Kennst Du das Land zwischen Sand und Sand? Es heißt Skagen, vielleicht.Kennst Du das Land zwischen Watt und Sand? Es heißt Rømø, sicher …
…okay, okay, das mit dem Dichten lässte lieber bleiben, Herr Irgendlink. Dafür gibts Spezialisten. Meisterinnen der schönen Wortform, die in der Lage sind, Wortketten in akustisch und rhythmisch gefälliger Weise zu arrangieren. Dir, Herr Irgendlink, ist es eher gegeben, skurrile Zusammenhänge oder Gegenpole zu arrangieren und dadurch ein eigenwilliges Texterlebnis in Blogform zu hacken. Worte, die sich wie eine frisch ausgehobene Schlangengrube züngelnd giftelnd dennoch wunderschön zu einem Text fügen etwa der oft schnurgeraden Straße Nummer 11 entgegenzustellen, die sich vom Norden Dänemarks bei Hanstholm und Hirtshals etwa dreihundert Kilometer nach Süden in die Stadt Tønder, nahe der deutschen Grenze zieht. Immer ein paar Kilometer vom Meer entfernt. Durchaus langweilig. Sie kann dem Erlebnis der Strecke auf dem Radweg direkt an der Küste an Schönheit in keinerlei Weise das Wasser reichen. Zwischen Thisted und Ribe läuft sie aber faszinierend schnurgerade etliche Kilometer weit und folgt den sanften Wellen des natürlich gewachsenen Bodens. Ob unter dem Gras und den jungfrischen Getreidefeldern Sand oder Fels ist? Ich weiß es nicht.
Von Skagen bis zur Insel Rømø haben wir Jütland in zweitägiger Fahrt durchquert. Das Reiseende auf #kursnord naht rapid und es liegen nun noch gut zehn Stunden Fahrt vor uns bis nach Zweibrücken, um die wir uns nicht unbedingt reißen. Deutschland auf Autobahnen zu durchqueren ist ein Gemetzel. Aber so verdammt schnell.
Jenseits von Skagen, Dänemarks nördlichster Stadt endet die Straße irgendwann an einem Parkplatz mit Kiosk, WC und einer eigenartigen Busstation, an der Traktoren mit Personenanhängern in regelmäßigem Takt verkehren. Für zwanzig Kronen kann man die letzten paar Kilometer durch die Dünen in mäßigem Tempo bis zu der kleinen Sandzunge zurücklegen, auf der sich hin und wieder Robben tummeln, aber noch viel mehr Touristen. Beindruckend, wie die Wellen der Nordsee gegen die Wellen der Ostsee schlagen, vermutlich der Tide gedankt, so dass sich eine deutliche Grenze abzeichnet.
Eine Million Menschen jährlich besuchen diese, eine von Dänemarks populärsten Tourismusattraktionen. Ohne uns also nur noch 999.998, scherze ich mit Frau SoSo. Wir haben die Schuhe ausgezogen und laufen barfuß vorbei am Grab des Dichters und Malers Holger Drachmann. Das einsamste Grab Dänemarks zwischen alten Bunkern aus den Weltkriegen, die des sandigen Fundaments beraubt in Schieflage geraten sind.
Zwei drei Kilometer sind es bis zur Landzunge. Immer eine gute handvoll Touristen im Blick, die wie wir es sich nicht nehmen lassen, die letzten Meter zu Fuß zu gehen. Vor der Küste dümpeln gut zwanzig Containerschiffe, eine fantastische Skyline und wenn man weiter blickt in die Ferne, kann man weitere Schiffe erkennen, die sich grau in grau zwischen Meer und Horizont verlieren.
