Ein Uhr nachts vor dem Start #AnsKap

Der Zähler im Blog hat aufgehört zu zählen. Die Reise hat – wenn man der Maschine glauben will – um null Uhr begonnen. Ich sitze noch im „Büro“ und erledige Lästigkeiten. Die Buchung von Credits für mein Postkartenprojekt hat mich fast anderthalb Stunden Rätselraten gekostet. Letztlich ist es mir gelungen, 75 Postkartencredits zu kaufen. Rechts in der Seitenleiste kann man sie bestellen. Das iDogma Postkartenprojekt ist ja ein Projekt im Projekt. Während der Reise verschicke ich Kunstpostkarten, die ich auf dem Smartphone gestalte mit Bildern und Textfetzen und Ideen von unterwegs.

In meinen Träumen lebt irgendwo in ferner Zukunft eine Kunstausstellungskuratorin, die alle Empfängerinnen und Empfänger der Postkarten, bzw. deren Erben ausfindig macht und die Karten für eine Ausstellung im imaginären Museum für digitale Frühgeschichte ausleiht. Inklusive Rekonstruktion der digitalen Expedition, die ich in kürze starte. Ich weiß, das klingt verrückt, vielleicht erscheint es überheblich. Aber bei der Kunst weiß man ja nie, wo sie hinführt, woher sie kam, warum sie geschaffen wurde. Sie ist vielleicht eines der großen Rätsel, die wir Menschen hinterlassen werden.

Rein gedanklich keuche ich gerade den Höcherberg hinauf Richtung Nahequelle. Dem Fluss will ich folgen bis Bingen am Rhein. Dann nach Mainz und von dort aus der alten Kapschnittroute folgen (zu sehen hier links oben in der Karte mit Link zur Googlemap).

Vielleicht nehme ich auch die Abkürzung durch die Nordpfalz vorbei an Kaiserslautern durchs Appeltal nach Rheinhessen.

Ich denke, um 14 Uhr kann ich starten.

Vom Entstehen, Werden und Vergehen

Irgendwie breitet sich alles vor mir aus wie Brei. Gedanken und Dinge und alltägliche Abläufe mischen sich zu einer undefinierbaren, zähen Masse, die mein armes kleines Hirn zerdenken muss, verdauen muss, wenn man das so nennen möchte.

Auf der Terrasse sitzend, Blick zum Garten, schreibe ich diese Zeilen. Man hört: einen Flieger neun Kilometer hoch, ein paar sonntagmorgendliche Autos auf der Landstraße, das Geräusch von Gießkannen, wenn sie ohne Gießkannenrose über Brokoli und Rotkrautpflanzen ausgegossen werden, Zittern in den Pappeln vom Wind, eine Hornisse im Dachgebälk, viel lauter, als der Flieger und jede Menge Vogelzwitschern.
Nicht zu vergessen das Klappern der Tastatur.

Die Katzen liegen irgendwo in den Lilien oder im hohen Gras. Es ist angenehm warm. Jetzt schon um diese frühe Zeit.

Ich könnte stundenlang nur über die Geräusche auf dem einsamen Gehöft schreiben. Wenn man sich konzentriert – das ist ja nicht nur hier bei mir so und das geht hoffentlich nicht nur mir so – nimmt man plötzlich eine Unmenge ausgeblendeten Seins und einen-Umgebens wahr, das man in der Hektik des Alltags einfach ausblendet, ausblenden muss, um voranzukommen.

Wir leben in einer Gesellschaft, die Stillstand und Leere nicht zulässt, die Langsamkeit und Müsigang geradezu verdammt, die nur eine einzige „Prozessrichtung“ kennt: immer schneller, mehr, größer, besser, weiter. Wachstum auf Teufel komm‘ raus.

So als gäbe es die Natur gar nicht, die uns alltäglich vorlebt, wie das Leben wirklich funktioniert: geboren werden, wachsen, schrumpfen, enden. Oder sagen wir es allgemeiner: entstehen, werden, vergehen. Das ist ein interessantes Wertetripel, das eigentlich alle Prozesse auf diesem Planeten oder gar im Universum exakt abbildet. Egal, ob es sich um den Planeten selbst handelt, oder ein Lebewesen darauf, oder ein Gebirge, einen Fluss, einen Stein, einen Staat, eine Firma, einen Handwerksbetrieb … alles beginnt, wächst, degeneriert, vergeht.

