Wie der Schwede der iberischen Halbinsel den Manolo des Nordens traf | #zwand20

Rialb-Stausee, Katalanien, 9. April 2020. Ein Ruhetag. Just als ich den vorigen Blogartikel fertig geschrieben hatte und am ersten Korrekturdurchlauf arbeitete, näherte sich ein Mann mit Hund übers Feld. Das Schneidersitzbüro im Europennerzeltlager ist dieser Tage ziemlich komfortabel. Dank des anhaltend schönen Wetters – kein einziger Regentag bisher – kann ich den Außenbereich nutzen. Ich sitze sozusagen auf meiner Terrasse. Isomatte auf trockener Erde neben ockerfarbenem Acker. Kaffee köchelt auf dem Trangia. Schon von Weitem lächelt der Mann, ein Signal, dass er mir wohlgesonnen ist. In Spanien, respektive Katalanien hatte ich ohnehin noch nie Probleme wildzeltend. Nicht mit Menschen. Niemand kümmert es. Niemand ruft die Polizei. Niemand zeigt dich an. Und wo sollte ich auch hin? Keine Ahnung wo der nächste Zeltplatz ist. Ich spreche die Sprache nicht genügend gut, als dass ich mich durchfragen könnte. Außerdem ist hier viel Platz und viele wilde Nischen, in denen man nicht auffällt, niemanden stört.  Wir halten ein Schwätzchen, radebrechend. Der Mann spricht langsam, aber Dialekt, flickt ein paar Brocken Englisch ein. Schwer zu schätzen, wie alt mein Gegenüber ist, vielleicht siebzig? Das Hundchen beschnuppert den Lebensmittelsack. Es hat wohl  den Zipfel Saucisson Sec gewittert, nussige Trockenwurst, der es von Frankreich bis hierher geschafft hat. Der Hund heißt Bella und sein Herrchen stellt sich als Manolo vor. Früher sei er auch mit dem Fahrrad gereist. Auf dem Jakobsweg bis nach Finisterre, bis ans Ende der Welt. Ha, und da haben wir ja etwas gemeinsam mit der Pilgerei. Unser Gespräch funktioniert trotz der Sprachbarriere ziemlich gut. Das haben wir Pilger wohl so an uns? Das Schwätzchen dreht sich, wie fast immer beim Reisen, um das Woher und Wohin. Dass ich aus Allemagna komme, sage ich, seit drei Wochen unterwegs, tres semanas. Und dass ich nach Belchite möchte. Da verdüstert sich sein Blick. Ruinas, mas Ruinas sagt er. Belchite ist eine Wunde in Spanien, das weiß ich. Vielleicht DIE Wunde?! Manolo sagt, ich könne ruhig hier bleiben, es würde niemanden stören und wenn ich etwas brauche, könne ich zum Haus kommen, Aqua, macht er eine Gluckergeste mit Hand und Daumen. Und eine Ich-guck-Dich-Geste, nonchalant aufs Zelt zeigend. Brauchst keine Angst haben, Peregrino, hier kommt nix weg. Geh spazieren, schau dir den Stausee an. Und das Kloster Santa Maria de Gualter, mit dem Kinn über die Schulter gestikulierend, da, da unten, nicht weit weg.

Ich bin so müde. Ich bin unheimlich erschöpft. Ich bin so viel gekurbelt die letzten drei … Himmel, dies ist schon die vierte Woche der Reise. Ein Ruhetag. Genau das was fehlt. Fast kommt er mir vor wie ein Engel. Anstifter zur Ruhe. Dieser Manolo des Nordens (den Manolo des Südens lernte ich auf dem Radweg zwischen Valencia und Pucol im Jahr 2016 kennen).

Als er mit dem Hundchen von dannen trottet, lungere ich noch eine Weile vorm Zelt, bis die Sonne so hoch steht, dass ich keinen Schatten mehr habe. Korrigiere den Blogartikel zu Ende, nehme die Satteltaschen vom Rad. Ich muss mir den Stausee jetzt doch einmal aus der Nähe anschauen. Vielleicht ein Bad? Ich bin der Schwede der iberischen Halbinsel. Wo alle Einheimischen sagen, brrr ist das kalt, schwitze ich mich halbtot. Das ist genauso, wie wenn Skandinavier zu uns in die Pfalz kommen und bei zehn Grad Außentemperatur in den nächsten Weiher hüpfen, denke ich.

Strommasten und wie Spinnweben über den Himmel ziehende Leitungen auf karger, spanischer Landschaft. Das Bild hat eine rötliche Vignettierung zum Rand hin.
Symbolbild in der Gegend um Balaguer und Lleida, aufgenommen im Jahr 2016.

Runter zur Staumauer. Schmale geteerte Straße an Betonmonstrum. Über Steine kann man bis zum See. Eine graue, felsige Narbe ringsum zeigt, wie hoch das Wasser normalerweise steht. Es ist unheimlich trocken, scheint es mir. Fast zehn Meter breit ist der Niemandsbereich zwischen der maximalen Höhe und der  Wasseroberfläche. Ein Angler auf der gegenüberliegenden Seite. Wir winken uns zu. Ich halte den Finger ins Wasser. Brrrr! Muss ja nicht den Schweden spielen. Sitze eine Weile auf einem Stein. Das Elektrizitätswerk summt. Wie Spinnfäden ziehen sich die Stromleitungen quer übers Tal bis zum Umspannwerk.

