Warmer Ofen. Wind zischt. Herbst kommt. Daheim nun.
Ein Parforce-Ritt, die gestrige Radeletappe aus dem tiefsten Warndt via Saarbrücken in den Bliesgau und nach Homburg. Oder, wenn man es in Kilometern ausdrücken möchte, etwa achtzig. Das ist nicht die Welt. Normale Radreisende ‚machen‘ mehr als hundert, manche über zweihundert und die echten Transcontinentalfreaks machen zum Frühstück die gesamte ellenlange 350 Kilometertour rund ums Saarland, ohne auch nur einmal abzusteigen.
Ich kann allen Tempobereichen etwas abgewinnen, muss ich sagen. Als ich diesen Sommer das Transkontinental-Radrennen von Gerhardsbergen bei Brüssel bis ins griechische Meteora auf dem Computerbildschirm verfolgt hatte, habe ich richtig Lust gekriegt, da auch mitzufahren.
Tu‘ das nicht, Herr Irgendlink, sei klug. Bleib langsam. Gehe deinen Weg. Finde deinen Takt.
Gestern war schon fast zu schnell. Man muss sich den menschlichen Körper und das Gemütskonstrukt, das damit einher geht vorstellen wie eine Waagnadel, über der eine Balancestange hängt und die sich genau mittig einpendeln sollte. Wie eben Waagen so sind, so sollte es auch mit dem Gemüt funktionieren. Beim Radfahren spüre ich es am ehesten, wenn es nicht so recht klappt mit dem sich einpendeln. Dann hetzt man selbst gebastelten konfusen Zielen hinterher und steckt sich Weg- und Zeitmarken und dann wird man unglücklich inmitten des Glücks, das einen umgibt. Wenn man es zulässt.
Die Nacht in Großrosseln unter einer kleine Eiche mit weit ausladenden, kaum 1,6 Meter über dem Boden stehenden Ästen war eiskalt. Die Wiese ringsum trug Raureif. Es ist erstaunlich, wie minim, aber doch wirksam das bisschen Schutz von Bäumen ist. Unterm Baum gab es noch keinen Reif. Diese Nuance von Temperaturunterschied habe ich erstmals auf dieser Radeltour erkannt. Ein zwei Grad wärmer ist es unter den Bäumen und das Zelt wird nicht taufeucht. Punkt Sonnenaufgang kommt die Europennermaschine in Gang, ich packe alles zusammen. Frühstück war gut mit geröstetem, schäbigem Billigst-Baguette aus dem Backautomaten, Pulverkaffee und dazu ein paar Strich von dem Honig mit Kürbiskernen, den ich in einem Wohnwagen-Verkaufsstand an der Radwegeumleitungsstrecke in Höchen, am ersten Reisetag gekauft habe. Es kommt mir vor, als sei das Wochen her. So eine selbstorganisierte Radelreise hobelt alle Zeiten dahin und die Sorgen ohnehin. Ich bin weichgeklopft, okay, ein bisschen druchfroren an diesem Morgen, aber der Trangia, mitten im Zelt erzeugt recht schnell Schwitzhüttenatmosphäre. Die ersten Kilometer führen mich durchs sonntagsstille Großrosseln und über die französische Grenze nach Petite Rosselle – also Kleinrosseln. Immer wieder muss ich an die Sache mit dem Zauberkasten denken, den ich als Kind zu Weihnachten geschenkt bekam. Auf deutsch hieß es ‚Der große Zauberkünstler‘ (oder so ähnlich) und auf französisch, was ebenso auf der Schachtel aufgedruckt war, stand da ‚Le petit (ich glaube Magicien)‘. Mein bilingualer Freund Steph machte mich drauf aufmerksam, dass das genau das Gegenteil ist. Jaja. Frankreich, Deutschland, deine Missverständnisse, deine Herzlichkeiten.