Eine Million Menschen jährlich und wir sind zwei davon. Täglich also etwa 3000, rechnet mein inneres Mathegenie und belässt es bei der Unschärfe. Nur wenige laufen barfuß, was mich wundert. Ein Hundchen schiebt sich ins Bild, die Nase dicht am Boden, unvorhersehbare Schlangenlinien laufend (da isses wieder, das verknüpfte Antipodenbild mit der geraden Straße 11, mach was draus, Herr Irgendlink. Oder auch nicht). Das Hundchen wedelt unentwegt mit dem Schwanz. Wir sitzen mit Blick auf einen Bunker und die Containerflotte. Ostseewellen klatschen in einem schmalen Betonschacht. Das Hundi, wir, die anderen Menschen, die es teils recht eilig haben, zur Landmarke zu wandern. Das Hundi nicht. Es trottet gemütlich dahin, Glück aus allen Poren verströmend. Gibt es etwas oder jemand glücklicheren an diesem Strand als dieses Hundi, frage ich mich. Bin ich genauso glücklich oder gar glücklicher? Frau SoSo? Die da – mit meinem imaginären Zeigefinger fächere ich über den langen Strand und zeige auf die anderen Touristen wie auf einer unsichtbaren Theaterbühne – die da vielleicht? Lässt sich Glück steigern? Gibt es ein maximales, minimales, mittelmäßiges Glück? Das Problem von uns Menschen ist, dass sich Glücksempfinden sowohl im Kopf, als auch im Körper abspielt, vermutlich wie bei jeder anderen Tierart auch, aber wir haben im Kopf stets verschiedene Gedankenschichten mitlaufen. Alltagssorgen, Wünsche, Ängste. Ein hartes über die Jahrzehnte erlerntes, zu lieben gelerntes Zeitkorsett, das unser Zusammenleben ermöglicht, tut sein Übriges. Das Hundchen zu beobachten beim einfach nur glücklich sein und nichts, nichts, aber auch garnichts zu denken ist Glück. Für den Moment eines ewigen Hundeschanzspitzenwedelns bin ich absolut glücklich. Coglücklich mit einem fremden Hund, der sich nun tollkühn anschickt, bis zum tief hängenden Bauch in die Wellen zu planschen.
Zurück zum Hirn, das mitten in meinem Kopf all das denkt, während es vom prallvollen Glücksteller einen Happen nimmt. Es denkt auch, was wohl in all den anderen vorgeht, die gerade hier angekommen sind und am Strand gen Norden flanieren. Manche haben es eilig, als wollten sie etwas abhaken. Getrieben von Alltagssorgen? Gebeutelt von Zeitnot? Hungrigen Bauchs auf die Belohnungswurst schielend im Kiosk beim Parkplatz? Das Leckeis, der Tand, all die Souveniers? An die Lieben daheim denkend, sich verpflichtet fühlend, ihnen eine Postkarte zu schicken – sicher gibt es einen speziellen Stempel in der Boutique, den man auf die frisch gekauften Karten drücken kann. So wie am Gotthard. Oder sind sie für einen Moment vollkommen leer und friedlich, so wie ich. Ein Moment nur in der beschränkten Lebensspanne, die wir haben, kann tatsächlich die Ewigkeit ersetzen, wenn es uns gelingt, nichts. Ja. Nichts. Sonst nichts.
Der nördlichste Punkt mit der züngelnden Sanddüne zwischen den Wellen. Einer der beiden Traktoren mit riesigem Anhänger steht gerade bereit zur Abfahrt und so steigen Frau SoSo und ich ein und kaufen uns den Rückweg durchs ewig rauschende Gras auf den Hügeln. Die Taschen voller Steine und Muscheln. Frau SoSo hat zudem eine geleerte schwedische Bierdose mit Sand und Muscheln gefüllt als Geschenk für einen, der es zu schätzen weiß.
Geschäftige Hektik am Parkplatz. Autos kommen und fahren. Menschen raus, Menschen rein. Man müsste das dirigieren. Welch ein Konzert, als eine Schulklasse an zwei Mülleimern mit schweren Blechdeckeln vorbeigeht und jedes Kind brav eine der Klappen hebt, das Eispapierchen oder Kaugummi hineingibt, sie wieder fallen lässt. Ich erlebe das Konzert in Stereo zwischen den Bottichen und hinten rumpelt die hölzerne Toilettentür, umschmeichelt vom Rauschen des Winds.
