Le Konsument c’est moi | #kursnord

Schweden von Süden nach Norden zu durchqueren kommt einem viel länger vor, als von Norden nach Süden. Für Sie getestet. Wenn es auch eine selbst gebastelte Mogelpackung ist, ich liebe den Vergleich mit der TARDIS, der Raumzeitmaschine des englischen Science-Fiction-Klassikers Doctor Who. Die TARDIS sieht von außen aus wie eine alte englische Notruftelefonzelle in den sechziger Jahren. Wenn man sie betritt, findet man einen beliebig großen Maschinenraum vor mit in die Systeme integriertem künstlichem Gehirn, das alles weiß und alles steuert und die Benutzer der TARDIS durch Raum und Zeit an jeden beliebigen Ort des Universums bringen kann.Obwohl die englische Kultserie Doctor Who schon seit den sechziger Jahren fast ununterbrochen in Abenteuer durch Raum und Zeit entführt, habe ich sie erst vor einem halben Jahr entdeckt. Und bin süchtig danach. Man sagt, Doctor Who habe in England in etwa den Kultcharakter und den Rang des deutschen Tatorts, auch wenn es sich um zwei gänzlich verschiedene Genres handelt.

Der Weg hinauf zur Hohen Küste ab Malmö kam mir viel länger vor, zeitlich wie räumlich, als die Strecke zurück via Örebro und Göteborg. Wieviele Kilometer? Vielleicht 800 bis 1000. Ich müsste ausmessen, aber es spielt auch keine Rolle. Von Örebro schafften wir die knapp 400 Kilometer bis Göteborg vorgestern in gemütlichen vier Stunden reine Fahrt. Dahingondelnd mit 70 bis 100 Kilometern pro Stunde. Kleiner Abstecher zu einem herrlichen Strandbad am Vänernsee nahe Lidköping. Flachland. Friesisch irgendwie. Weiden, getupft mit einsamen Gehöften. Hin und wieder nackter Fels abseits der Straße mitten in einem frisch keimenden Weizenfeld. Ärgernis für den Landwirt, willkommene Abwechslung für den tourenden Passanten im ansonsten großen, grünen, gelben, blauen, saftigen Homogen.

Bis dann irgendwann der Götafluss auftaucht, der sich etliche Kilometer jenseits von Göteborg über die Jahrtausende ein Bett gefressen hat – bis durch die Stadt bis ins Meer – durch den Fels der Endmoränen. Gen Göteborg wirds wieder bergig. Felsig. Schärenküste. Viele Inseln oder Inselchen oder winzige Felsen, auf denen Vögel nisten oder der Mensch Leuchtfeuer installiert hat zur sicher nicht einfachen Navigation im Kategatt. Wir haben uns eine Fähre von Göteborg nach Fredrikshaven in Dänemark ausgespäht. 16 Uhr. Gestern. Quartierten uns auf dem Camping im Sadtteil Askim südlich Göteborgs ein. Unweit von Fiskebäck. Bei Fiskebäck klingelt es irgendwie in meiner Erinnerung. War der Stadtteil nicht in den Schlagzeilen wegen irgendwas? Unruhen womöglich? Aber vielleicht war es auch nur eine Erwähnung in den vielen Schwedenkrimis, die ich las oder als Serie im TV schaute.

Der Wachmann in Askim wirkt jedenfalls ebenso beruhigend wie abschreckend in seiner Uniform. Spätabends lässt er auf Telefonanruf die Gäste ein, die die Rezeptionsöffnungszeiten verpasst haben, drückt ihnen Chipkarte und Lageplan in die Hand, erklärt die Regeln: nicht auf die Zeltplatzwiese fahren mit dem Auto, es stattdessen am Rand parken: So, seht ihr, zeigt er mit dem Finger auf die gemalten Autos im Plan, die in einer Reihe direkt neben dem Fahrweg geparkt sind. Ein Paar aus Kempten, das im Auto schläft und wir sind die einzigen Gäste auf der Zeltwiese.