Die Dinge kommen, die Dinge gehen.

Seit ich den Glauben an das ewige Wachstum und das immer besser, immer mehr, immer größer verloren habe, denke ich darüber nach, wie sich diese Formel vom Beginn, vom  Wachstum und vom Ende auf das eigene Kunstschaffen übertragen lässt (am Körper kann ich es ja prima beobachten, wie er nach fast einem halben Jahrhundert langsam dem Ende entgegen geht). Das muss sich auch auf das eigene Denken übertragen lassen und auf das Leben als Künstler, das bei mir ungefähr vor zwanzig Jahren begann. Es handelt sich dabei um einen ablaufenden Prozess wie jeder andere in diesem Universum. Mein Denk- und Künstlerprozess wurde irgendwann gestartet und nimmt nun seinen natürlichen Lauf. Idee um Idee reiht sich aneinander, baut aufeinander auf, wächst und wird sich irgendwann dekonstruieren. Ich meine dabei nicht das wirtschaftliche Wachsen, das sich in Geld ausdrücken ließe, sondern das eigentliche, geistige, denkerische Wachstum.

Wo stehe ich, was bringt die Zukunft, habe ich den Horizont längst überschritten? Die besten Kunstprojekte schon alle erledigt und alles was noch kommt, wird von Mal zu Mal ein Stückchen kleiner, ein bisschen weniger, bis es irgendwann ganz verschwindet.

Ich hatte natürlich auch meine ewige Wachstums-Allmachtsphantasien, dass von Projekt zu Projekt mein Kunstschaffen, mein Schreiben, mein Denken besser wird und es erst dann endet, wenn der Körper aussteigt, sprich, der normale menschliche Lebensprozess endet. Ich tot. 

Vielleicht ist dies nur eine kleine, naive Kunstbübchenrechnung, die ich da mache. Ich stütze mich ausschließlich auf meine Beobachtungen an der Welt und ich kann keine Elemente finden, die gegen meine These sprechen. Die vorliegende Formel muss für alle Prozesse auf der Erde gelten. Muss sie das? Unterliegt tatsächlich alles einem Kreislauf?

Ich weiß es nicht. Erstaunt war ich kürzlich, als ich einen Artikel über den Lebenszyklus von Staaten las, wie sie sich verändern, wie sie zyklisch von Tyranneien über Diktaturen und Oligarchien zu Demokratien werden wie sie ob ihrer Größe korrumpieren, umstürzen, tyrranisiert und diktiert werden, um in blutigen Revolutionen oder Kriegen neu aufzustehen. Plötzlich schien mir dieser Kreislauf so unheimlich plausibel.

Die Dynamik, die Menschenansammlungen und deren Organisation in Gruppen, Vereinen, Firmen, Staaten mit sich bringt, kann man ja am eigenen Leib erfahren, wenn man seinen kleinen heimischen Sportverein näher betrachtet: wie sich darin Untergruppierungen bilden, Hierarchiene, wie man sich gegenseitig begünstigt, wie Gelder und Werte verteilt werden. Das ist selten gerecht und selten gibt es ein kontinuierliches Einheitsgefühl. Diesen Ponyhof, auf dem alle glücklich und zufrieden miteinander leben, den gibt es nicht.
Der Verein im Wandel der Jahre. Wenn ich Deutschlehrer wäre, würde ich meine Zwölftklässler darüber nachdenken lassen und einen Aufsatz zum Thema schreiben lassen.

Ich schweife ab. Ich weiß ehrlichgesagt gar nicht, worauf ich mit diesem Beitrag hinaus wollte. Er ist einfach so gewachsen. Nun degeneriert er, bald ist er tot?

Es war wohl der Versuch, schreiberisch eine Leere zu schaffen, in der ich von Neuem wachsen kann. Denn das kommende Projekt hat jede Menge Leere nötig. Ein freies, unformatiertes Feld. Eine Geburt, ein Nichts, dessen Wände sich wie ein Ballon aufblasen lassen, wo ein Raum entsteht für Neues, Besseres, Ungedachtes, bis es mit lautem Knall wieder im Alles des gelebten Lebens verpufft.

Auch ein Reisekunstprojekt wie dieses gehorcht vielleicht den Gesetzen des Entstehens, Werdens und Vergehens.

