Tourtag 4 – von der Mosel nach Arzfeld.
Die Klospülung rinnt. Superweiche Matratze. Schneidersitz. Gelber Frotteebezug. Tastatur und Handy vor mir. Gelbes Licht aus einer uralten Nachttischlampe mit Messingfuß und einem Lampenschirm, der aussieht wie eine umgedrehte, abgeschnittene Eistüte. Pechschwarze Nacht. Der Mond ist verschwunden. Auf der Hauptstraße, die man durch das zugige Fenster gut hören sollte, herrscht Stille. Sehr selten rauscht ein Auto vorbei. Das Hotel ist ein Labyrinth. Ich bin im Südflügel untergebracht. Überall in den Fluren stehen alte Möbel, Regale, Nippes, Dekoration. Weiche Teppichböden. Als ich eintraf, musste ich dem Besitzer erst einmal helfen, zwei Sofas aus dem Flur zu räumen, rüber in die alte Kegelbahn, damit mein Radel durchpasst. Der Mann ist schon im Rentenalter. Seine Frau auch und der unglaublich dicke, pelzige Hund sieht auch nicht mehr jung aus, wie er sich sonor bellend hinter dem Tresen hervorschleppt, wenn Fremde kommen.
Das Haus ist in den 1970er Jahren stehen geblieben, wenn man so sagen kann, wenn Häuser stehen bleiben können. Generationen von Mobiliar machen einen eigenartigen Designmix. Die Heizung ist abgestellt. Das Wasser ist eiskalt. Ein kleiner Elektroheizer bringt mein Zimmer auf vielleicht fünfzehn Grad. Mir macht das nichts aus, denn so ist es bei mir daheim ja auch. Ob Gäste kommen? Und wenn ja, ob sie bleiben? Das Haus entspricht ganz und gar nicht den Standards. Aber es hat einen wunderbaren Charme, was so manchem hochgezüchteten Hotel, das den sogenannten Standards entspricht, fehlt. Ein geradezu kultiger Ort. Wie maßgeschneidert für Vagabunden wie mich, oder für Hostel erprobte Weltenbummler, die von weither nach weithin unterwegs sind. Und irgendwie passt das. Ich komme mir nun, gut zweihundert Kilometer von Zweibrücken entfernt und noch über achthundert Kilometer bis wieder daheim, ein bisschen wie auf Weltreise vor. Hab die Seidenstraße des kleinen Mannes gemeistert, wenn man so will und befinde mich mitten in einem imaginären Tibet voller Wunder und Fremdheiten. Da kommt der Funken Wärme meines Backpacker-Hostels zur Post gerade recht.
Die Etappe von der Mosel hier herauf ist ein Erste-Sahne-Stückchen auf der Rheinland-Pfalz-Radroute. Fast durchgängig auf Radwegen oder kaum befahrenen Sträßchen, geht es stets bergauf entlang der Flüsse Mosel, Sauer, Prüm, ein kurzes Stückchen Nims bei Irrel und dann über eine Landstraße und eine Kuppe hinüber ins Enztal. Einige Kilometer vor Neuerdorf radelt man schließlich in eine felsige Minischlucht und hinterm Tunnel Neuerdorf auf dem zehn, fünfzehn Meter hohen Damm einer alten Bahntrasse etwa zwei drei Prozent steil bis nach Arzfeld.
Die Route verläuft in Grenznähe zu Luxemburg.
Frühmorgens frage ich einen Mann am Moselufer nach einem Frühstückscafé. Er erklärt mir den Weg: zur Brücke, ins Dorf, bei der Kirche. Da gibt es Kaffee für einen Euro, sagt er. Der Dialekt klingt fremd und vertraut zugleich. Kehlig kindlich witzig. Es ist schwer zu beschreiben. Der Mann hat ein Feuer angezündet, in dem er die Gartenabfälle verschürt. Das dürfe er zwar nicht, aber was soll man machen, sagt er und zeigt mir die Himbeeren, die er freigelegt hat. Der Garten ist direkt am Radweg. Manchmal kommen Frauen vorbeigeradelt und bedienen sich an den Himbeeren und wenn er sie erwischt, sagt er: Erste Hand gratis, zweite Hand Hütte. Er grinst durchtrieben. Später im Café, das ein Salon de thé ist, so steht es über der Tür, werde ich Zeuge von einem seltsamen Sprachengewirre. Die Bäckerin begrüßt mich auf Luxemburgisch „Moie“, was fast klingt wie bei uns in der Westpfalz, schaltet aber auf Hochdeutsch, als sie merkt, dass ich alles andere nicht verstehe. Nahe beim Verkaufstresen setze ich mich. Andere Menschen, andere Sprachen. Ein Mann mit amerikanischem Akzent gefolgt von Leuten aus dem Dorf, dann Franzosen und schließlich eine Engländerin – ein wunderbarer Sprach-Pingpong. Immer grüßt die Bäckerin fröhlich „Moie“ und schaltet dann in die Sprache ihres Gegenübers um. Ich würde wetten, sie kann alle Sprachen der Welt.
Der Supermarkt ist geöffnet, obwohl Sonntag ist. Am Fenster kleben Werbeplakate für Kaffee. Alles ist viel günstiger als auf der anderen Seite der Grenze und durch die schimmernde Scheibe kann man Regale voller Kaffee und Zigaretten sehen. Natürlich gibt es auch stinknormale Lebensmittel.
Unterwegs, den Flüssen folgend, bereue ich es ein bisschen, nichts gekauft zu haben. Auf den kleinen Dörfern auf der deutschen Seite herrscht Sonntag. Vor den Kirchen parken Autos. Glockengeläut. Sonntagsstaat. Alles zu. Es gibt ohnehin kaum Läden. In Holsthum, kurz vor der Wasserscheide zwischen Prüm und Enz mache ich Mittagsrast. Stiller Ort. Zwei Gasthöfe, von denen einer geschlossen ist, bzw. er ist schon geöffnet, aber es gibt vorsaisonbedingt noch kein Essen. Stattdessen Dart, viele Menschen aus der Umgebung, man darf sogar rauchen und: ein Hund namens Mozart.
Holsthum scheint ein guter Ort als Basis für Wanderferien. Die Teufelsschlucht sei nah, viele Wanderwege, die mich ein bisschen ans Tessin erinnern. Schmale Pfade, ab und zu eine lange, steinerne Treppe. Felsdurchwirkter Laubwald, Vorfrühlingslicht und ich könnte mir vorstellen, dass ich bei den Prümkaskaden kurz vor Holsthum schon in der Teuelsschlucht radelte. Aber vielleicht liegt die ja an einem ganz anderen Ort.
Ich glaube, dieses Hotel möchte ich auch einmal besuchen. Agatha Christie atmen oder Alfred Hitchcock.
Vielleicht auch nur selbst nochmal eintauchen in das Interieur meiner Schulanfangszeit …
Ich glaube, Dir würde es da gut gefallen. Auch die Besitzer. So nette Leute.
Dieses Hotel zur Post in Arzfeld …. irgendwann werde ich da auftauchen…..hoffentlich noch rechtzeitig vor der Rente der Besitzer…
:-)