Drei Zugtakte ist der Tag alt. Die Sonne schiebt sich langsam über die Pappeln. Das Zelt steht am Rand eines strohgelben Stoppelfelds zwischen der Bahnlinie nach Haguenau und dem Flüsschen Zinsel du Nord, der nördlichen Zinsel. Die Hauptstraße rauscht seit Stunden, seit der Dämmerung, als ich erwachte und mich fragte, wie spät es wohl ist. Warum? Wozu Zeit? Wieder einschlief. Die beiden weltreisenden RadlerInnen, die ich gestern traf, hatten mir erzählt, dass der erste Zug um 6:20 Uhr vorbeidonnern würde. Da bin ich längst wach, hatte ich gescherzt. Es war ein schönes Schwätzchen, das wir führten am Straßenrand bei einem Weiler namens Mietesheim Gare. Drei vier Häuser, Straßenkreuzung, Bahnlinie, sonst nichts. 26 Monate sind die beiden rund um die Welt getourt mit ihren Fahrrädern, auf Schiffen, im Flieger, bis sie im März zurückkehrten. Deshalb also hatten sie mich angesprochen – ich hatte ihnen gleich gesagt, je suis pas perdu, ich hab mich nicht verirrt, aber sie verwickelten mich in ein Gespräch. Weil sie wissen, was Radreisende benötigen: einen guten Zeltplatz ein paar aufmunternde Worte, Lächeln.
Der Wasserturm sei gut. Sonnenaufgang im Zelt, sagten sie, oben bei den Maisfeldern. Schon wollten sie mich begleiten, da fiel unser aller Blick auf den Stoppelacker jenseits der Bahnlinie. Ha. Da haste auch Wasser.
Ein guter Reisetag gestern. Heiß, trocken, kein Unwetter, fast nur Radwege und kleine Landstraßen.
Schwester und Mutter machten sich Sorgen wegen der gemeldeten Unwetter und ich machte mir Gedanken zum Thema Prognosen, die gegebenenfalls eintreffen versus unwissend drauf los und die Dinge treffen mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit zu oder auch nicht. Das Wissen darum, was sein könnte, ist ein verflixter Ratgeber.
Zweibrücken Verdrossenheitsallee. So deprimierend, der eigentlich schöne Gehweg unter Kastanien direkt am Schwarzbach. Aber dort leben die Verdrossenen, so nenne ich sie. Menschen, die aus welchem Grund auch immer durchs Raster der Gesellschaft gerieselt sind und nun auf den Bänken sitzen oder an den Geländern zum Bach lehnend lungern, rauchen, trinken, schwatzen. Nicht unbedingt unglücklich, aber der Ort strahlt mit Wucht die Perspektivlosigkeit aus, die sich in ihnen ballt. Auch „mein“ Berber sitzt auf einer Bank, weißhaarig, mit sich selbst redend, der, dem ich immer, wenn ich ihn sehe, ein paar Münzen zustecke. Diesmal nicht. Ich bin in Gedanken längst im nächsten Supermarkt, wo ich noch zwei Reiseutensilien kaufen will: Brennspiritus zum Kochen und Kondensmilch.
Die Strecke: raus aus Zweibrücken auf dem Bahnradweg nach Hornbach, auf der Rheinlandpfalzradroute und dem Europäischen Mühlenradweg gehts über Rolbing und Dorst zum Anschluss des Radwegs Pirmasens-Bitche. Nach Bitche verlieren sich dann die Radwege, aber immerhin, die ersten 50 Kilometer fast nur Radrouten, das ist fett. Durch kühle Täler via Moutherhouse, Bärental, Zinswiller bis zum zufälligen Treffpunkt mit meinen o. g. Weltreisenden.
Menschen: Mein brabbelnder Berber, natürlich, wie zum Abschied. Ein mürrischer Radler, mit dem es beinahe einen Frontalzusammenstoß gegeben hätte, drei Gendarmen, die mich in Ruhe lassen, ein Typ, der vor offenem Kofferraum mit Schnulzenmusik an einer Reckstange Klimmzüge macht, drei Jungs, die mit dem Auto umdrehen, um mich um eine Zigarette zu bitten, ein Kerl in Zinswiller, der Kieselsteine an einen Fensterladen im ersten Stock donnert, vom Rückprall beinahe getroffen wird und immerfort ruft, François, mach auf; ein Tennisfan, der nicht weiß, wer Wimbledon gewonnen hat und statt Fußball-WM-Titel zu feiern an der Quelle in Moutherhouse Wasser zapft, er wird in die Schweiz radeln und nach Österreich, sagt er und außerdem liebe er deutsches Brot; zwei Bäckerinnen in zwei verschiedenen Bäckereien, die kein Éclair mehr haben. Ein Zwei-Sterne-Restaurant mitten im Wald, zu dem die Menschen aus Luxemburg, der Schweiz und von sonstwo ganz weit weg anreisen.
Und natürlich meine Weltreisenden, die meinen Tag abrundeten, mich sozusagen von ganz hoch oben, gesegnet mit den Weihen der großen weiten Welt, zu Bett brachten und die schon bald wieder aufbrechen, um in die Türkei zu radeln.
Eine gute Reise wünsche ich!
Das Wissen darum, was sein könnte – mein Enkel hat es noch nicht oder erst ein bisschen, da er schon eine Gipsbeinzeit hinter sich hat. Das nennt man Unbefangenheit, oder?
Du hast dir da furchtlos Einiges bewahrt. Du pfeifst auf die Zeit. Klasse! Du machst so viel richtig, in meinen Augen!
Sommergruß von Sonja
Danke liebe Sonja. Alles Gute für Deinen Enkel. Verziert Ihr das Gipsbein mit Unterschriften und Bildlis? Liebe Grüße von neben einem Schwarzwaldbach, der gegen den Lärm der Bundesstraße anmurmelt.
Ja, die Wetterprognosen, lieber Juergen. Die haben mir auch vor unserem letzten RailTrailsRoadTrip [https://wp.me/p4uPk8-1ll] Sorgen gemacht, denn fuer die ersten 10 bis 14 Tage waren in der gesamten Region, die wir abklappern sollten, tagtaeglich schwere Gewitter angekuendigt, und zwar im Prinzip (fast) ganztaegig. Da hatte ich mir wirklich Sorgen gemacht, ob wir nun ueberhaupt radeln koennen wuerden. Zum Glueck hat aber Petrus den Wetterbericht wohl nicht gelesen, denn es kam anders. Nur am zweiten Tag [https://wp.me/p4uPk8-1lP] hatten wir ein sehr kraeftiges Gewitter zu ueberstehen. Aber da waren wir noch auf der Autobahn unterwegs. Wir mussten allerdinsg auf einem Parkplatz eine Pause einlegen, weil bei einer Sichtweite von gerade einmal 10 bis 20 Metern das Fahren auf der Autobahn doch zu gefaehrlich war. An all den Tagen aber, an denen wir radeln wollten, war es besser. Wir sind des morgens und bis in den fruehen Nachmittag hinein geradelt, und die Gewitter kamen am spaeten Nachmittag oder Abend – wenn sie denn ueberhaupt kamen. Also: Glueck gehabt.
Dir wuensche ich alles Gute auf Deiner Radtour.
Liebe Gruesse,
Pit
Dankesehr lieber Pit. Mit dem Wetter ist es ja so: es ist zur Ware geworden. Spektakuläre Prognosen verkaufen sich nunmal besser als die leisen. Liebe Grüße aus morgenkühlem Wald. Ich hoffe, die Sonne kommt bald, damit ich das Bloggertelefon aufladen kann.