Auf ins Level zwei | #Umsland

Du musst erst die sieben Hügel überwinden, die beiden dunklen Tunnel durchqueren, eine Weile mit einem autistischen Jungen radeln, in den Tag plaudernd, dich öffnend für die Fülle der Welt. Und was er alles bemerkt, der zaghafte Junge mit dem Dreigangrad: dass deine Wasserflasche fast leer ist und dass deine Klamotten in Fetzen vom Leib hängen, der Reißverschluss deiner Jacke kaputt ist, alles will er wissen über dich und er begleitet dich noch bis zur Mitte des zweiten Tunnels, schalt das Licht ein, sagt er, fasziniert vom immersurrenden Nabendynamo. Dann kehrt er um und du bist alleine.Thallichtenberg. Längste Spornburg Deutschlands. Ein vierhundertnochwas Meter langer Trümmer auf einem Bergsporn. Bitte mach, dass ich da nicht hoch muss, denke ich noch, und schon weisen die Radwegschilder hinauf zur Burg. Erster Gang schwitzend. Seit gesern fünfzehn Uhr habe ich gut 70 Kilometer in den Knochen. Schon gleich hinter Zweibrücken begann die Kletterei hinauf zur Sickinger Höhe, runter ins Wallhalbtal, wieder hinauf auf die Sickinger Höhe und runter zum Lambsbach. Ein kleiner Hüpfer noch und der Homburger Bruch bei Vogelbach endlich Flachland. Simultankirche, im Dämmerlicht irgendwie nach Schönenberg-Kübelberg, wo ich neben dem Glan-Blies-Radweg zeltete, genau an dem Platz, an dem ich auch vor anderthalb Jahren meine erste Nacht auf dem Weg zum Nordkap verbracht hatte. Über den Saarlandradweg wäre es viel kürzer gewesen und ich hätte kaum Steigungen gehabt. Aber die Rheinland-Pfalz Radroute steht nunmal auf dem Prüfstand meiner Mission Ums Land.

Und ich muss sagen, der Weg durch die Tälchen und über die Höhen lohnt sich. Wunderschöne Landschaft. malerische Dörfchen, Bemerkenswert der achteckige Kirchturm zu Labach. Labach hat auch eine persönliche Bedeutung für mich. Mein Vater erzählte mir vom Krieg, wie man die Familie 1939 in das kleine Dorf evakuierte, weil sich die Truppen auf den Frankreichfeldzug vorbereiteten und wie sie 1945 ebenso evakuiert wurden, weil die Städte zerbombt wurden. Labach ist der ideale Zufluchtsort. Man sieht das Dorf im kleinen Bachtal kaum.

Die Nacht war frostig. Das Zelt gefroren. Vorhin kurbelte ich auf dem Glan-Bliesweg nach Kusel und dann auf dem Fritz Wunderlich Radweg bis nach Thallichtenberg. Da begegnete mir der seltsame Junge, mit dem ich gerne weitergeradelt wäre. Er hatte etwas Heiliges an sich. Unschuldig. Erdverbunden.

Erstgangschwitzend zur Burg. Mittagessen im Burgrestaurant. Das hatte mir Freund Joseph spendiert, den ich morgens besucht hatte. Auch so ein Erdverbundener Allesversteher, über den ich mal einen Blogartikel schreiben müsste. Oder ein Buch.

Sonne. Die Burg liegt hinter mir. Eine gelbbraune Bank mit Tisch unter Baum stellt sich mir in den Weg. Der ideale Ort zum Bloggen. Ich muss mich aus dem Radelvorwärtskommflow rauszwingen, denke ich. Fast ist es wie ein Computerspiel, bei dem man sich in bedingten Abläufen den Raum schafft, um ins nächste Level zu kommen, erst über die sieben Berge, vorbei am Galgenturm, der heute ein Picknickplatz ist, begleitet vom autistischen Jungen durch die beiden Tunnels, dann die Burg, die Bank, die Tastatur und nun dieser Text. Level zwei.

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