Das nahe Meer hat Tide. Die Luft schmeckt nach Salz. Deutlich spürbar ist die Nordsee, die laut offizieller Route der North Sea Cycle Route (NSCR) erst auf der Linie Varberg (Schweden) – Grenå (Dänemark) endet. Wir befinden uns also im Zwischenland (ähm -meer) der beiden Meere, dem Skagerrak und dem Kategatt. Nach einem kleinen Spaziergang zwischen Hafen und einer hoch auf Felsen gelegenen Kirche in Göteborg fahren wir im Platzregen auf die Jutlandica, eine batteriebetriebene Fähre der Stenalinie. Dreieinhalb Stunden Fahrt bis Fredrikshaven. Dann nordwärts. Es sind nur etwa 40 Kilometer bis zu Dänemarks nördlichstem Punkt bei Skagen. Eigentlich fahren wir auf einer riesigen Wanderdüne, die über die Jahrhunderte, vom Westwind getrieben, immer weiter ostwärts wandert. Unweit unseres heutigen Lagerplatzes befindet sich ein Relikt der Dünenwanderung, ein versandeter Kirchturm, der schon seit bald einem Jahrhundert aufgegeben wurde und unheimlich einsam, weiß getüncht zwischen Kiefern und Halmen und Ginster dasteht und darauf wartet, ganz begraben zu werden. Das Kirchenschiff, liest Frau SoSo von einer Infotafel ab, habe man abgebaut und woanders wieder aufgestellt.

Stena. Der Name der Fährlinie taucht immer wieder auf. Und zwar nicht nur im Zusammenhang mit der Fähre. Auf einem Prospekt lese ich, dass das Legoland in Billund offenbar auch zum Konzern gehört. Ein Hotel in Fredrikshaven glaube ich auch. Konzernkrake. Ich weiß nicht, ob ich es gut heißen soll oder schlecht, oder einfach nur schulterzuckend beobachten soll und akzeptieren, dass es so ist. Die Verkonzernung der Welt als Zukunftsidee, in der die Staaten wie wir sie derzeit noch als Machtzentren kennen abgelöst werden durch Wirtschaftsbetriebe, denen die Menschen gehören, die für sie arbeiten und die Menschen, die ihre Produkte und Dienstleistungen konsumieren.

Dem Proletariat das Konsumariat entgegensetzen und die Kräfte der kleinen Leute stärken durch schlichten Zusammenschluss in … äh in was eigentlich? Das Proletariat erhielt seine Gewerkschaften, aber das Konsumariat, was könnte denn dem helfen, einen kräftemäßigen Gegenpol zu bilden gegen die Ausbeutung durch den Konzern? Ich glaube, das sind Gedanken, die ich mir auf der Fähre gemacht habe und für die ich keine Lösung fand. Wie auch. Konsumenten sind die am leichtesten spaltbare gesellschaftliche Masse überhaupt. Man kann sie prima entzweien und gegeneinander ausspielen, so dass sie sich in egoistische Kleinkriege verwickeln und dem allmächtigen Inhaber der Konumsmittel überhaupt nichts anhaben können. Perfekt.

Irgendwann beruhige ich mich damit, dass ich mich ja in einer vielleicht jahrhunderte währenden gesellschaftlichen Umbauphase befinde und dass ich als Einzelner ohnehin, denkend oder auch nicht, weder etwas bewirken kann, noch etwas falsch, noch etwas richtig machen kann. Doch auch das ist ein bisschen blauäugig, sich selbst Absolution erteilend, denn das Undenkbare ist es, wonach zu suchen ist. Die Idee und die Vision der gemeinsamen friedlichen Zukunft, die uns bisher noch nicht eingefallen ist … ich schweife ab und es führt zu weit.

Ich bin in Ferien. Ich will die Zeit genießen. Ich kaufe mich frei, so gut das möglich ist. Ich bin Konsument.

Eine Antwort auf „Le Konsument c’est moi | #kursnord“

  1. Du schaffst es immer wieder meine Gedanken anzukurbeln, dieses Mal ist es der Umbau der Gesellschaft, der ja nun einmal defintiv stattfindet und schon stattgefunden hat und dem, was ich mir erträumte, erhoffte und was eben Wunschblasen gewesen sind, die an der spitzen Realität platzten. Manchmal noch ist es cshmerzhaft und dann wieder denke ich an all das, was neben dem mainstream entstanden ist und werde wieder etwas ruhiger…

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