Oft sind es ja die stillen Menschen, die wahre Perlen sind. Die man leicht übersieht, die im Streugetöse der lauten untergehen. Zack, ist man an ihnen vorbei gerauscht, ohne ihre Geschichte zu erfahren. Nicht so Jeremy, der in einem winzigen Einmannzelt auch auf der Zeltwiese des Walchensee-Campings übernachtet hatte. Zunächst hatte man geglaubt, das Zelt sei verwaist, die Person, die es aufgebaut hatte, ist in den Bergen unterwegs, übernachtet womöglich in einer Hütte. Aber nein, morgens steht Jeremy plötzlich neben mir. Wir kommen ins Gespräch. Übers Radfahren, das Unterwegssein. Er kommt aus Hamburg und ist für ein Familienfest in der Gegend. Als frisch gebackener Segelmacher präsentiert er mir sein Gesellenstück auf dem Handy: Ein Fahrradzelt, das das Fahrrad als festen Bestandteil der Zeltkonstruktion einbaut. Klasse Idee. Insbesondere Menschen, die mit teuren Fahrrädern unterwegs sind könnten daran Gefallen haben. Nie mehr Angst, dass jemand beim Nachtlager das Radel einfach mitnimmt, denn man müsste dann das gesamte Zeltlager inklusiv seines Besitzers klauen.
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Die Schranke öffnet sich nur, wenn die Nummer erkannt wird. Aber sie haben ja kein Autokennzeichen am Fahrrad, sie müssten das Radel an der Schranke vorbei schieben. Ohne unser Nummernerkennungssystem geht die Schranke nicht auf.
In der Tat befinden sich diesseits und jenseits der beiden Ein- und Ausfahrten des Campingplatzes Kaiser in Bad Feilnbach zwei Überwachungskameras als optisches Frontend eines Überwachungssystems, das die Guten von den Bösen unterscheidet.
Mir kommt jener schwedische Campingplatz in den Sinn, dessen Ausfahrtsschranke sich nur hob, wenn man per Hauch einen Alkoholtest absolviert hatte und keinerlei Alkohol festgestellt wurde. Faszinierend, was sich Menschen alles ausdenken, um Grenzen und Barrieren zu errichten. Erstaunlich, welche Mechanismen es alles gibt, um vollautomatisch zu entscheiden, du da, du bist legal und du da, du kommst hier nicht rein. Oder raus.
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Das Campingplatztrauma vom Walchensee sitzt noch in den Knochen, so dass ich gestern argwöhnisch den Campingplatz in Bad Feilnbach umrunde, um erst einmal ein Gefühl zu kriegen, ob er eher zur Kategorie ’unzeltbar, für Wohnmobile gestrickt’ gehört, oder ob man ein kleines, taugliches Reservat eingerichtet hat, in dem die – man verzeihe den Vergleich – ’Indigenen’ unter den Campern, die Urcamper, die noch mit Zelt unterwegs sind, auch einen Frieden finden.
Sprich, ausreichend große Zeltwiese, möglichst unparzelliert, nicht umringt von Wagenburgen wie etwa das winzige Areal am Heiterwangersee.
Andererseits habe ich keine rechte Wahl. Über den Bergen hängen mächtige Gewitterwolken. Irgendwo rumpelt es schon. Es geht gegen Spätnachmittag. Gerade habe ich die extremere Gegend der Berge um Tegernsee, Schliersee, Bayrisch Zell verlassen und befinde mich auf einer herrlichen ’Rutsche’ abwärts mit weitem Blick ins Voralpenland. Auch aus dem Flachland nähern sich fette Wolken. Das ist typisch bayerisch, dieses Phänomen, sich in einer Blase warmen Gutwetters zu wähnen und gleichzeitig sind die Unwetter nur ein Haarbreit entfernt, denke ich. Kindheitserinnerungen werden wach. Wie plötzlich das Wetter in der Voralpengegend umschlagen kann. Wie lange sich das Schlechtwetter festsetzen kann. Wochenlang. Erinnerungen an Ferienwohnungsferien, in denen man fast nie vor die Tür ging und in der Bude herumgammelte und Lustige Taschenbücher im Akkord las.
Manchmal, ja, manchmal möcht ich die Zeit dahin zurückdrehen.
Wie anders würde das Leben verlaufen? Ein winziger Impuls kann alles ändern. Winzige Impulse stellen immer die Weichen. Auch heute. Auch jetzt. Soll ich Camping, soll ich weiter bis zum Inn? Noch kurz vor der Rezeption sind beide Möglichkeiten gleich wahr. Bleibe ich eine oder zwei Nächte – jemand hatte unterwegs wetterprognostiziert, dienstags sei der regnerischere Tag und man rechne mit 30 Litern Regen … erst einmal abwarten. Zack, Impuls, weiter zum Inn gecancelt. Die Vernunft siegt manchmal über den dreisten Hasardeur in mir, der zu viel riskiert. Bei Dauerregen ist es trotz bester Regenkleidung einfach besser, irgendwo untergebracht zu sein, wo es eine Infrastruktur gibt. Der Camping hat wirklich alles, was man als radelnder Camper braucht. Sogar einen Aufenthaltsraum. Küche. Spielhölle. Schwimmbad.