Dieser Beitrag wurde mit den Bordmitteln, die mir unterwegs zur Verfügung stehen, geschrieben: Bluetooth-Tastatur und Smartphone. Man möge mir meine Tippfehler verzeihen.
In der Seitenleiste links habe ich einen Kartenlink eingefügt, der die Reiseroute von 1995 skizziert. Ihr werde ich ab morgen radelnd folgen.

Die reinigende Kraft der Reise

Die letzte Woche vor dem Tourstart bricht an. Es gibt ja noch sooo viel zu tun. Oder ist es so, dass man mit zunehmendem Alter das Leben mehr und mehr in den Kopf verlegt, dass Absichten zu Gedanken werden und es auch bleiben, dass man den Hals nicht voll kriegt und sein Leben zurümpelt mit Zu-tuns.

Der Impuls, eine geordnete Welt zu hinterlassen, in der alles, was man im Kopf angereichert hat, seinen Platz gefunden hat, ist mir erstmals bei einem lang verstorbenen Onkel und einer lange verstorbenen Tante aufgefallen. Als wir das Haus leerräumten, fanden wir ein pikobello geordnetes Etwas vor, so als hätten sie  monatelang aufgeräumt und hingearbeitet auf ihren Tod – Beide starben  kurz nacheinander innerhalb weniger Monate. Sie hatten keine Kinder. Sie waren weder reich noch arm. Sie hatten einfach gelebt ihr gemeinsames Leben in einem Bauernhaus in einem winzigen Weiler.

Normalerweise kommt der Tod plötzlich, bzw. setzt einen zeitlich unter Druck und wenn wir dann sterben, hinterlassen wir unweigerlich ein Chaos individueller Dinge, angefangener Baustellen, fast so wie ich nun mit meiner Reise: es gäbe bei Leibe genaug Arbeit hier auf dem einsamen Gehöft, ich dürfte eigentlich gar nicht drei Monate lang wegfahren und durch die Welt scharwenzeln.

Wie ein kleiner Tod bei lebendigem Leib? Du hinterlässt die Fäden deiner Ideen und Träume. Wirr. Für niemanden ist nachvollziehbar, was etwa die Bleistiftlinien an der Atelierwand bedeuten, dass dort ein Podest geplant ist, ein riesiger Bilderlagerschrank, am Besten klimatisiert. Irgendwo unter dem Vordach liegen die Fichtestämme, aus denen er gebaut werden soll. Wer könnte ahnen, dass sie längst schon auf dem Traktoranhänger liegen, rein gedanklich, und zum Sägewerk ein paar Dörfer weiter getuckert werden? Ha, und dort drüben unter dem Kirschbaum steht der gedanklich schon längst fertige Pizzaofen. Der Zement liegt direkt neben dem Platz, an dem ich die Zeilen schreibe. Verpackt in Mülltüten.

Die Dinge bleiben einfach liegen, wenn wir sterben und die Dinge bleiben auch liegen, wenn wir verreisen, wenn wir den Lebensfluss künstlich umlenken, die Dinge bleiben eigentlich immer liegen. Warum mussten wir zu solch komplexen Wesen heranwachsen, die rein gedanklich in der Lage sind, vieles gleichzeitig zu – ähm – planen, aber in der Realität viel zu wenig Zeit haben, das alles auch wahr und sichtbar zu machen?

Zumindest mir geht das so. Manchmal komme ich mir vor wie die Spitze eines Eisbergs: oben ein winziges Etwas, was tatsächlich geschieht, aber unter der Oberfläche ein zerklüftetes Gebilde aus Gedanken, Träumen und Ideen, die, wenn sie Glück haben, irgendwann einmal zur Ausführung kommen.