Herzlich ging es jedenfalls zu in der Bäckerei, in der sich Menschen von diesseits und jenseits der Grenze begegneten, Baguette oder Bappigsüßes bestellend. Eine Weile lauschte ich in dem angegliederten Café dem Mix aus Mundart, Deutsch und Französisch und bewunderte die vielen Torten, die im Schaufenster aufgestellt waren. Eine Fußballtorte, eine Spiderman-Torte, eine kitschige – ja, was ist das – Schneewittchentorte und die Bäckerin zeigte mir auf dem Smartphone eine Torte mit Kirche darauf, die sie gerade gestern als Auftrag hatten backen lassen. Ist das die aus Lauterbach, fragte ich, nein, irgendeine, sagte sie. Sie sprach Mundart. Kurzum, es ist für mich das ‚Große Tortenmuseum von Petite Rosselle‘. Also le grand dans la petite … na, Ihr wisst schon.
Ein guter letzter Reisetag. Das Wetter hat doch tatsächlich mit brilliantestem Sonnenschein durchgehalten bis zu meinem Tourende. Von den beiden Rosseln ging es nach Völklingen an der Saar. Kulturerbestadt. Ziemlich verkommenes Saarufer, an dem das Partyvolk seine Pizzaschachteln hinterlassen hat, massenhaft Glas und alles irgendwie klebrig wirkte, verspuckt und missachtet. Ein Wasserwart nahm Proben aus dem Fluss. Naja, trinken kann man es nicht, es wäre badbar, wenn nicht schon zu kalt und die Proben sind eigentlich wegen der Fische, sagte er. Im Hintergrund blecken die Türme des alten Stahlwerks, das nun Kulturort geworden ist.
Leichtes Spiel. Bis Homburg habe ich nur noch Flachland an Saar und Blies vor mir. Saarbrücken, die kleinste Großstadt der Welt des Saarlands ist opulent, was die Photogenität angeht. Hier könnte ich Tage verbringen und knipsen. Eine hunderte Meter lange Wand mit Graffities etwa, die immer wieder neu und hochoffiziell bespielt wird, verrät mir eine Frau mit silbernem Haar. Ein bemerkenswertes Projekt. Die Kunst kann sich tatsächlich sehen lassen. Manche der Künstlerinnen und Künstler korrespondieren auch mit den natürlichen Gegebenheiten neben der Mauer, mit Laternen, Pegelmarken und dem was da wächst. Es hat durchaus seinen Reiz. Die Frau mit dem silbernen Haar, die auch per Fahrrad unterwegs ist, begegnet mir immer wieder und das letzte Stück bis Sarreguemines radeln wir gemeinsam. Da packt sie aus, dass sie einmal alle Brücken an der Saar in der Gegend fotografiert hat. Aus verschiedenen Blickwinkeln bei verschiedenen Lichtverhältnissen und sie weist mir den Weg schließlich bei der Schleuse in Sarreguemines, da über die Brücke, dann links und vorbei am Sportplatz und immer weiter, schöne Strecke und ich sage, ich tu immer das, was die Radwegschilder mir sagen und sie lächelt und fährt weiter ihres Weges zu einem regionalen Markt vorm Casino der Stadt und in der Tat ist viel passiert, seit ich vor gut zehn Jahren diesen Weg schon einmal radelte und der Blies folgte. Damals war er nicht sehr schön, verlief auf der Landstraße. Schwitz, keuch und irgendwie steil, so erinnere ich mich, doch das hat sich geändert.
Es gibt einen Bahntrassenweg etwas abseits, oberhalb, den ich auch bei meiner Reise ums Paminalands nutzte, aber ich wollte ja dem großen Saarlandrundweg folgen, und ja, das französische Stück, nah an der Blies hat sich gemausert mit eigens gebauten Radwegen neben der Straße. Weder schwitz, noch stöhn, noch keuch. Dennoch: der Bahntrassenweg ist sicher die bessere Wahl, wenn man die Betonholperpfade rings um Habskirchen meiden möchte. Aber die grenznahe Tour auf der Yellow Pig Road hat auch ihren Reiz. Man muss das Spiel mitspielen, wenn man in den Genuss des großen Ganzen kommen möchte.