An meinem Holzplatz, am Waldrand unterhalb von Marienstein, wo ich gestern gezeltet hatte, hätte ich nur das Zelt. Schlammschlacht. Vielleicht ein Lagerfeuer, kein anderweitiges Dach überm Kopf. Vermutlich würde man dort ruckzuck einen Zeltkoller kriegen, aufbrechen in die Nässe und dann am Abend ein klatschnasses Zelt wieder aufbauen, sich warmbibbern.
Nicht dass ich das nicht auch schon erlebt hätte. In England und Schottland etwa und auch in Lappland.
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Nun ist die Entscheidung für den Ruhetag gefallen. Es hat tatsächlich heute noch nicht nicht geregnet. Der Rezeptionist sagte, gegen sechs Uhr habe es beinahe danach ausgesehen, als risse der Himmel auf, aber eben auch nur beinahe. Nun hat es sich endgültig eingeregnet. Ich lümmelte lange im Zelt, erledigte ein paar technische Probleme mit dem Mobilfunkanbieter, checkte Mails, beantwortete Kommentare, twitterte ein bisschen. Wie der Regen, so plätscherte auch die Zeit und schon war Nachmittag. Nun habe ich mich im Aufenthaltsraum des Campings zum Schreiben niedergelassen. Unbeheiztes Ding. Vierzehn Grad vielleicht. Die Rezeption gab zu verstehen, dass der Raum nicht geheizt wird, weil die Gäste oft Tür und Fenster offen ließen und es sei ja Mai. Punktabzug.
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Die Etappe Marienstein via Tegernsee und Schliersee hat es übrigens in sich. Bisher die anstrengendste Tour. Morgens mäandrierte ich die steile Straße zum Golfplatz Margarethenhof hinauf, kaum schneller als eine ältere Frau, die sich auf ihre Wanderstöcke stützte. Hinab zum Tegernsee und ab dort kam es richtig hart auf dem Radweg Tegernsee-Schliersee durch den Wald. Etwa ab der Rodelbahn Oedberg führt das Radwegidyll happig über schmale Pfade und Waldwege, manchmal so steil, dass man nicht fahren kann.
Das Stück entlang des Schliersees war sonntagsbedingt auch eine Herausforderung. Bei noch bestem Sonnenschein waren hunderte Radler, Spaziergänger, Hundegassies unterwegs und ich musste regelrecht Slalom fahren.
Spießrutenlauf unterm Wendelstein. Das ist DER Berg der Gegend. Ein gut 1800 Meter hoher Koloss als Vorhut fürs Hochgebirge.
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Entscheidungen. Nicht leicht, aber immerhin alles ist möglich. Es sieht nicht nach Wetterbesserung aus und ich bin ziemlich nahe an Daheim. Was ich sagen will: Wenn ich irgendwo in Lappland wäre oder in Schottland oder sonstwo nicht gerade einen Hüpfer vom heimischen Sofa entfernt, könnte das Wetter so lange schlecht sein wie es will. Ich würde garantiert nicht abbrechen. Aber hier und jetzt ist die Versuchung doch groß. In Bad Aibling ist der nächste Bahnhof. Halbe Stunde entfernt und mit drei- bis fünfmal Umsteigen wäre ich daheim in der Pfalz.
Ich muss nachdenken. Ein langes, langsames Nachdenken. Ein Nachdenken so lang und holprig wie das Geschirrspülrumpeln einer Campinggästin in der Campingplatz-Spülküche. Und vielleicht noch länger nachdenken, ein paar Kilometer zu Fuß durch den Regen bis ins Dorf, wo ich ein Stück Käse kaufen werde, eine Semmel und noch ein paar Köstlichkeiten, vielleicht.
Das Titelbild zeigt einen Blick auf die spiegelnde Oberfläche des Walchensees vorgestern. Ich wollte Euch das surreale, grünliche Wolkenidyll am grauen Ufer schon lange gezeigt haben.
Hallo Juergen,
vorhin gerade den Wetterbericht fuere Deutschland gesehen: es soll ja, besonders im Sueden, kraeftigts schuetten in den naechsten Tagen. Da halte ich Dir die Daumen, dass Du nicht weggeschwemmt wirst.
Liebe Gruesse,
Pit
Mal sehen wie es morgen wird.
Hallo Jürgen,
bei solchen Konstellationen reibt der Schweinehund sich die Pfoten, er wittert seine Chance.
Pass gut auf ihn auf und auch auf Dich.
Liebe Grüße von einem der das auch kennt.
Da haste recht. Ich habs mir im Betonumwehrten Aufenthaltsraum bequem gemacht. Kalt aber meins.
Du hättest übrigens auch eine iDogma-Karte gekriegt. Wie TRINA. Musst mir mal Deine neue Adresse mailen.
Dat geit los.
