Klaus oder Wolfgang und die Schublade der Weisheit – #UmsLand Tag 3

Die Autobahn hatte ich bei der gestrigen Lagerplatzsuche nicht bedacht. Beständiges Hintergrundrauschen mit Blick über den Rheindamm auf die Sehenswürdigkeit oberhalb Ingelheims, ich meine irgendein Turm, vielleicht Hindenburgturm? Später mal die Suchmaschinen fragen.

Ich hatte nicht bedacht, dass sich ab Ingelheim das Land zwischen Rheinaue und Autobahn, gen Bingen zu, immer mehr verjüngt, der Radweg in den Obstfeldern sich der Straße nähert und einem der Lärm mehr und mehr auf die Pelle rückt. Egal. Die Nacht war okay, der Schlaf löchrig, aber gut. Es regnete sogar ein bisschen, was einem normalerweise, radelnd unterwegs, ein Graus ist. Dieses Mal nicht. Zu groß die Trockenheit, der Durst, das Verlangen nach Veränderung.

Eben jenes Verlangen nach Veränderung, das vielleicht in jedem von uns steckt, hatte mich gestern hierher katapultiert. Über hundert Kilometer auf dem Tacho. Die Oberrheinische Tiefebene per Rad rollt zwar wunderbar, aber sie ist auch auf charmante Art monoton. Faszinierend die Durchradelung dreier großer Städte, von denen Ludwigshafen an Qualität der Radwege, Sicherheit und sogar Schönheit am besten abschneidet. Es ist allerdings auch mehr eine Umradelung der Stadt durch den Altrheinarm Maudach. In schönfeinkleiner lullifulli-renaturierter Wäldchenwelt umschifft man gekonnt den Molloch der großen Chemie und anderer Fabriken. Worms ‚The Worst‘ ist dagegen die Hölle. Industrie, Staub, Dreck, Tonnen von Dieselruß am dicht neben der Bundesstraße geführten Radweg, Holperstrecken ohne Ende, apathisch verkommen, aber, na ja, das hat irgendwie auch etwas. Radelsadomasospielchen mit großen Städten.

Unterwegs rufe ich meinen Freund QQlka an und verabrede mich am Fischtor in Mainz mit ihm. Halb fünf. Nicht ahnend, dass ich noch gut vierzig Kilometer bis dorthin habe. Kopf runter und strampeln. Ich bin, wie letztens erwähnt, etwas zwiespältig, diese von Erinnerungen durchwirkte Strecke, die ich so oft radelte, zu erkunden. Wie Blitze zucken Erinerungen an Erlebnisse der letzten zwanzig, dreißig Jahre, nicht immer schön, wehmütig, ja, aber auch Gutes, natürlich.

Auf dem Radweg kommt mir ein Mann entegen mit monströs schwerem Fahrrad und Anhänger, selbst gebaut mit viel Alu und Schubladen und zack, Erinnerung an den Radler, den wir 1995 in unserer Oppenheimer WG eingeladen hatten. Wie hieß er noch, Klaus, oder Wolfgang? Klaus oder Wolfgang hatte eine Schublade in seinem Anhänger, ein kleines Fach, von außen zugänglich, das er jeden Tag öffnete und eines der Karteikärtchen herausnahm, die sich darin befanden, die Weisheit las, die auf dem Kärtchen geschrieben stand, und es wieder in die Kartei zurücksteckte. Sein Anhänger wog 150 Kilo. Klaus oder Wolfgang war etwas anstrengend, erzählte viel, hielt die Gesprächslonge, an der er einen führte streng und kurz, weshalb ich mich hütete, ihn anzusprechen, ob er Klaus oder Wolfgang heißt und 1995 in einer Oppenheimer WG zu Gast war.

