Hin und wieder bezeichne ich die Kreuzbergstraße in meiner Heimatstadt Zweibrücken als steilste Straße der Stadt. Sie führt fast schnurgerade vom Herzogplatz und dem alten Brauereigelände hinauf auf den Kreuzberg, auf dem sich die Fachhochschule der Stadt befindet. Ich weiß nicht genau, wieviel Prozent Steigung die Straße hat. Mit einem größeren als dem ersten Gang, kann ich sie jedenfalls nicht hinaufkurbeln. Das kurze Stück Straße überwindet eine Höhe von etwa 80 Metern und im weiteren Velauf kommen noch einmal etwa 40 Höhenmeter hinzu, bis ich mich von der Innenstadt hinaufgeschuftet habe nach Hause. Unterwegs in der Fremde radelnd nehme ich gerne den Zweibrücker Kreuzberg als Maß für die zu überwindende Steigung.
Am gestrigen Morgen, erinnere ich mich schmerzlich, habe ich mit Gewissheit mindestens drei Zweibrücker Kreuzberge in den Schenkeln, als ich nach 13 Kilometern von meinem Wildzeltplatz auf der Wiese des Landwirts, der mit einer Remscheiderin verheiratet ist, das Ende des Donau-Wald-Radwegs in Jandelsbrunn erreiche. Inständig bete ich unterwegs, dass der Folgeradweg, der Adalbert-Stifter-Radweg ein Bahntrassenradweg ist. Und zwar ein richtiger Bahntrassenradweg, nicht Zahnrad. Mit höchstens drei, vier Prozent Steigung, Tunneln und Brücken …
Haidmühle, etwa anderthalb Stunden später. Jackpot. Der Adalbert-Stifter-Radweg führt tatsächlich auf einer alten Bahntrasse geschwungen stets gleichmäßig steigend aufwärts. Dritter Gang ist mein zweiter Vorname. Einfach ist es nicht, aber erträglich. Und die Landschaft durch Fichtenwälder, hoch auf dem Bahndamm über die vorbeilaufenden Dörfchen blickend, ist ein Genuss.
Adalbert Stifter, dem der Radweg gewidmet ist, wurde Anfang des 19. Jahrhunderts hier im Böhmerwald geboren. Auf einem Themen-Wanderweg erfährt man auf etlichen Schautafeln, die mit Zitaten Stifters garniert sind, allerlei über den Künstler, Literaten und Pädagogen. Dass er Kunst und Literatur schuf, begeistert mich insofern, als es auch genau mein Genre ist. Schon dichte ich ihm kurbelnd über den Kies des Radwegs eine Art Urvaterschaft des Appspressionismus an, ein Mensch, der die Mittel seiner Zeit nutzte und kreativ kombinierte und dabei ein künstlerisch-literarisches Gesamtwerk schuf.
Was wohl, wenn Stifter unsere heutigen Mittel zur Verfügung gehabt hätte, Smartphone, Kommunikation, multiple Apps, mit denen er sich nach Belieben eine Schreib- und Malpalette zusammenstellen könnte und im Hintergrund ein robustes Blog als Mittel des künstlerischen Ausdrucks?
„Waldtraktor steht hinter Waldtraktor, bis einer der letzte ist und den Himmel, nein den Baum, abschneidet, denn der letzte ist ein fieser Harvester …“ verhonepipele ich ein Adalbert-Stifter-Zitat. Vielleicht hätte er es gemocht?
In Haidmühle führt ein Teerweg bis zur Grenze, kurz vor der Grenze ein Parkplatz. Mit dem Auto darf man da nicht durch. Es geht nur zu Fuß oder per Rad nach drüben.
Der Parkplatz ist rege belegt und ich sehe schon warum. Menschen mit Plastiktüten und Zigarettenstangen kommen mir entgegen. Drüben befindet sich neben einem Bahnwagen, in dem ein Café-Imbiss ist auch ein Shop und etwas weiter eine Pension mit Restaurant. Die Leute schwappen herüber, um billig zollfrei einzukaufen.
Es hat etwas Schmuddeliges. Wie Männer, die sich aus Sexshops herausschleichen mit anonymen Tüten voller Wasweißichs.
Ein tschechischer Radler klärt mich ein bisschen auf, ich solle ein Bier trinken hier. Er prostet mir mit einem bauchigen, fast kugelrunden Glas zu. Die kalte Moldau sei dies hier. Ein Hochland, umringt von Fichtenwäldern, weit geschwungen, darin die alte Bahnlinie und ein winziger Bachlauf.
Von der Bahnlinie gibt es nur noch einen Kopfbahnhof, der beim Kiosk liegt und einen Fetzen alter Bahnlinie direkt an der Grenze. Die kürzeste internationale Bahnstrecke der Welt (siehe Bild im Blogartikel zuvor). Transportsfahrzeug ist eine winzige Dampflok. Die Schienen sehen marode aus.
Weiter gehts durch Tschechien auf der Šumava-Tour, so zumindest ist sie im Internet ausgewiesen. Tatsächlich folge ich etwa dreißig Kilometer den Schildern des Eurovelo 13. Einzige größere Siedlung am Weg ist Strážný, ein ehemaliger oder gar immernocher Skiort, der aber nun ein Billigtandkundentrampelpfad geworden ist. Wunderbare, seltsame Waren von Körben über Gartenzwerge, Blechzeugs, Kunststoffmissratenheiten bilden ein Spalier des unwiderstehlich Günstigen. Dazwischen Zigaretten, Alkohl, Parfüm und auch ein, zwei Bordelle.
Gut dreißig Kilometer führt die Šumava-Tour entlang der Grenze durch Niemandsland und Bäume. Auch hier gehen mir der eine oder andere Zweibrücker Kreuzberg in die Knochen.
Am Abend lande ich wildzeltend auf 1100 Metern Höhe auf einer offen gelassenen Kuhweide zwischen riesigen Felsbrocken, Moos und viel Stille.
Ich schätze, dass ich etwa 1000 bis 1200 Höhenmeter geradelt bin. Zum Mittelpunkt Bayerns sind es 160,4 Kilometer.