Die Gegenwart steht vor der Tür. Entscheidungen müssen nicht gefällt werden. Die Gegenwart hat einen randvollen Sack mit frisch kompilierten Entscheidungen dabei. Nur noch der innere Schweinehund, der faul hinter dem Ofen in der Künstlerbude lungert, will überwunden werden. Ich probiere das jetzt aus mit dem „einen Monat lang einen Roman schreiben„. Es geht um eine weltweite Aktion, die vor etlichen Jahren in den USA, glaube ich, ihren Ursprung genommen hat. Den National Novel Writing Month, kurz Nanowrimo. In der Schweiz wurde die Aktion bis glaube ich 2012 in Form des Novemberschreibens adaptiert. Traditionell findet das große Massenschreiben alljährlich im November statt. Dann, wenn die Ernte im Hirn eingefahren ist, wenn es noch nicht zu kalt ist draußen und die Nächte noch nicht zu kurz, als dass man in Winterstarre verfallen könnte. Ziel der Aktion ist es, gemeinsam die inneren Schweinehunde zu überwinden, die uns Schreibende daran hindern, endlich das „große“ Buchprojekt anzugehen, das uns schon so lange in der Seele brennt. Über zehntausend Menschen allein in Deutschland haben sich angemeldet und gut zwölfhundert in der Schweiz. Eine Armee von Kreativen. Einen Monat lang nicht anderes tun, als sich auf ein Projekt zu konzentrieren. Die eigene Geschichte. Das eigene Buch.
Der National Novel Writing Month – Fels in der Brandung der Ablenkung
Mit den eigenen Geschichten ist das nämlich so eine Sache. Während man alle möglichen Arbeiten, die anliegen und Ideen, die einem so durch den Kopf gehen, bequem an andere Menschen deligieren kann, sprich, sich deren Arbeitskraft kaufen kann, ist das bei Geschichten unmöglich. Nur du selbst kannst deine eigene Geschichte erzählen, sei sie fiktiv oder eine Autobiografie oder ein Sachbuch zu deinem Lieblingsthema. Es ist verdammt schwer, sich eine ablenkungsfreie Zeit zu schaffen. Für die arbeitende Schicht ebenso, wie auch für uns Künstler. Ablenkungsfrei in dem Sinn, dass nichts und niemand die Denkprozesse stört, die unbedingt nötig sind, um sich auf ein Buchprojekt zu konzentrieren.
Wie wichtig Ablenkungsfreiheit für das Schreiben und die künstlerischen Prozesse ist, habe ich erfahren bei meinen Livereiseexperimenten (mehr Info über Livereisen in der Kurz-CV). Livereisen sind Kunst-Literatur-Lebensweisheits-Blog-Hybride. Die Reise ist der Stoff, über den geschrieben wird. Eine fotografisch-literarische Dokumentation mit phisosophischen Ausreißern. In Echtzeit wird sie über eine Blogsoftware im Netz veröffentlich. Die „Rohstoffe“ werden per Smartphone getippt und fotografiert. Im Prinzip handelt es sich um Reiseberichte, bei deren Entstehen die Nutzerinnen und Nutzer zuschauen können und, wenn sie gut gemacht sind, auch hautnah mitreisen können. Aktuelles Beispiel Gotthard – eine Wanderung mit Frau SoSo im vergangenen Sommer.
Ein Roman ist ein anderes Kaliber. Fiktion, plotten, Geschichten weben, Personage lebendig werden lassen. Das ist echte Strafarbeit – im Vergleich dazu ist das Liveschreiben wie wenn man in der Schule eine Klassenarbeit schreibt, während der Lehrer mal eben den Raum verlässt und man nach Herzenslust abschreiben kann. Mir graut vorm Romanplotten. Ich würde mich nicht auf den Nanowrimo einlassen, wenn nicht schon ein paar Ideen für die Geschichte da wären, wenn nicht ein paar Gestalten sich amöbenhaft aus der Ursuppe der Personage herauskristallisierten.
Und zu guter Letzt: der Nanowrimo ist nunmal da. Und wer ihn nicht ausprobiert hat und am eigenen Leib erfahren hat, was er bewirkt (oder was nicht), wird nie erfahren, ob die Aktion etwas taugt.
Also ich probiere das jetzt aus. Ich muss nur noch den Monat Restarbeit, der vor mir liegt in den nächsten zwei Wochen vom Tisch kriegen :-)
ich freu mich auf und über …
Ich hab’s auf europenner.de eingerichtet – Stammlesende kriegen auch das Passwort (ich bin kein Freund von Barrieren, aber im Fall muss es leider sein). Muss dort noch ein bisschen technisch vorbereiten.
Willst Du den gesamten Schreibfortschritt auf europenner veröffentlichen und dokumentieren oder nur Auszüge?
Dort sammele ich alles in passwortgeschützten Beiträgen.
Ich glaube, dass Du viel mehr schreiben könntest, wenn Du nicht zu viel andere Dinge am Bein hättest.Es ist nicht leicht, sich loszueisen – ich bin gespannt, ob mir das gelingt.
Was anderes: Mir ist gerade eben eingefallen, dass Du ja noch ein Buch von mir kriegst. Es wird mir hoffentlich bald geliefert und dann schicke ich es Dir.
Oh, da freue ich mich!
Ich beantrage übrigens hiermit ein Passwort.
E-Mail-Adresse hast Du ja – oder?
