Wie viele Leute sind eigentlich am Bau eines Radfernwegs wie der Rheinland-Pfalz-Route beteiligt? Es müssen Unmengen sein. Tausende. Verkehrsplaner, Verwaltungsbeamte, Ingenieure, Statiker, Bauarbeiter, Schildermacher, Webseitengestalter, Juristen, Notare, Politiker, Grafiker Verkehrsplanerinnen, Verwaltungsbeamtinnen, Ingenieurinnen, Statiker, Bauarbeiter, Schildermacher, Webseitengestalterinnen, Juristen, Notarinnen, Politikerinnen, Grafiker, Kiesgrubenarbeiter, LKW-Fahrerinnen, Holzfäller und Herstellerinnen von gemütlichen Parkbänken und Picknicktischen – ich gendere diesen Text nicht nachträglich nach dem guten Tipp von Frau SoSo im Kommentarstrang. Gendern würde ihn gar nicht unlesbar machen – Kiesgrubenarbeiter, LKW-Fahrer, Holzfäller und Hersteller von gemütlichen Parkbänken und Picknicktischen. Am nördlichsten Ende der Radroute steht bestimmt eine gemütliche Parkbank mit Blick nach Süden über das zusammengewürfelte Bundesland, umgeben von Wiesen und Wäldern. So phantasiere ich, ein kleines Bachtal auf einer vielleicht vier Meter breiten Straße aufwärts kurbelnd. In Wissen hatte ich noch überlegt, ob ich überhaupt den „Umweg“ von vielleicht vierzig Kilometern machen soll. Auf dem Radweg an der Sieg wären es nur etwa fünfzehn Kilometer bis nach Betzdorf. Wenn ich Pech habe ist der Nordzipfel nur eine Fortsetzung der Gegend zwischen Bad Honnef und Altenkirchen, ruppiges, huckeliges Land, ein einziges Auf und Ab.
Als selbsternannter Radrouten-Tester muss ich allerdings das Spiel mitspielen. Schon kurz hinter Wissen beginnt das wunderbare Tälchen, das es tausendmal wert ist, dem Diktat der Radroute zu folgen. Ein murmelndes Idyll auf kaum befahrener Straße, Viehweiden, Wälder, ab und zu ein paar Felsen, Mühlen und Weiler bis fast nach Friesenhagen. Gekrönt wird die nördliche Schleife des Rheinland-Pfalz-Radwegs vom Wasserschloss Crottorf und der Wildenburg. Beide kann ich nicht besuchen, da ich in Zeitnot bin. Überhaupt, wenn ich eine Empfehlung aussprechen müsste, wie lange man denn für die 1040 Kilometer ums Land einplanen sollte, würde ich sagen drei Wochen, vielleicht auch vier. Es gibt so viel zu sehen und zu erleben in den kleinen Städtchen. Auch der ein oder andere Abstecher zu Sehenswürdigkeiten lohnt. Ich habe nur zwei Wochen Zeit. Sportliche Radler könnten es in einer Woche schaffen.
Die Parkbank am nördlichsten Punkt der Radroute gibt es übrigens tatsächlich. Sie steht unter einer Eiche am Straßenrand direkt am Ruhr-Sieg-Radweg. Ein Holz gewordener Ruhepol unweit der Ich-Ik-Sprachgrenze.
Am vorgestrigen Donnerstag sind die Wiesen frisch gedüngt, was das Sitzerlebnis olfaktorisch etwas trübt.
Wieder auf Südkurs benutzt man bis Betzdorf ein stückweit eine alte Bahntrasse, verlässt kurz Rheinland-Pfalz und durchquert das Fachwerkstädtchen Freudenberg. Ein Unesco-Welterbe, erzählte mir eine Anwohnerin. Straßenzüge voller mittelalterlicher, Fachwerkhäuschen. Schneeweiße Wandflächen treffen auf dunkle Holzbalken garniert mit Schieferverkleidungen. Kopfsteinpflaster und Touristen. Hinter Kirchen und Betzdorf geht’s bergan wieder in den hohen Westerwald. In Betzdorf wurde die Sieg überbaut, so scheint es. Der Fluss verschwindet jedenfalls unter der Stadt in einem dunklen Schlund. Ähnlich wie die Nahe in Idar-Oberstein am Rande des Hunsrücks. Betzdorf ist ein ehemaliger Eisenbahnknotenpunkt. Nach Daaden führt ein Waldweg unweit der Bahntrasse stets aufwärts. Im Hinblick auf angekündigtes schlechtes Wetter, quartiere ich mich im Hotel ein. Ein altes Gasthaus mit knarzenden Holzböden, aber piekfein auf Touristen eingestellt.
Gestern, Freitag: Der prognostizierte Regen bleibt aus, so dass ich, statt wie geplant bis zwölf Uhr in Daaden abzuwarten, schon früh losradele. Am Abend bin ich in Westerburg mit Twitterfreund @datenchef verabredet. Die Radroute führt hinauf zur Fuchskaute, mit 657 Meter der höchste Berg im Westerwald. Wenn ich mir vorstelle, dass ich mal eben einen Berg vom Kaliber des heimischen Donnersbergs erklimme … Es windet. Eiskalt. Hunger. Verschwitzt erreiche ich den Gipfel, bzw. das recht noble Restaurant direkt an der flachen Kuppe. Ein Holzvollernter macht sich an einem Fichtenwäldchen zu schaffen. Mit hydraulischem, riesigem Roboterarm packt eine Zange die vielleicht vierzig Zentimeter dicken Bäume, lupft sie ein bisschen, schneidet sie ab, schält die Rinde und Äste, und schneidet transportgerechte Längen. Wir leben in einer durch und durch wirtschaftlich optimierten Welt. Ich muss an mein Hotel denken. Ein Holzharvester der Gastronomie, nur dass es nicht Bäume sind, die das Handelsgut darstellen, sondern die Menschen, bzw. die Dienstleistung an den Menschen …
Westerburg, fünfzehn Uhr. Gut so. Mit dem Datenchef vereinbare ich einen anderen Treffpunkt in Diez an der Lahn. Ich bin ein bisschen in Eile, froh, dass ich ein paar Kilometer mehr vorankomme. Am Wochenende soll das Wetter ganz übel werden, erzählte mir jemand.
Da die Zeltplätze an der Lahn wegen Hochwassergefahr geschlossen sind, treffen wir uns im Eisenbachtal nahe Montabaur. Lagerfeuer, Carbonara. Brrr-Grad Kälte. Sterne funkeln. Noch.
Was findest du denn an „Verkehrsplanerinnen, Verwaltungsbeamtinnen, Ingenieurinnen, Statiker, Bauarbeiter, Schildermacher, Webseitengestalterinnen, Juristen, Notarinnen, Politikerinnen, Grafiker, Kiesgrubenarbeiter, LKW-Fahrerinnen, Holzfäller und Herstellerinnen von gemütlichen Parkbänken und Picknicktischen“ so schwerfällig? Echt jetzt …
Klasse Text!
Danke fürs Wort zum Samstag.
Auch wieder recht.