Was willst du denn am Nordkap, das ist doch langweilig! Klingt es noch immer in meinem Ohr. Dabei ist das Telefongespräch mit Freund Sven, dem Seemann, schon ein paar Monate her. Nach sehr vielen Jahren, in denen wir nichts voneinander gehört haben, hatte ich ihn angerufen, um zu erfahren, ob er noch immer am gleichen Ort wohnt, wo wir ihn bei unserer Reise zum Nordkap 1995 besucht hatten.
Dass das Nordkap langweilig ist und als Ziel einer Reise nicht wert ist, habe ich seither sehr oft gehört. ‚Mach doch lieber das und das, den und den Fjord, die und die Stadt, das Nordkap ist es nicht wert, dass man dahin radelt‘, hörte ich von zig Motorradfahrern, Auto- und Wohnmobiltouristen und sogar von Radfahrern, die mir auf der über 4500 Kiometer langen Reise in den letzten anderthalb Monaten begegnet sind.
Es sei ein kahler Felsen ohne jeglichen Bewuchs, der zudem meist von einer Wolke verhangen ist.
Das stimmt.
Im dicken Nebel habe ich das Nordkap letzten Montag erreicht. Kaum fünfzig Meter Sichtweite. klamme Kleider. Elender Gegenwind und ich weiß nicht wieviele Minipässe von Fjord zu Fjord steckten mir in den Knochen. Kalt war es.
Wäre nicht ein paarhundert Meter vor dem Nordkapgebäudeeine Schranke, an der alle motorisierten Besucherinnen und Besucher 250 Kronen Eintritt bezahlen müssen und hätte der flache Bau, der so grau ist wie der Fels, auf dem er steht keine seltsame weiße Kugel auf dem Dach, man könnte glatt daran vorbei radeln.
Das Gebäude hat nach Süden hin kaum Fenster und eine kleine Schiebetür mit Wärmeschleuse. Auch ist der fußballplatzgroßeBus- und Wohnmobilparkplatz daneben völlig unbeleuchtet.
Drinnen Wärme. Eine im Prinzip Einraum-Konstruktion mit Raumteilern, zentraler Halle, Souvenirsshop, Café und Frühstücksraum zur Rechten und Bar und Restaurant zur Linken.
Fast menschenleere Halle in der Nachsaison. Musik dudelt. An einem Infoschalter sitzt eine Frau vor einem Monitor. Wetter- und Windbericht für eine Woche liegen aus. Und ein Gästebuch. Nach Norden ist die Halle auf ganzer Fläche verglast und wenn kein Nebel ist, sieht man hinaus auf das Denkmal, und aufs Meer. Ungebremster Nordpolblick sozusagen. Das Denkmal ist eine unspektakuläre Erdkugel auf drei Beinen, aus Eisenstäben zusammengeschweißt.
Aber das Gebäude hat es sprichwörtlich in sich: drei Stockwerke tief ragt der Flachbau in den Fels. Es gibt ein Panoramakino, in dem im Stundentakt ein Nordkapfilm (dauert eine viertel Stunde) auf Panoramaleinwand gezeigt wird. Sanitäranlagen natürlich und ein paar thematische Ausstellungen. Eine zur Kriegsvergangenheit, denn die Fjorde waren ja beliebte deutsche Militärstützpunkte. Als Finale führt ein Gang schräg nach unten in den Fels, vielleicht hundert Meter lang, in dessen Wänden Schaukästen zur gut 500jährigen Geschichte des Nordkaps szenisch Ereignisse nachstellen.
Von der Entdeckung und erstmaligen Verzeichnung auf einer Karte im sechzehnten Jahrhundert bis zur Eröffnung der Nordkapstraße Mitte der 1950er Jahre. Auch berühmte Besucher, wie zum Beispiel der erste Nordkaptourist, ein italienischer Pfarrer, werden gewürdigt. Es gibt eine winzige Kapelle und ganz kurios ein Thailändisches Minimuseum, die beide in den Fels gehauen sind. Ganz unten öffnet sich die ‚Cave of Light‘, eine Art Lounge mit Sesseln und Sofas und Tischen, in der eine Licht- und Soundinstallation alle sechs Minuten in Endlosschleife läuft. Die Kingsview ist nicht, wie man vielleicht vermuten würde ein Durchbruch durch die Felswand zu einem Balkon, der über das Meer hinaus ragt, sondern eine Kammer, die einem franzöischen König huldigt, auch einer der berühmten Nordkaptouristen,der kurz nach der französischen Revolution incognito das Nordkap besuchte. (Nachtrag: Die King’s View ist sehrwohl ein Balkon, habe ich mir sagen lassen. Es gibt wohl eine Tür nach draußen, die ich übersehen hatte in den zweieinhalb Tagen, in denen ich mich im Kapcenter rumgetrieben hatte. Ich muss wohl noch einmal ans Kap radeln :-)).
