Schließlich Zweibrücken. Gegen achtzehn Uhr reite ich gestern Abend in die Stadt. Die Radroute zeigt sich, von dieser Seite in die Stadt kommend (im Gegensatz zum Rausritt nach Hornbach), etwas versöhnlicher, geradezu schön sogar. Über die Stadtteile Ober- und Niederauerbach gleitet man hinab zum Schwarzbach und folgt einem breiten Sandweg, mündet in eine Platanenallee, vorbei an Biergarten, Schwimmbad, viel mit Pferd und Festhalle et voilà, Herzogplatz. Hier war ich vor zwölf Tagen gestartet zur Radtour auf der Rheinland-Pfalz-Radroute.
Die gestrige Etappe: Noch nicht so ganz wach, verirre ich mich zunächst einmal ins Dörfchen Föhren-Linden. Stets abwärts rollend verschenkte ich schon früh etliche Höhenmeter und um noch eins draufzusetzen, fuhr ich nach einem Fotostopp in dem Dorf auch noch in die falsche Richtung weiter. Ich bin wirklich noch nicht ganz wach. Solche Dinge sind mir aber schon öfter passiert: oh, Fotomotiv, gleich mal gucken, Radel wenden, zurück und natürlich steht das Fahrrad dann in die falsche Fahrtrichtung. Wenn man sich ins Motiv vertieft, vergisst man manchmal alles. Der Track auf der Karte zeigt den kleinen Bug.
Das Motiv war übrigens eines, das jeder normale Mensch links liegen lassen würde, eine vermauerte Tür. Haltet mich für fanatisch, aber ich habe mich auf diese Serie eingeschossen und fotografiere zue Türen, wo immer es geht. Viele Motive dieses Sujets gingen mir auf der Runde ums Land ins Netz.
Die letzten beiden Tage Hunsrück und Westrich im südwestlichen Teil der Route gingen noch einmal richtig zur Sache. Viele Aufs und Abs, auch gestern wieder ein Ächzen über Berg und Tal, als wolle sich das Ziel, die Rückkehr, die Vernarbung seiner selbst mit dem großen Vorhaben und die Heilung auf den letzten Kilometern doch noch entziehen. Garniert mit dem eiernden Hinterrad, dessen Seitenwand bedrohlich von der Felgenbremse aufgeschlitzt ist und das jederzeit platzen könnte.
Auf dem Fritz-Wunderlich-Radweg geht es erst einmal durch Tunnel und Brücken nach Kusel, schön rein in die Stadt und hässlich entlang der Hauptstaraße wieder raus zum Tal des Flüsschens Glan.
Samstagsfrüh turbulente Welt. Ich betrete einen Wasgaumarkt in Altenglan, Bäckereitheke voller Leckereien. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen und die kleine Frau, die gerade bedient wird, ist schon fast fertig mit zahlen, aber denkste, just als ich dran wäre, wendet sich die Verkäuferin hündisch einer Frau M. zu, die frisch von der Kasse ihr Wägelchen herbeischiebt. Frau M. hinten, Frau M. vorne und ich denke, naja, Frau M. ist eben wichtig und für mein belegtes Brötchen braucht sie sowieso viel länger, gönnen wir Frau M. diese fünf Minuten Ruhm. In der Tat könnten es fünf Minuten werden, denn Frau M. hat sich über den süßen Leckereien breit gemacht scharwenzelt wie eine Wespe um die Theke und noch drei von dies und fünf von das usw. Plötzlich geht es zu wie in einem Bienenschwarm, von überall Leute mit Einkaufswägelchen, vor mir, hinter mir, um mich herum. Die Situation ist dermaßen unübersichtlich, ich gehe.
Schwinge mich aufs Rad und denke über den Willen nach, darüber, was uns antreibt, und weshalb es zu Tummelei und Konflikten kommt und man ärgerlich werden könnte in dieser Welt, im Alltag, Zwist vom Zaun brechen, die Allgemeinstimmung versauen. Es ist ein Jammer. Ich habe doch alles,was ich brauche bei mir im Gepäck. Ich habe den Laden nur aus zwei Gründen betreten: weil ich etwas anderes wollte, als das was ich habe, ein Schnitzelbrötchen meinetwegen, statt mir von dem gar nicht mal so alten Brot in der Packtasche etwas abzuschneiden und es selbst belegen mit den Auchköstlichkeiten, die ich mitführe. Zwei drei Tage könnte ich bei gezügelter Lebensweise vielleicht durchalten. Und zweitens: Ich will mehr. Das Mehr und Anders in der Hoffnung auf Besser während des Samstagfrüh-Einkaufgeschiebes in einer kleinen Stadt am Glan.