Schnurstracks nach Rømø, Übernachtung auf einem Zeltplatz bei Løkken (ich berichtete gestern in einem aus der Art geschlagenen Artikel, man möge mir verzeihen) und Zack, fast am südlichsten Punkt des Landes.
Rømø ist eine Perle. Der Strand im Westen ist viele hundert Meter breit. Mit dem Auto kann man über den platt gefahrenen Sand so weit ans Ufer fahren, wie man sich traut. Badesachen raus, Schirmchen, und rein ins gar nicht kalte, unendlich salzige Wasser. Toter Mann für einen ewigen Moment zwischen Hundeschwanzwedeln und dem malmenden Hin-und-Her der Gezeiten an der westlichen Wasserfront. Auf der Ostseite der Insel bietet sich ein ganz anderes Bild: Wattenmeer, das an saftige Viehweiden stößt. Harsche, etwa einen dreiviertel Meter hohe Bruchkante. Das Meer ist zurückgewichen, als wir in der Abenddämmerung von unserem Campinplatz im Süden der Insel (ich glaube, er heißt irgendwas mit Kommandant, es gibt Hütten und auch ein Hotel und er ist nicht billig), als wir auf der Bruchkante sitzen und übers schimmernde Watt blicken. Der Mond sollte bald aufgehen. Es ist 23:23 Uhr – per Internet berechnen wir den Rückweg. Zehn Stunden nochwas bis Zweibrücken für 939 Kilometer. Das sollte zu schaffen sein in zwei gemütlichen Reisetagen.
Klasse beschrieben, so kaum aus der Art geschlagen!
Damals auf Romö hatten wir alle Mandelentzündung und meine Schwester krisch immer wieder im Bett rum wegen so Ohrwürmern…Der Opa blieb im Supermarkt bei so Heftchen stehn, die Oma musste heftig mahnend rufen. In den Heftchen gab es Menschen ohne Klamotten, die sich seltsam verrenkten. Das gab es in unseren bekannten Geschäften nicht.
Nun bin ich gespannt, wie Ihr heimfindet!
P.S.:
Übrigens sah ich Romö vor gut vier Wochen von der winknahen Insel mit dem y in der Mitte, wo ich alle fünf Jahre leider hinmuss.
im titel fehlt ein w im hundeschWanz.
Mit grossem Vergnuegen habe ich diesen Artikel gelesen, lieber Juergen. Mit einiger Verspaetung, aber wir waren ja auch auf Reisen [ich bin dabei, die Artikel zu schreiben], und danach gab es Einiges aufzuarbeiten. Jetz nehme ich mir aber die Zeit, Deine und SoSos Posts zu lesen – ganz peu-a-peu.
„das mit dem Dichten lässte lieber bleiben, Herr Irgendlink. Dafür gibts Spezialisten. Meisterinnen der schönen Wortform, die in der Lage sind, Wortketten in akustisch und rhythmisch gefälliger Weise zu arrangieren“: Da kann ich Dir nun aber gar nicht zustimme, lieber Juergen, denn diesen Text hier finde ich durchaus literarisch und z.T. wortgewaltig – wenn ich das mal so ausdruecken kann.
Schoen, dass ich so auch das Innere von Daenemark etwas kennenlerne. Mir sind da nur einige Hafenstaedte und Inseln in der Ostsee etwas bekannt, von meinen frueheren Segeltoerns. Romö kenne ich nur „von drussen“, vom Vorbeisegeln. Damals war die Umrundung von Skageb geplant, aber wir haben uns dann entschlossen, lieber durch den Limfjord von der Nord- in die Ostsee zu segeln.
Liebe Gruesse, auch an die liebe SoSo,
Pit