Das Binger Loch des Vergessens scherze ich später am Fischtor mit Freund QQlka, da will ich heute noch hin. Er hatte zwei Einmachgläser selbst gebrühten Tees mitgebracht. Wir schlürften, schadronierten über früher und jetzt und umschifften gekonnt die Klippen des Pandemiethemas, an denen wir, jeder mit seiner Sicht, nicht zerschellen wollten. An einer Mauer neben uns stand geschrieben: Seefahrt ist Not. Im Rheinauf und Rheinab der Transportschiffe, Motorboote und Aquascooter verging die Zeit und hinter uns auf der Promenade flanierte die Stadt, joggte und ganz besonders hervor stach ein Junge auf einem E-Roller, der auf dem Rücken ein Musikdingsi trug, groß wie ein mittelalterlicher Tornister, aus dem laute Musik schallte. Ghettoblaster 2.0 sozusagen.

Gegen Sonnenuntergang dann raus aus der Stadt über den katastrophalen und extrem gefährlichen Radweg an der Rheinallee. Hatte Mainz still die Absicht, mit dieser kilometerlangen, geraden, von Bordsteinen durchwirkten und mit Laternenmasten mitten im Weg gespickten Piste, Worms den Rang der miesesten Stadtdurchquerung auf der Rheinland-Pfalz-Radroute abzunehmen? Erst bei den Kleingärten in Budenheim wurde die Strecke wieder erträglich. In Budenheim versorgten mich die Feuerwehrleute in ihrem Spritzenhaus mit Trinkwasser und ab der Held, in den Sonnenuntergang reitend entlang des Rheindamms.

Am Verkehrsmuseum Speyer die unheimliche Boeing auf Stelzen, die fast so hoch wie der Dom über der Stadt thront, vorne Straße und Zaun, darüber Blauhimmel
Tag 2: Am Verkehrsmuseum Speyer die unheimliche Boeing auf Stelzen, die fast so hoch wie der Dom über der Stadt thront
Schattenwurf des Künstlers samt Fahrrad auf rotem Klinkersteinboden. Im Hintergrund der Unterteil einer Skulptur und noch weiter hinten Menschen auf der Straße.
Tag 2: In Speyer: Künstlerschattenselfie mit Rad
Lange Hauswand, die sich mittig quer durchs Bild zieht. Darauf gemalt sind ganz unterschiedliche Menschen bei unterschiedlichen Tätigkeiten. Darüber Dach, dahinter Bäume und Blauhimmel. Im Vordergrund Wiese und ganz vorn die Straße.
Menschen am Radweg
Hausmauer, durchbrochen von drei mit Backsteinen verschlossenen Fensterlöchern und einer Holztür, die unbenutzt aussieht. Im Vordergrund zugewuchertes Gebüsch.
Du kommst hier nicht rein!
Gelbgestrichene Backsteinwand. Links im Bild Autobahwegweiser nach rechts zeigend. Rechts im Bild Absolutes Halteverbot neben einer Straßenlampenstange, an der ein Fahrrad lehnt. Vorne Straße.
Halten verboten
In der Bildmitte ein mit Wolle kringelig bunt eingestricktes Fahrrad als Kunstobjekt. Auf dem Platz vor einem Holzhaus stehen weitere Kunstobjekte. Dahinter ein ausladender Baum.
Winterfestes Fahrrad
Autobahn-Rheinbrücke zwischen Rheinland-Pfalz und Hessen von unten betrachtet. Ein Holzste4g im Wasser. Darüber Blauhimmel.
Am Rhein bei Mainz
Radweg mit gutgemeinten Bäumchen bepflanzt, die den Weg schmal machen. Links im Bild Häuserfront, davor Hecken, rechts Autostraße, darüber Blauhimmel und Stromkabel.
Mainzer Radweg
Am Ende einer Mauer aus Natursteinen, die von hinten nach vorn das Bild halbiert, steht eine menschliche Skulptur aus Metall. Die Figur hält sich, wie zum Gruß oder Fernblick, die linke Hand an die Stirn. Rechts im Bild Straße und Häuserfront, darüber Blauhimmel, links Steinboden.
Wer guckt denn da?
Im Gegenlicht sind in der Bildmitte zwei Menschen auf einer Anhhöe zu sehen. Die obere Bildhälfte zeigt den lilablauen Himmel bei untergehender Sonne, die untere Bildhälfte eine Art Deichmauer für die Straße, auf welcher die Menschen stehen, rechts und links davon hüglige Wiese mit Bäumen bewachsen.
Was der in den Sonnenuntergang reitende Held so sieht …

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