Etwa dreißig vierzig Kilometer sind es von Sarreguemines durch den Bliesgau nach Homburg und ich muss mächtig reintreten an diesem gestrigen Sonntag. Gegenwind. Und viele Sonntagsspaziernde erschweren die Tour. Ich fahre Zick-Zack und meine selbsterfundene Mundklingel, ‚DingDong‘ rufend, kommt gut an (nur die beiden Radler aus Fernost, denen ich vor Homburg begegne, gucken etwas komisch – ich weiß nicht, was Dingdong in ihrer Sprache heißt). Dennoch gelingt es, ruhig auszurollen und als ich die Talstraße in Homburg erreiche, ist es etwa halb sechs und auf dem Gesamt-Kilometerzähler stehen fast auf den Meter genau 380 Kilometer. Nur knapp dreißig Kilometer mehr, als das Tourismusportal im Web für die große Saarlandroute offiziell veranschlagt. Und die sind weitestgehend meinem Abstecher zur Saarschleife an Tag drei der Tour geschuldet.
Fazit: Der große Saarlandradweg lässt sich allein mit den aufgestellten Schildern navigieren. Eine Karte, zum Beispiel auf dem Handy, ist nützlich aber muss nicht. Die Radwegbeschaffenheit hält von feinstem Teer über übelsten Wald- und Feldweg alles bereit und mit einem 28 Zoll Standard-Tourenrad und Gepäck kann man die Reise prima bewältigen.
Ach und der Blogtitel? Er spielt mit dem Titel des melancholischen Elton John Albums ‚Good Bye Yellow Brick Road‘ – ich konnte mir das Wortspiel nicht verkneifen.
Hab an dich gedacht, ob du’s noch rechtzeitig schaffst, und dass es so richtig eklig erst heute Nacht wird. Umso besser, dass du am warmen Ofen sitzen kannst, und danke für das schöne Reisetagebuch. *knixt* und freut sich aufs nächste Mal.
Ich war ja auf der sicheren Seite, denn es gab in Griffweite stets Bahnhöfe, bei denen ich die Tour hätte unterbrechen können. Das wäre dann zwar ein Scheitern gewesen, wie im ersten Artikel sinniert, aber ich hatte unterwegs schon Frieden mit mir geschlossen und hätte somit mit Hochgenuss scheitern können, sprich, die Tour vorzeitig abbrechen. Und übers Scheitern und den Erfolg und was es mit der Kunst zu tun hat, gaukelt auch noch ein Artikel in meinem Kopf. Mal schauen, ob ich den noch schreibe. Bestes Schreibwetter ist jedenfalls. Trister Hochnebel.
Ding-Dong, was in deren Landessprache heißt: schnell, holt Eure Rechenhefte raus!
Oder: Schau her, nimm das Klopapier.
Wer weiß.
Habe gelacht.
Du erzählst so…
Hihi, die beiden Übersetzungen wären ja noch harmlos. Vielleicht heißt es ja auch wie bei Monty Python: Würden Sie mir bitte zärtlich den Popo streicheln?
Danke für den coolen Reisebericht. ☺️
Danke fürs Mitreisen lieber Matthias.
Ich habe heute ein schmales Bändchen von Werner Herzog gelesen: „Vom Gehen im Eis“, er ist 22 Tage gegangen, von München nach Paris (23.11.-14-12-1974) und hat jeden Abend den Tag geschrieben, bei dieser Lektüre habe ich oft an dich gedacht.
Und ich habe kapiert, wenn, dann würde ich gehen wollen, nicht radeln. Nun denke ich über erste Schritte nach.
Danke für deins, wie immer hab ich alles gerne gelesen!
Herzlichst, Ulli