Hmm, der Regen hat einen Namen: Axel. Mein Tipp nach der Lektüre des nachfolgenden Textes: Auf zum Bahnhof und heim zu Miez…
DWD warnt vor Unwettern – Höchste Alarmstufe (Violett) in Bayern und Baden-Württemberg
Dauerregen in Süddeutschland – Hochwassergefahr!Quelle: Pixabay
DWD warnt vor Unwettern – Höchste Alarmstufe (Violett) in Bayern und Baden-Württemberg
Von News Team – Montag, 20.05.2019 – 12:14 Uhr
Wetter. Im Verlauf des Montags drohen laut DWD örtlich starke Gewitter, vereinzelt auch Unwetter. Im Süden treten in Dauerregen übergehende Gewitter auf, gebietsweise muss mit Unwetter durch ergiebigen Dauerregen gerechnet werden. Hier sammeln wir die neuesten Wetter-Infos im Ticker:
+++ Amtliche Unwetterwarnung des DWD +++
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat die höchste Warnstufe (Violett) für mehrere Landkreise ausgegeben. Demnach kommt es am Montagmorgen ab 6 Uhr zu extrem ergiebigen Dauerregen. Dabei werden Niederschlagsmengen zwischen 90 und 120 Liter pro Quadratmeter erwartet, in Staulagen sogar 140 Liter pro Quadratmeter.
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(!) Der Himmel öffnet seine Pforten … DWD-#Unwetterwarnungen für viele Regionen in Süddeutschland vor ergiebigem oder extrem ergiebigem Dauerregen. Informieren Sie sich immer aktuell mit der #Warnwetter-App oder über http://www.dwd.de /kis
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10:15 – 20. Mai 2019
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DWD warnt vor diesen GEFAHREN:
ACHTUNG! Infolge des Dauerregens sind unter anderem Hochwasser an Bächen und kleineren Flüssen sowie Überflutungen von Straßen möglich (Details: http://www.hochwasserzentralen.de). Es können zum Beispiel Erdrutsche auftreten. Schließen Sie alle Fenster und Türen!
In diesen Landkreisen gilt eine amtliche UNWETTERWARNUNG vor EXTREM ERGIEBIGEM DAUERREGEN (Violett)
Bodenseekreis
Ravensburg
Biberach
Oberallgäu
Stadt Kempten (Allgäu)
Unterallgäu
Ostallgäu
Neu-Ulm
Landsberg am Lech
Weilheim-Schongau
Garmisch-Partenkirchen
Bad Tölz-Wolfratshausen
Miesbach
Kreis und Stadt Rosenheim
Traunstein
Berchtesgadener Land
Oha. Aber irgendwie zeigt das doch auch, wie wichtig es ist, mit spektakulärem Wetter Klicks zu baiten. Ich bin nur im Genuss von Dauerregen, der seit zwei Stunden sogar radelbar wäre. Wie im Kommentarstrang vom anderen Stefan schon erwähnt, sitze ich in einem Beton umwehrten Keller mit Schießschartenähnlichen Fenstern gemütlich auf einem Sofa. Nebenan ein Bücherschrank. Cerankochplatten. Es gibt Leberknödel heute.
Sehr geehrter Irgendlink,
wir möchten gern Kunst kaufen und sind auf Postkarten spezialisiert.
Wir sind glückliche Besitzer*innen einiger idogma-Karten und möchten uns nun erkundigen, auf welchem Wege weitere dieser Exemplare käuflich zu erwerben sind. Zum Beispiel das Foto zu diesem Blog. Am liebsten aber als kleines Abo zum aktuellen Reise-Blog à 5 Sück oder so.
Im Irgenlink-Shop haben wir kein Angebot zu Postkarten / idogma / aktuellem Reiseblog gefunden.
Wir mögen auch die 365-Dailies sehr und fragen uns, ob es möglich wäre, die Dailies auch als idogma-Karten zu erhalten? Oder empfänden Sie dies als Abwertung der Dailies?
Wie auch immer, wir wünschen bald einkehrende Trockenheit und viel Spaß beim Durchstöbern der Camping-Bibliothek.
Und eigentlich Siezen wir Dich gar nicht, lieber Jürgen :)
Wir sind gespannt wie es weitergeht.
Pass auf Dich auf und liebe Grüße auch an die Homebase-
von den beiden aus der Hauptstadt.
Werte Frau Hauptstadtethnologin. Alles ist immer zu jeder Zeit möglich, dauert aber ein Weilchen. Sie haben mich da auf eine brisante Sache gebracht: Die Irgendlinksche Unschärferelation. Die ist so ähnlich wie die von Heissenberg, aber mit Geld verdienen durch Kznstverkauf. Entweder der Herr Irgendlink ist unterwegs und fischt nach den heißen Motiven für den Shop, oder er hockt im Atelier und veredelt die Rasantien, tütet sie ein und zack, weg. Beides geht nicht bei der momentanen Wetterlage.
Ne im Ernst, meine Liebe, danke für den Kommentar und das mich erinnern. Lieber Gruß aus Rosenheim vorm Metzger Palmberger sitzend.