Die reinigende Kraft der Reise. Reise, zumindest so wie ich es begreife, ist ja ein guter Kanal, um für eine einfache, lineare Struktur zu sorgen. In den Gedanken Plänen ebenso wie im Tagesablauf. Vielleicht färbt das aufeinander ab? Weil man nicht mehr daheim ist im normalen Alltag, entsteht eine beinahe lineare Struktur. Die einfache, langsam vorantreibende Kraft der Außenwelt, die man mit dem Fahrrad mit 10-20 km/h durchquert gibt einem Halt und Struktur. So kommt das Innere ein bisschen zur Ruhe. Eben habe ich das Zuhauseleben im Alltag verglichen mit so einer Art Kondensatorplatten, bzw., dass es mehrere Kondensatorschichten sind, die man im statischen Leben daheim übereinander geschichtet sieht und die Spannung haben, die aneinander reiben, einander abstoßen oder anziehen, je nachdem. Hier der Beruf, da die Familie, dort die materiellen Sorgen und Wünsche, da unterschwellige Ängste vor was auch immer. Im Reisekanal kann man all das harmonisieren und ableiten. Ich weiß das. Ich habe es selbst ausprobiert. Wichtig ist, dass man sich frei treiben lassen kann. Dass man sich möglichst keinen Reisestress in Form von Terminen und Musst-Du-gesehen-habens macht. Dass man die Dinge auf sich zukommen lässt. Ich glaube, viele Menschen, die heutzutage denken, sie reisen, wissen gar nicht, was Reisen tatsächlich bedeutet. Sie buchen ein Paket mit Sehenswürdigkeiten, die sie abklappern und setzen ihren Termintaumeltanz, den sie im Alltag führen nahtlos fort. Zwei Wesenswelten, von denen ich spreche, und ja, vielleicht ist es ein bisschen das, was ich 1995 bei der ersten Kapschnittreise las, dieses Haben und Sein Ding von Erich Fromm. Wenn Du immer nur im Trott weiter machst, weil Du es nicht ertragen kannst, dass eine kleine Welt – nur auf Zeit – stirbt, kannst Du deinen herkömmlichen Alltag nicht verlassen.

Gerade daran knabbere ich im Moment, weiß ich. Den Kunstwerkeschrank, den ich auf die Atelierwand gemalt habe, kann ich immer noch bauen, wenn ich im Oktober wieder im Lande bin. Ich kann eigentlich alles fortsetzen, wie ich es hinterlassen habe. Im Gegensatz zum echten Tod, der hoffentlich noch ein bisschen auf sich warten lässt.

Geschrieben im heimischen Garten auf dem Smartphone. Möge die Nachwelt mir meine Fipptehler verzeihen.

Die Hosenträger und Gürtel des digitalen Zeitalters

Heute war Packtag. Oder soll ich besser sagen, Packstunde? Denn viel länger hat es nicht gedauert, alle Reiseutensilien auf einen Haufen im Atelier zu werfen. Jetzt sind es nur noch zehn Tage bis ich mich auf den Weg zum Nordkap mache.

Obwohl sich mein „Reisehaufen“ innerhalb so kurzer Zeit gefüllt hat, ist das Packen eine grausige Angelegenheit. 1995 war das viel einfacher. Es war haptischer, primitiver, ich möchte fast sagen animalischer: Klamotten, Zelt, Schlafsack, Kocher, Fotoapparate, Notizbuch, Kuli, Filme. Mehr nicht.

Heute kommt noch ein ganzer Rattenschwanz an technischem und virtuellem Material dazu. Um immer online zu sein, sorge ich für Redundanz. Statt einem Ladekabel braucht es zwei. Statt einem Ladegerät dito. Mag sein, dass das die Hosenträger und Gürtel des digitalen Zeitalters sind? Solarzelle. Ersatzakkus, Kameraladegerät, Laderegler für den Fahrraddynamo, ein winziger Adapter von USB-A auf USB-B, eine Büroklammer, um das Simkartenfach des Telefons zu öffnen … was für eine elende Materialschlacht.

Ich erinnere mich, dass ich auf der Nordseerunde in Schottland, als mir der Strom fürs iPhone ausging sogar so eine Art Scottie-ische technische Trickserei durchgeführt habe – Startrek-Fans wissen, wovon ich rede: Scottie war der Chefingenieur des Raumschiffs Enterprise, der in Notsituationen immer aus irgendwelchen Teilen irgendeine Notlösung zurecht friemelte und das Schiff rettet. Was war ich stolz, als mir die Idee kam, den Kameraakku der Nikon über den Gleichrichter am Fahrraddynamo in einen iPhone-tauglichen Akku umzufüllen und so meinen morgendlichen Blogbeitrag zu übermitteln, obwohl scheinbar alle Energiereserven aufgebraucht waren.

Das Problem wird sich auf der kommenden Reise hoffentlich nicht einstellen. Eine achtzig Zentimeter lange Solarzelle mit 14 Watt leistet seit einigen Tagen ihren Dienst im Hause Irgendlink. Auch bei bedecktem Himmel liefert sie Strom. Zudem gibt es einen verbesserten Gleichrichter, der das gesamte Volumen des Fahrraddynamos ausschöpft und der ungefähr eine iPhoneladung pro 70 Kilometer liefert.