Das Nordkapcenter ist eine gut funktionierende Maschine, wird mir im Laufe des Tages klar, den ich mal drinnen, mal draußen dort verbringe. Anfangs scherze ich noch auf Twitter, ich bleibe jetzt hier, rede mit dem Chef, werde Nordkapblogger und erzähle die Geschichten der ein- und austrudelnden Touristen, Radler, Motorradler, Wohnmobilisten oder der täglich in etlichen Bussen herangekarrten Gäste von den Hurtigruten- und Kreuzfahrtschiffen.
Gegen Abend merke ich, dass ich vermutlich verrückt werden würde, wenn ich hier einen ganzen Monat schreibend verbringen müsste, wie ein Tier im Zoo, wie Rilkes Panther käme ich mir vor, trotz all der Weite und Gitterlosigkeit drumherum. Hier oben ist man definitiv gefangen. Es gibt zwei drei Kunstwerke außerhalb des Gebäudes, die man schnell besichtigt hat. Das Bemerkenswerteste sicher sieben bronzene übergroße Nachbildungen von Tontafeln, die Kinder aus allen Kontinenten in gemeinsamer Aktion vor knapp dreißig Jahren hier am Kap gestaltet haben. Ansonsten nur kümmerliche Blaubeeren, Gräser, Moos und Flechten und das tägliche Ein und Aus der Touristen, die das Kap doch nur abhaken wollen.
Ein Siebzig Kronenbier, ein Gläschen Wein, Siegesfoto am Kapdenkmal, Eintrag ins Gästebuch und schnell wieder weg.
Nordkapschreiberwäre sicherlich ein Knochenjob, und da man das Kap als bezahlter Schreiber nicht in die Pfanne hauen darf, wäre es umso komplizierter.
Die italienischen Radler, die mit mir am Nordkap sind, sind hartnäckige Kerle. Irgendwie sind all ihre Klamotten nass geworden, die Schlafsäcke und alles weitere auch und jeder, der sich mit Radfahren auskennt, weiß, dass nasse Radler jegliche Skrupel und jeglichen Respekt verlieren, weshalb sie ihre Fahrräder in die Warmluftschleuseam Eingang des Nordkapcenters stellen, woraufhin die Frau an der Rezeption sie maßregelt und die Räder hinauskomplementiert.
Von kurzer Dauer. Schlafsäcke und Klamotten finden sich irgendwann über Stühlen in der leeren Frühstücksbar wieder, die Räder stehen wie von Wunderhand wieder im Durchgang und die Frau von der Rezeption herrscht mich an, ob mir die Fahrräder gehören, friedlich wie ich da sitze und auf dem Handydisplay Postkarten kreiere und ich ihr auf Deutsch sage nein. Aber da bin ich längst kollektiv mitschuld, auch wenn ich noch so sehr versichere, wenn ich die Schurken sehe, sage ich ihnen Bescheid und natürlich sehe ich die Schurken kurze Zeit später und erkläre ihnen die Sachlage, die Frau habe gesagt, es gehe ums Prinzip und das sei ein Fluchtweg und sie erklären mir ihre Sachlage, alles ist nass, das Leben da draußen die Hölle, nur so kann trocken werden, was trocken gehört.
Ein Organismus ist dieses Nordkapcenter mit dreißig vierzig Angestellten, die in zwei Schichten Bars, Caféterien, Restaurant und Souveniersshop aufrechterhalten, sagt mir ein Kellner. Wieviele genau hier arbeiten, weiß er gar nicht, aber alleine bei den Souvenirs wären es vierzehn und die meisten leben hier.
Es muss also einen Mitarbeiterwohnbereich geben mit einfachen Zimmern, vielleicht ein Wohnzimmer und eine gemeinsame Küche – die Freundin des Kellners hat ihren freien Tag und sitzt mit Laptop in dem ‚rund-wie-ein-Ufo-en‘ Restaurant und surft.
Doch doch, bin ich mir nach anderthalb Tagen in dem Gemäuer sicher, eine Maschine von Menschen für Menschen geschaffen ist das. Mit allem was das Menschsein so ausmacht, Hierarchien, Chefbüro, Verwaltung, Anlieferung von Waren, Entsorgung von Waren. Über die Abwassermanagement bin ich mir noch nicht so ganz sicher, immerhin geht hier in der Hochsaison eine Kleinstadt täglich ein und aus, oder ein riesiges Dorf wenigstens. Bei einem Spaziergang auf der Windschattenseite des Gebäudes meine ich die Kläranlage zu riechen.
