Randgedanken. Nichts als Randgedanken zwischen zwei Reisen. So kommt es mir manchmal vor im Künstlermorgenblütenreiseleben. Wann hat es eigentlich angefangen, dieses Blog zu vernachlässigen und all die feinen Gedanken, die all-täglich immerdar in einem garen, zu vergessen? War es Twitter Ende 2014 – immerhin fließt seither vieles an Ideen in den 280-Zeichen-Nachrichtendienst.
Das Irgendlink-Blog ist zu einem reinen Reise-Kunstblog geschrumpft, so dass man als Außenstehender, als Außenstehende vielleicht den Eindruck hat, da ist nichts mehr, da ist nur noch das ‚Geschäft‘. Ich glaube es sogar selbst. Fast komme ich mir vor, als existiere ich zwischen den Reisen gar nicht und die Vermutung macht sich breit, dass mein Hirn durch meine Beine angetrieben wird, steampunkig, mechanisch, mit viel Pomp und Dampf und Pleuelstangen und Chrom und Messingglanz, wie in den glorreichen Mechanisierungszeiten des Neunzehnten Jahrhunderts.
So sehe ich mich, der kurbelnde Junge im Wind, die Welt auf dem Fahrrad erkundend und über Menschen schreibend.
Aber es gibt ja noch so viel Alltag dazwischen. Unterwegs bin ich doch höchstens drei vier Wochen im Jahr, vielleicht auch mal länger, aber der Rest des Jahres ist knallharter ganz normaler Alltag, der auf einem einsamen Gehöft stattfindet, selbst versorgend, Garten schuftend, Dinge reparierend, Probleme lösend. Manchmal auch was Digitales. Kürzlich habe ich mein Dasein einmal als eine Art Hausmeistertätigkeit bezeichnet. Sowohl physisch, als auch digital. Die Leute kommen mit kaputten Dingen und Problemen zu mir und ich repariere und löse sie.
Kürzlich habe ich auch einmal gesagt, wenn ich ein Ding repariere, gehen zwei kaputt. Das ist so auf einsamen Gehöften, die in die Jahre gekommen sind und auf denen viele alte Dinge lagern, die schon seit Jahren die Obsoleszenzgrenze überschritten haben. Es lagern hier vor Ort auch noch viele Dinge, die so alt sind, dass man noch keine Vergänglichkeit eingebaut hatte. Dinge, die man noch reparieren kann.
Und so komme ich auch zum Kern und zum Anlass dieses Aufsatzes: die Gangschaltung an einem 30 Jahre alten Fahrrad versus die Gangschaltung an einem neun Jahre alten Fahrrad. Wie ich so auf dem uralten Fahrrad aus dem Jahr 1985 sitze und für mich hin kurbele, letztes Wochenende, muss ich nämlich feststellen, dass die Schaltung auf dem Sechsfach-Ritzel schnurrt wie ein feingeölter Nähmaschinenmotor, wohingegen mir die Neunfach-Schaltung an meinem ’neuen‘ Fahrrad aus dem Jahr 2009 derzeit etwas Probleme bereitet, trotz dass ich sie runderneuert habe. Sie ist so präzise und verzeiht so wenig Fehler, dass sie sich nicht mehr einstellen lässt, wenn das Schaltauge oder die Mechanik auch nur einen Millimeter aus dem Lot sind.
Vernünftige Menschen werden sagen, das Fahrrad ist neun Jahre alt, schmeiß weg. Kauf Dir ein neues. In der Tat liebäugelte ich im Fahrradladen vor der Neuauslage tatsächlich mit einem neuen Radel. Etwas für drei- bis sechshundert Euro. Mit Licht und Schutzblechen und Scheibenbremse und Nabendynamo. Was wohl billiger ist: alle zwei Jahre ein drecksbilliges neues Fahrrad kaufen, oder das bestehende Rad zu reparieren? Die Reparatur kostet mit Reifen, Bremsen, Kette und Ritzeln und Arbeitszeit wohl an die 250 Euro. Vielleicht sogar mehr.
Ich will nicht sagen, dass technischer Fortschritt nicht gut ist und keine Verbesserung bringt. Dennoch habe ich das Gefühl, dass man sich mit jeder Neuerung, jeder mutmaßlichen Verbesserung, an welchem Produkt auch immer, auch etwas unsichtbares, unheimliches, ungutes ins Haus holt. Jede vermeintliche Verbesserung schleicht ein Gift in die Produkteigenschaften, zementiert eine neue Fuge in der Mauer der Abhängigkeit, mit der der Produkthersteller Dich nach und nach in einem Verlies einkerkert. Mit jeder neuen raffinierten Verbesserung besteht auch die Gefahr, dass man seine Selbständigkeit verliert, die Möglichkeit, die Maschine zu durchblicken und sie mit herkömmlichen Werkzeugen selbst zu reparieren. Für die Schaltungen der neuen Fahrräder gibt es zum Beispiel Lehren, mit denen man genau prüfen kann, ob sie verbogen sind. Man sieht es nicht mit bloßem Auge und die hochgezüchtete Technik gewährt null Toleranz. Immer mehr habe ich das Gefühl, die Welt funktioniert nach dem Apple-Prinzip und im Hintergrund der Entwicklungsabteilungen sitzen sadistische Entwicklungsingenieure, die sich für die Produkte fiese Fallen ausdenken, mit denen man sie so schwer reparierbar wie möglich macht und die Produktlebenszeit so präzise wie möglich steuert.
Längst geht es nicht mehr darum, ein gutes Produkt zu erzeugen, sondern es geht darum, den Konzern so genau wie möglich zu berechnen, um die Gewinne zu maximieren. Die Produkte der Konzerne sind eigentlich nur kollateral. Ein Konzern könnte prima ohne Produkte auskommen, wenn es je gelänge so etwas zu erfinden. Ein perfektes, feinjustiertes betriebswirtschaftliches Konstrukt, das aus sich selbst existiert – ha – was für eine Vorstellung.
Vom Wert der Zwiebel wollte ich übrigens auch einmal schreiben, hier so, zwischen den Reisen. Davon, dass es sich nicht lohnt, selbst Zwiebeln anzubauen, weil sie so unendlich billig sind. Jede Sekunde, die man investieren würde, selbst Zwiebeln zu pflanzen, ist vergeudete Lebenszeit. Rein betriebswirtschaftlich gesehen. Gehe lieber arbeiten und verdiene dein Geld mit etwas anderem, aber baue keine Zwiebeln an.
Und irgendwann stehst Du dann da und weißt nicht mehr, wie man Zwiebeln pflanzt, mehr noch, Du wirst vergessen haben, dass man sie überhaupt pflanzen kann, dass sie wachsen können und dann bist Du der perfekte Abhängige.
Die Zwiebel ist natürlich nur ein Platzhalter.
Klasse das, gern gelesen.
Tu es wieder und wieder.
Zwiebeln setzen ebenso wie
Bloggen.
Und auch Radeln, moechte ich ergaenzen. ;)
Habt’s fein, Ihr Beiden,
Pit
Gerne mehr Randnotizen ;o)
liebgrüß