Perfekt. Die Sonne geht genau im Zelteingang auf. Blutroter Ball, durch optische Täuschung zur Elipse gedrückt und von seichtem, graublauem Dunst schmeichelnd gerahmt. Wiese so weit das Auge reicht. Hinter mir Eichenwald. Ich hätte gewiss das Zeug, keltischer Kultstättenbaumeister zu werden, so präzise wie das Zelt in den Himmeln ausgerichtet ist. Um Punkt acht Uhr vier am 20. Oktober. Just an dieser Stelle.
Zwei Krähen balgen sich lautstark in der Höhe.
Bis spät in die Nacht hörte ich Unscharen von Zugvögeln übers Lager fliegen. Nun dominiert das Wummern der Autobahn und der Straßen nördlich dieses Niemandsgrenzlands.
Gestern habe ich die Schnauze der Wutz umradelt (zu Wutz siehe den ersten Blogartikel #UmsLand/Saar).
Das heißt, ich bin mehr oder weniger eine Schlaufe geradelt und Luftlinie nur knapp zehn Kilometer von meinem gestrigen Lagerplatz nördlich der Saarschleife entfernt. Insgesamt dennoch gut siebzig Kilometer führte der Schlenker von der Saar zur Mosel und zurück auf den kahlen, von kleinen Forsten durchwirkten landwirtschaftlich genutzen flachen Höhenzug an der französischen Grenze. Jungkeimendes Getreide und blühender Raps gebrochen von Windrädern. Tagein tagaus im Landkreis Merzig. Gefühlt größter Landkreis des Universums. Die Autokennzeichen tragen MZG. Aber es sind auch viele französische und luxemburgische Kennzeichen zu sehen. Der Straßengraben ist gespickt mit steuerfrei gekauften Bierdosen ohne Pfand – ich hätte durch Dosensammeln den Tagesetat bestreiten können, wenn überall das Pfandsymbol aufgedruckt gewesen wäre.
Übervolle Lebensmittelläden in Perl, in Schengen ein Abkommen, in Radeln zwei Krähen, beim Schalten ein Knarren. Heute ist Flann O‘ Brian Titel Tag. Ich möchte ein Computerprogramm schreiben, das aus Worten Flann O‘ Brian Titel generiert. The FlanOBrianizer. Geschrieben in Perl in Perl haha.
Derart stil mit mir scherzend verdulde ich mir mannigfaltige Steigstrecken, die am Radweg stets mit Schildern angekündigt werden: steigt 60 Meter auf 800 Metern etwa. Demotivationsschilder. Viele. Schon der Anstieg von der Saar ins Rheinland-Pfälzische Taben-Rodt hats in sich. Dort stoppe ich einen Kleinwagen per Fingerzeig und frage nach einem Laden, in Taben-Rodt zwei Bäckereien? Hier gibt es nichts, sagen die beiden Insassen. Hier ist tote Hose. Auf den Kopfstützen ihrer Sitze hängen kukluxklanesk schwarz rot gelbe Hauben und auch die Gurte sind mit SRG-Überziehern versehen.
An einem Bach namens Leuk zweige ich ab zum Aussichtspunkt Cloef bei Orscholz an der Saarschleife. Grandios, lohnt sich, obschon die insgesamt fast zehn Kilometer Umweg auch über hundert Höhenmeter in die Oberschenkel pressen. Auf Waldwegen erreicht man kurz vor Orscholz einen Kreuzweg kurz vor einem Stein, auf dem ‚Weg des ewigen Lebens‘ geschrieben steht. In Orscholz kann ich auch endlich etwas einkaufen. Die Saarschleife ist sehr touristisch mit Baumwipfelpfad und Aussichtsplattform. Der kostenfreie alte Aussichtspunkt genügt mir jedoch.
Apropos Weg des ewigen Lebens. Später an der Mosel passiere ich die Todesangstkapelle in Nennig.
Die gestrige Etappe war sehr vielfältig an Gegenden. Von schroffer Saarschlucht über kahle Felder durch riesige Windparks, vorbei an Weinbergen war alles dabei. Und viele Bergaufs. Ein besonderes Schmankerl ist ein fast schnurgerader Skulpturenweg südlich von Büdingen. Die Straße verläuft kilometerweit direkt auf der Grenze zu Frankreich. Das Gesamtkunstwerk mit vielen Skulpturen zu Ehren des in Majdanek gestorbenen Bildhauers Otto Freundlich wurde in den 1970er Jahren in Symposien begonnen und in den 1990er Jahren beendet. Derzeit werden viele Windräder auf der Grenze gebaut und die Skulpturen stehen fast alle hinter Gittern, wohl zum Schutz vor Schwerlasttransportschäden. Das Internet ist übrigens dank Roaming nach Frankreich gnadenswert schnell.