Punkt sieben Uhr früh beginnen ’meine’ beiden Windräder zu rotieren. Mit quietschendem Geräusch aus dem Inneren des Motorgehäuses wird irgendetwas justiert und dann flapp–flapp–flapp im Rund, das der leichte Hauch aus Südwesten diktiert.
Ein welliges Hochtälchen unter malerisch bewölktem Morgenhimmel. Die Sonne kämpft, Grau mit Tendenz zu Blau dominiert. Zieselige Himmelsstruktur, irgendwo auch ein Fitzelchen Orange, das aber bei Weitem nicht die Pracht des gestrigen Abendhimmels erreicht. Alpenglühen im Hunsrück, war das sozusagen.
Nein, nicht Hunsrück, Westrich oder Musikantenland oder wie man hier nahe Föhren, Körbach und Kusel so heißt. Bei Kronweiler – aber wohl eher knapp zehn Kilometer später und mit ein-, zweihundert Höhenmetern mehr in den Beinen bei Heimbach –, muss ich die Nahe überquert haben. Der Hunsrück endet an der Nahe und etwas anderes beginnt. Irgendwo las ich Westrich, eine Gegend, die ich eher gen Kaiserslautern einordnete, aber verflixt, das Land ist klein und die Gegenden von Rheinland-Pfalz tummeln sich wie spielenden Hunde auf Abendgassirunde. Vielleicht. Man verzeihe diesen Vergleich.
Warum verbinde ich Kronweiler und Heimbach mit dem Fluss Nahe? Weil durch beide Orte eine Bahnlinie verläuft und die Linie Frankfurt Saarbrücken folgt nunmal der Nahe. Ich vermute, Kronbach liegt an der Linie Kaiserslautern Baumholder. Ortsgeplänkel.
Auf der gestrigen Etappe ging es noch einmal richtig zur Sache. Zur Einstimmung auf den Hunsrück folgte ich einem Bahntrassenradweg, dem Ruwer-Hochwald-Radweg. Meiner Einschätzung nach der infrastrukturell bestausgebaute Radweg im Gesamt der Rheinland-Pfalz-Radroute. Infotafeln bei den Dörfern mit Hinweisen zu Geschäften und Übernachtungsmöglichkeiten, Infotafeln zu Historie und Landschaft, ein paar Automaten mit Lebensmitteln Tag und Nacht. Der knapp fünfzig Kilometer lange Radweg von Trier nach Hermeskeil ist auch Herberge für den Hunsrück-Radweg, dem ich eine Woche zuvor von der östlichen Flanke hinauf in den Hunsrück bis zum Mittelpunkt von Rheinland-Pfalz folgte.
Ab Hermeskeil gibts dann Saures und spätestens kurz hinter dem Dorf Thiergarten ahnt man, dass sich Großes anbahnt, wenn man zwei, drei Kilometer auf schlechter, asphaltierter Waldwegestrecke fast schnurgerade im ersten Gang aufwärts schleicht. Unspektakulär mitten im Wald erreicht man eine Art Pass, befindet sich mit 722 Höhenmetern am höchsten Punkt der Radroute. Ein Schild weist einen Abzweig zum Erbeskopf aus, etwa sieben Kilometer entfernt und mit saftiger Steigung gekennzeichnet. Das spare ich mir und rolle Richtung Birkenfeld. Im Ort Abentheuer eine längere Pause. Rings um Birkenfeld ist einer der Schwachpunkte der Rheinland-Pfalz-Radroute. Hier muss man auf die Straße und sich die Route mit dem Autoverkehr teilen.
Erst ab Kronweiler schaukelt man wieder über geteerte Wald- und Feldwege. Die Gegend um Baumholder zeigt feine Hinweise auf Militär, etwa kuriose Schilder, die Funkwagenfahrer darauf hinweisen, die Antenne einzuholen, bevor sie unter Hochspannungsleitungen hindurchfahren. Ansonsten nur Wald und Windräder, Hügel mit Schmackes und deftigen Aufs und Abs und am Abend, als ich mich erschöpft schon nach Föhren abbiegen sah, um die Wasserflaschen zu füllen, stoppt ein Auto und die Fahrerin fragt, ob man mir helfen könne, und ich sage ’Wasser’ und sie sagt ’Wasser, ich habe immer Wasser im Auto’, Kofferraum auf, Wasser raus, Radler glücklich und – schwupp – steht auch schon das Zelt auf der nächsten Wiese.