Yesss
So beschrieben klingt das irgendwie doch gut… bis jetzt hat es mich immer gegraust, wenn ich irgendwo über diese NaNo-abkürzung und den zusatz „ich muss noch 5.000 worte nachholen heute… 2.024 habe ich schon“ stolperte.
denn das klang nach fließband, nach einfach raushauen, um der zahl willen – bei dir klingt es wirklich wie zeit für ein projekt, das sonst vielleicht niemals angegangen werden würde. und das gefällt mir sehr!
Sabine, ich hatte es schon in Antwort auf Axels Kommentar angerissen. Du hast recht, auf keinen Fall will ich um der Zahl willen schreiben. Ich melde mich wahrscheinlich auch nicht in dem Portal an – dort würde ich vielleicht kostbare Hirnkapazität in immer mal wieder da reingucken investieren :-)
Hut ab.
50.000 Wörter in einem Monat ist sportlich.
Ich schreibe jetzt ja auch schon länger an einem größeren „Werk“ – zugegeben nicht sehr strukturiert und auch nicht sehr konzentriert. Aber mehr als 5.000 Wörter schaffe ich nicht im Monat.
Ich wünsche Dir auf jeden Fall Durchhaltevermögen, Inspiration und Erfolg.
Autsch, Axel, die Zahl hatte ich mir noch gar nicht verinnerlicht. Es geht mir vor allem darum, mich nur auf eine Sache zu konzentrieren. Wieviel ich da pro Tag schaffe, wird sich zeigen. Ich will es aber mit dem Schreiben so halten, wie mit dem Radfahren, immer dusmo (sagt der Pfälzer). Es bringt auch nichts, sich zu überanstrengen.
lasst euch bloß nicht von den zahlen durcheinanderbringen. das ist weniger als man denkt. ich habe es zweimal geschafft … und es ist auch nicht fließband. es wird nach zweidrei tagen normal, und die figuren fangen ein eigenens leben an und du schreibst nur noch auf, was sie so treiben. wenn du ihnen zuguckst innen in dir drin und so. lach. hach.
ich finde das rohe schreiben ja die geilste schreibphase überhaupt. ich habe ein paar rohmanuskripte. die überarbeitung ist dann die knochenarbeit.
plots wachsen, wenn du den weg gehst. ist wie beim wandern. und du, jürgen, hast ja schon so viele ideen, dass du wohl einfach nur anfangen musst und dann schreibt sich dein europennerbuch von allein.
darf ich mitlesen?
schickst du mir das passwort?
danke!
(hoffentlich hast du auf europenner die kommentarfuktion ausgeschaltet – nur so als tipp! ;-) )
Auf europenner.de muss ich noch viel arbeiten in den zwei Monaten bis zum ersten November haha.
Das ist es aber, was mich von der Teilnahme an Nanowrimo abhält: 5000 täglich. Hallo? Ich sitz manchmal an 17 oder 28 Silben schon eine gute Stunde. Oder 15 min an 650 (gestern) und dann etwa eine Stunde am Abtippen und Hochladen.
5000 täglich …
Lassen wir die Zahlen besser mal weg. Die Schreibgeschwindigkeit hängt ja auch stark davon ab, was man bezwecken will. Ich stelle es mir wie Bildhauerei mit Worten vor. Das wird das erste, grobe Herantasten – eigentlich wie das Jakobswegbuch, nur ohne Reise und zunächst ohne Zusammenhang. Buch der Szenen nenne ich das Projekt. Alle Fetzen, die im Hirn gaukeln sollen darin stehen.
ich glaube, mein größtes problem ist, dass ich mir einfach nicht vorschreiben lassen will, wie viel ich zu schreiben habe :) 5.000 sind nicht viel, aber wenn ich will, mache ich heute 12.000 und morgen gar nichts und dann 3.000 und dann mal 3.
ich nehme mir eher szenen und kapitel vor als etappenziele, und ich mag an der idee den vorsatz der traumerfüllung, nicht das raushauen.
aber wie schön es ist, wenn es läuft (wie auch immer), das steht außer frage.
Stimmt, Sabine. Es ist im Prinzip wie reisen oder radfahren. Man muss sich den Gegebenheiten anpassen. Aber sich gezielt freinehmen fürs Schreiben, ist sicher gut. Ich merke gerade, wie sich im November schon wieder Termine einschleichen. Versuche aber, den Monat „sauber“ zu halten.
Nanu? Wo sind die „Worte“ hinter 5000 und 650 und 5000 hin???
Gestern dachte ich, ich hätte sie gesehen, die Worte, aber nein, die sind wohl von der Blogkatze aufgefressen :-)
Dem Tier sollten Manieren beigebracht werden …
Vielleicht findest Du dieses Tool von Gottcode.org (welch Domain-Name!) beim NaNoWriMo hilfreich?
Das sieht spannend aus. Ich will aber gar keine Worte zählen. Man könnte sagen, ich will einen Marathonlauf machen, aber nicht 42 Kilometer laufen, es aber dennoch zu tun, nur eben, ohne es zu tun. Um es mal konkret auszudrücken :-) Mit der Wohnung habe ich es auch so gemacht: sie renoviert ohne sie zu renovieren und nun ist sie renoviert. Ganz schöner Spinner, ich, gell?
Spinner? Nein.
„Spintisierer“, ja, wie Gottfried Keller seine Produktionsweise mal beschrieb.
(http://de.wikipedia.org/wiki/Gottfried_Keller#Literarische_Produktion)
im gegenteil! ich nenne das eine sehr auf die sache konzentrierte einstellung – immerhin soll’s ja nicht um worte, sondern einen roman gehen. bin gespannt!