Finde es bemerkenswert, dass du nie das Untenrum der Menschen vergisst!
Sicher bin ich mir auch, dass du bei längerer Verweilzeit einen anständigen Nordkapkoller bekämest!
Gruß von Sonja, die gierig diese Tristhausbeschreibung gelesen hat :-)
Das Haus selbst ist ja nicht trist. Eigentlich ist es toll. Gut gemacht. Schöner Bau, spannend für drei vier Stunden oder auch einen ganzen Tag. Aber es gehört da nicht hin. Der Mensch gehört da nicht hin … und gerade fällt mir noch ein wichtiger Aspekt ein zum Nordkap: es ist ein selbst gemachter Ort, ein Symbol, das mit Bedeutung geladen wird. Eine Glaubensfrage wie Geld und Aktien und vielleicht auch wie Gott.
Trotzem bin ich froh, dass ich es erradelt habe. Zwar glaube ich nicht an Ziele und noch nichtmal daran, dass der Weg das Ziel ist, aber als Orientierung sind sie unentbehrlich.
schön, dass auch du findest dass es nicht dorthin gehört- das geht mir nämlich jetzt schon eine Woche durch den Kopf …
Ich glaube, dass ich es dort, mit so wenig Sonne und so vielen Menschen, nicht länger als ein paar Tage aushalten würde. Wie das dort wohl im Winter ist? Immer dunkel? Ist es im Winter auf offen, das Kap?
Gut, dass du da warst.
Gut, dass du weitergeradetl bist!
Ja. Es ist ganzjährig auf. Aber im Winter nicht bis 1 Uhr nachts.
Ich hatte auch erst vor, dort zu zelten. Machbar ist das ja. Doch nach 12 Stunden in der Touristenmaschine, nachdem ich jeden Winkel des Centers erkundet hatte, nachdem tausende von Kap-Abhakern an mir vorbeigeflutet waren, machte sich Langeweile breit, und da war ich doch froh, als plötzlich aus dem dichten Nebel der warme Eskelisen-Bus auftauchte, fast wie eine Fata Morgana.
Der Eskelisen Linienbus hat dort oben gut 2 Stunden Pause, wohl aufgrund der EU-Arbeitszeitbestimmungen, und der Fahrer wird kurz danach in Honningsvåg abgelöst und hat Feier“abend“. Auch er zählte seufzend die Minuten herunter, und gemeinsam haben wir uns dann die Zeit vertrieben bis zur Abfahrt um Punkt 1:00 Uhr.
Selbst dieser Zeitpunkt scheint auf die Touristenmaschine optimiert, denn die Busse der Mitternachtssonnen-Kreuzfahrttouristen fahren alle etwas eher los. So ist die Straße um 01:00 Uhr dann wieder halbwegs frei.
Kurz darauf in Honningsvåg wird der Bus nach einer Schleife durch den Ort dann an der Tankstelle abgestellt. Der Fahrer geht schlafen, eventuelle Fahrgäste (viele sind es wohl nie, ich war an jenem Tag der einzige) müssen sich entscheiden, ob sie im Bus sitzen bleiben wollen oder sich die Nacht im geschlossenen Honningsvåg um die Ohren schlagen. Früh morgens um 5 kommt ein neuer, frisch gefrühstückter, Fahrer, und es geht weiter durch Lappland in Richtung Karasjok – Rovaniemi – Oulu. Samstags/Sonntags fährt der Bus sogar als „Matkailapikavuoro“ (Touristen-Schnellbus) durch bis Helsinki, was eine Fahrzeit von 29 Stunden ergibt.
Stimmt, das ganze Zentrum ist eine wohl optimierte Maschine. Ein Kap-Uhrwerk sozusagen. Eben ein ganz normales Wirtschaftsunternehmen wie Kino oder eine Gaststätte.
Sehr interessant, wie du das Kapp wargenommen hast. Eigentlich ähnlich schätze ich wie wir bzw. ich. Ich wollte dann doch dorthin kommen, aber der Tag war anstrengend und lang. Einmal alles anschauen aber dann bitte flüchten vor dem Touristen. Vor dem Zelt und Trangia die Natur genießen, mein Ding!
Und Ihr wart ja in der Hochsaison. Das Maximum was ich erlebt habe waren drei Busse aus dem Hurtigrutenschiff. Das war voll okay.