Begegnung: Ich bin schon fast fünnfzig Meter weiter, als mir der Mann sehr seltsam vorkommt, an dem ich gerade vorbeisauste, wie er neben dem Fahrrad im Graben kauerte, wo nichts von Interesse ist und so rufe ich ’Brauchen Sie Hilfe?’ und es schallt zurück ’Alles in Ordnung, bin Fotograf!’ und ich rufe ’Ha, kenn ich, ich auch!’ und er ruft ’Aber mit echtem Film!’.
Es ist wie so ein feines Band, das bis zur Zerreißgrenze gedehnt ist. Wäre ich nur einen Meter weiter geradelt, wäre ich vielleicht nicht umgekehrt – das feine Band der Neugier –, so aber stoppe ich, wuchte das Fünfzig-Kilo-Gefährt auf dem Radweg um 180 Grad, radele zurück und auch der Mann kriecht aus seinem Gebüsch, eine alte Canon mit kleinem Festbrennweiten-Objektiv in der Hand. Keine Ahnung, was er in dem Gewust aus Ästen neben der ehemaligen Bahntrasse gesucht hatte.
Wir kommen ins Erzählen, dass sein Vater ein Maler war, dessen Werke in der Münchner Pinakothek hängen und dass der Vater schon mit 14 Jahren in die Kunstakademie in München aufgenommen wurde; ein Stilleben eines Wasserglases in Aquarell gemalt mit solcher Finesse, dass es die Aufnahmeprüfer überzeugte.
Wie zwei mächtige Schachfiguren beherrschen wir den Radweg. Radelnde von hie nach da müssen uns durchdringen oder vielleicht ist es auch mehr wie Sparring, zumindest was mein Gegenüber betrifft, der tänzelt wie ein Boxer und immer wenn eine Herde Radler:innen vorbei kommt, wechselt er die Position. Viele Geschichten erhalte ich in aller Kürze. Die Begegnung dauert nur etwa zehn Minuten. Von der Malerei gehts zur Musik, zum Jazz, zum Dixieland und über altsprachliche Bildung geht die dialogische Reise weiter zu den Grundfesten des Sehens und Erkennens, die für Künstlerinnen und Künstler aller Sparten, egal ob Musik oder Bildende Kunst oder Literatur gleichbedeutungsvoll sind und die man in frühen Jahren in der Kinderstube ausbildet.
Ich denke nach über mich selbst und komme zu dem Schluss, dass ich weder musikalisch noch bildnerisch noch literarisch Besonderheiten erfahren habe und das Einzige, woran ich mich erinnere, ist, dass ich mit drei Jahren Fahrrad fahren gelernt habe. Was für ein Gefühl!
Viele weitere Begegnungen, meist nur sekundenknapp Lächeln und Gruß tauschend, manchmal etwas länger übers Wetter schwadronierend, es soll am nächsten Tag nur noch 17 Grad werden, der letzte heiße Tag sei das heute, erzählt mir der Friedhofsgärtner in Thiergarten mit hochrotem verschwitztem Gesicht. In Kronweiler ein kräftiger Kerl, nicht mehr jung, der sich über ein Geländer beugt und in das Bachtal schaut und als ich direkt neben ihm stoppe, um eine kleine Figur auf einer Mauer zu fotografieren, ruft er ins Off des hinter Hecken befindlichen Gartens seiner Frau zu, schon wieder einer, der den kleinen Trinker toll findet.
Klasse Text. Ich mag dieses Gespräch über Kunst, das du mit dem Analog-Fotografen geführt hast, sehr. <3
Es war sozusagen ein ungleich getanztes Gespräch, er ohne, ich mit Radel.