Außerdem ist da ja noch Herrn Irgendlinks Gespür für Steckdosen. Ich kann die mittlerweile riechen. In leerstehenden Festzelten, vor Kirchen, an Laternenpfählen, in Häfen, wo auch immer.

Das Komplizierteste am Packen 2015 ist jedoch nicht das Material, sondern die virtuelle Ausrüstung: Software, die mir das Fotografieren erleichtert, die mich mit dem Server verbindet, mit den sozialen Medien und die dazugehörigen Passworte und Logins. Sogar ein Programm zum Webserveradministrieren ist im Gepäck, das ich hoffentlich nie brauchen werde.

Mir raucht der Schädel. Ich muss verrückt sein. Ebenso besessen wie fasziniert fiebere ich dem Projekt entgegen. Ich wünschte, es wäre schon Montag in acht Tagen. Ich auf dem Radel in der Gegend um Waldmoor auf dem Saarlandradweg hinauf zum Höcherberg, rüber zur Nahe, runter nach Bingen, ein kurzes Stück den Rhein entlang, stets den Flüssen folgend …

PS: übervorsichtigen Menschen sagt man hier in der Pfalz scherzhaft nach, sie tragen Gürtel und Hosenträger.

In der Rubrik Ans Kap werden alle Artikel der Reise zusammengefasst.

Eine Kurzfassung, die wöchentlich montags erscheint, findet ihr in dieser Rubrik, die ich eigens für diejenigen, die nicht täglich lesen mögen, schreiben werde.

Wer sich das volle Programm geben möchte, der schaut auf Twitter vorbei – wir übernehmen jedoch keine Behandlungskosten.
(Im Gegensatz zu Facebook, muss man sich bei Twitter nicht anmelden, um mitzulesen, ach vielleicht baue ich die aktuellen Tweets als Feeds in die rechte Seitenleiste).

 

Gift

Aktualisiert 2023-05-24 (Link zum Artikel von Maria Herzger)

Das zweite recht intensive Jahr als Selbstversorger lässt sich gut an. Der Garten gedeiht prächtig. Erdbeeren und Salat sprießen im Überfluss. Die Tomaten sind vom Pilz verschont trotz teilweise hoher Luftfeuchtigkeit. Eine Phalanx Zwiebeln steht einer Schar Karotten gegenüber. Rukula will wachsen und Bohnen und Kartoffeln und Kürbis ohne Ende.

Zur Bewässerung benutzen wir Regenwasser, da der hofeigene Brunnen kaum genug Kapazität hat für Trink- und Waschwasser. Das Regenwasser wird mit einem ausgklügelten System aus Schläuchen hin und her geleitet und wird letztlich im Garten vergossen.

Der Artikel von Maria Herzger (Archivartikel gibt es in der Waybackmachine) beunruhigt mich. Gift aus dem Gartenschlauch! Es erinnert mich an die Untersuchungen von Kinderspielzeug auf Gifte. Gift ist überall. Ahnungslos verteilen wir es. Wie Hundescheiße, die an uns klebt.

Wir können noch so sorglos und gesund leben wollen, als Einzelne, relativ abgeschottet von der Gesellschaft, letztlich holt uns die Gesamtheit der Menschen oder besser die Gesamtheit der Prozesse auf diesem Planeten doch ein.

Dieses Gefühl, dass es kein Entrinnen gibt und dass soziale und ökonomische Mehrheitsprozesse oder Stimmungsprozesse (die größtenteils auf Egoismus und Ahnungslosigkeit fußen) dafür verantwortlich sind, dass (wir) die Umwelt und unseren Lebensraum zerstören (ohne es zu ahnen oder wahrhaben zu wollen), macht mich manchmal ganz verrückt.

Ich meine, was nützt mir die ganze Gartenschinderei, wenn sich das Gift durch den Gartenschlauch einschleicht, durch die Luft, oder gar durch das Saatgut selbst, das ich immer noch kaufe?

Ein anderes Thema wären die Meinungsgifte, die durch die Medien – das sind ja auch so eine Art Schläuche – zu uns hereinschwappen.

Lassen wir das. Ich gieße jetzt ein bisschen Phtalate.