Froh um diese Erkenntnis schaukele ich auf dem Glan-Blies-Radweg sanft steigend, manchmal auf Landstraße, später auf Bahntrasse gen Heimat, pausiere irgendwann und konsumiere mein Genug. Setze meinem Denkwerk noch eins drauf, indem ich zu dem Schluss komme, es ist nicht nur Ziel des modernen Menschen (also eigentlich kann ich da nur für mich sprechen, also mein Ziel), Dinge zu haben, mit ihnen zu leben, sie zu benutzen, sie zu essen, sondern der Kauf von Dingen, der Akt des aktiven Tauschs, Geld und Lebenszeit, gegen Ding gehört auch noch dazu. Deshalb begebe ich mich manchmal ganz gerne auf die Tummelplätze des Konsums. Ich habe fünfzig Jahre ‚Grundbedürfnis Kauf‘ geübt. Das kriegt man nie wieder raus.
Bis in die Gegend um Waldmohr bietet der Radweg keine große Herausforderung, weder Steigungen, noch brutale Straße, es ist einfaches Lullifulliradeln in lieblichen Landen. Erst in Bruchmühlbach-Miesau muss man einen extrem steilen Waldweg hinauf Richtung Lambsborn, steiler als der heimische Kreuzberg, vermute ich und etwa drei viermal so lang. Ich schiebe. Im oberen Teil auf der Landstraße kurbele ich wieder im ersten Gang. Kurz vor Martinshöhe eine Höhenangabe 425 Meter. Das sind ja schon fast Vinninger Verhältnisse (siehe erster Reisetag, 441 Meter waren es da).
Aber geschafft. Letzte nennenswerte Steigung vor Home. Ich bin sehr zufrieden, konsumiere in Wallhalben an der Backtheke eines Wasgaumarkts – dieses Mal erfolgreich – und lasse die Tour in der wunderbaren Weite der Battweiler Höhe ausbaumeln.
Auf dem Heimweg aus der Stadt, nur etwa hundert Höhenmeter trennen mich noch vor Home, ein Klacks, treffe ich die Administratorin des Zweibrücker Stadtradelns. Sie macht Fotos von mir mit Radel für die Stadtradeln-Promotion.
Vor ihrem Haus wächst ein Blauglockenbaum, der mit seinen armdicken Wurzeln treffsicher Wasser findet. Vor ein paar Jahren züngelte eine der drei Hauptwurzeln bis in die Regenrinne ihres Hauses, was Schäden verursachte und weswegen man die Wurzel kappte und weswegen, gespiegelt in die Krone, der Teil des Astwerks abstarb, der offenbar von diesem Wurzelzweig versorgt wurde. Faszinierend. Man sieht deutlich das gräßliche Loch der Amputation in der nun nur noch zwei Drittel großen Krone.
Die Geschichte fasziniert mich und ich überlege, einen Ringschluss herzustellen zur obigen Konsumgeschichte, das Kappen der Konsumwilligkeitswurzel beim Menschen verändert seine imaginäre Krone. Stirbt etwas ab, blüht etwas aus?
Aber dies ist wohl eine andere Geschichte.
Lullifulliradeln … hach! Ein Wort für den Zettelkasten.
Und Wurzel und Krone, hier entlang läßt sich sinnieren.
Gutes Ankommen in der Bude,
herzlichst, Ulli
Wenn Du mal in der Gegend bist, besuchen wir den Baum. Ich kriege übrigens Ableger.
„Das Mehr und Anders in der Hoffnung auf Besser“: so treffend, beileibe nicht nur für den Samstagseinkauf.
Hab wieder einmal ganz vielen Dank fürs Mitnehmen auf die Fahrt (ich mag ja ganz besonders die Kringel auf der Karte ;-)) und fürs Miterleben lassen deiner Eindrücke und Gedanken! Komm gut wieder an zuhause im „Normal“.
Die Kringel sollte ich mal analysieren. Ein Teil sind sie auf Verirrungen zurückzuführen, was ein Indiz ist für fehlende oder schlecht angebrachte Beschilderung an der Rheinland-Pfalz-Radroute. Der besagte Kringel in Saarburg ist zwar eigentlich ein Versorgungsabzweig und ein Sehenswürdigkeitsschlenker, aber die Runde im Kreisel geht tatsächlich auf die verpasste Abzweigung zum Innerstädtischen Wasserfall zurück.
Sind die Ausnahmen von den Regeln nicht sowieso fast immer die interessantere Variante? Abgesehen von fehlerhaften Infos natürlich – aber selbst die können eine:n an spannende Orte bringen. Alles eine Frage der Sicht ;-)
Ja, da hast Du recht.