Später beim Kloster. Geschlossen. Auf dem riesigen, ungeteerten Parkplatz steht nur ein Auto. Ein paar Mülltonnen wie verloren. Thujabäume führen wie eine Miniallee auf ein weiteres Umspannwerk hinzu. Verstehe einer diese Elektrotechnik. Das Kloster wirkt von Außen wie eine Ruine, aber da man es touristisch besuchen kann, vermute ich, dass sich im Innern etwas Sehenswertes befindet. Die Wikipediaseite auf Spanisch gibt her, dass es ein Benediktinerkloster ist. Ein Bild zeigt eine Arkade mit Säulen hinter grüner Wiese. Kräutergarten vielleicht? Ein bisschen erinnert mich das Ambiente an das Kloster Hornbach in meiner Heimat. Ebenfalls eine Benediktinerabtei. Wie mächtig diese Orden doch einst waren. Wie sie sich über ganz Europa verbreiteten. Was von ihnen geblieben ist! Ob es sie noch immer gibt, die Benediktiner? Ich müsste recherchieren. Aber es ist ja Ruhetag. Ich bummele umher, fahre nach Ponts, einen Laden finden, eine Tapasbar zur Nachmittagszeit, etwas einkaufen. Ostern steht vor der Tür, ich sollte die Vorräte auffüllen. Im katholischen Spanien sind am Wochenende die Läden sicher noch viel ‚zuer‘ als bei uns zu Hause …

… halt, halt, halt Herr Irgendlink! Pandemie! Heimischer Bürostuhl, Tag 24 der Reise. Kein Ruhetag. Ich habe mir endlich die vom Sturm gefällte Pappel vorgeknöpft, die in der Brache auf des Nachbars Land liegt. Das Grün explodiert dieser Tage geradezu. Ich darf nicht zu lange warten, sonst wuchert die Baumruine zu. War nicht ohne, den zwar liegenden, aber teils unter Spannung stehenden Stamm von der Wurzel zu trennen. Trotzdem ging alles gut und am gestrigen Tag scheide ich den dreißig bis 50 Zentimeter dicken Stamm in drei Meter lange Stücke, ziehe sie an der Winde hängend mit dem uralten Porschetraktor hinauf zum einsamen Gehöft. Fünf dicke Stämme liegen jetzt vorm Atelier. Ich weiß noch nicht, was ich damit mache. Eine Recherche bei Ebay ergibt, Pappelholz ist eigentlich wertlos. Zwischen 15 und maximal 150 Euro werden Stämme wie die meinen angeboten. An Selbstabholer. Man schlägt vor, sie zu Brennholz zu zerkleinern oder zu Hackschnitzeln. Egal, die Dinger mussten vom Acker und sie sind vom Acker.

Die Arbeit im Holz und im Garten ist eine wunderbare Ablenkung. Man kann diesen Teppich aus Horrormeldungen, der einen tagein tagaus aus dem Internet und anderen Medien zu ersticken droht prima halbwegs verdrängen. Schweiß und Kettensäge, Viertonnenseilwinde und Dieselruß. Die Hölle auf Rädern, wie mein Vater den Porschetraktor zu nennen pflegte, entpuppt sich als kleines Paradies, als Klostergärtchen hinter dicken, alten, schweren Mauern. Benediktinisch filigran angelegt im eigenen Kopf, der der Tristesse der Pandemienachrichten zu entrinnen versucht.

Natürlich lagere ich nicht am Stausee Rialb. Wie könnte ich auch. Spanien listet etwa 150.000 bestätigte Infektionen. Fast 15000 Todesfälle. Es ist schrecklich. Alleine schon, mich darüber informieren zu müssen lässt es mir eiskalt den Rücken runterlaufen.

Es ist nichts geblieben außer dieser  meiner Conditional-Travel. Die Reise im Konjunktiv. Könnte, wollte, hätte.

Als ich gegen Sonnenuntergang zum Europennerzelt zurückkehre, liegt eine Flasche Rotwein vorm Zelt. Kein Etikett. Eine dunkelgrüne Literflache mit echter Korken, riojadunkler Viino tinto, und eine Tüte mit Brot und Queso und einem Stück Trockenwurst. Manolo, alter Pilger, oh Herr, welch‘ großartige Menschen es doch gibt.

Und die beiden Zweibrücken-Andorras? Im Jahr 2000 radele ich in riesigen Etappen wieder nach Hause. An Tag 24 ssteht das Europenner-Nachtlager zwischen Cressia und Augisey direkt neben der D 117 nahe Lons-le-Saunier. Wegen eines Unwetters, das gegen Abend übers Land zog ein suboptimales Notlager direkt neben der Landstraße. Ich erinnere mich, dass ich aus Angst vor Blitzeinschlägen in voller Regenmontur eine Weile fernab des Zelts auf dem Boden lag.
Die Reise im Jahr 2010 endete an Tag 24 auf einem urigen Wildzeltlagerplatz jenseits von Berga. Unter einem Olivenbaum bei der Kirche Sant Quirze de Pedret. Der Riu Llobregat, ein ‚Schwesterfluss‘ des Riu Segre sang mein Schlaflied.

In der Karte ist dieser Blogartikel im selben Marker wie gestern gelistet.

 

 

Eine Antwort auf „Wie der Schwede der iberischen Halbinsel den Manolo des Nordens traf | #zwand20“

  1. Was so ein Ruhetag doch alles kann! Manolo mag ich, ich wünsche uns viele Manolos. Und selbst Manolos und Manolas zu sein auch gleich. Mal das eine, mal das andere.

    Danke!

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