber.
Gutes Ausrollen heute wünsche ich dir.
Ausrollen wie Pizzateig :-)