Nicht müde werden, den Fluss zu beobachten, wie er sich grün von links nach rechts durchs Bild schiebt zehn bis zwanzig Kilometer schnell durch die „Zwischenwelt“, die sich an der Reuss, wie wohl an den meisten Wasserläufen entlang zieht. Auf der anderen Seite ist ein dreißig Meter langes Stück Ufer abgerutscht. Ein kiesiger Krater hat sich gebildet. Dichter Bewuchs, sind das Eichen, vorwiegend? Fichten, Mischwald. Der Wanderweg, dem wir seit der Mündung in die Aare folgen, ist ein mannsbreiter Pfad, von Wurzeln zernarbt, meist in Wassernähe, ab-und-zue Sandstrände, keine einzige Siedlung, die man direkt durchquert. Nur wenige Spaziergänger, ein Gartenrestaurant außerhalb, in dem sich langberockte Bedienungen auf den Abendessenansturm vorbereiten.
Vor nichtmal einer Woche ist mir die „Zwischenwelt“ ins Bewusstsein gerückt. Am alten Rhein-Rhône-Kanal zwischen Abzweig Colmar und etwa Mühlhausen. Ein zum Rad- und Wanderweg mutierter Treidelpfad, auf dem vor ein- zweihundert Jahren müde Pferde Lastkähne durch Frankreich zogen. Nun abgeschottet vom „Lymphsystem“ des zeitgenössischen Verkehrswesens, tickt an dieser „Schwarzen Schlange“ der Naherholung eine andere Uhr, muss man die Spuren der Zivilisation förmlich suchen, ab und zu überquert eine Departementsstraße den Kanalweg und am Brückenkopf ist deren Name angeschlagen: D 124 zum Beispiel. Ich hatte mir vorgestellt, wieviele Menschen wohl über die Jahrhunderte hinweg schon sinnierend an diesem Kanal gestanden hatten, dies und das denkend, und was für ein Bild das gäbe, wenn man für jeden, der mehr als ein paar Sekunden sich auf die Wasserstraße konzentriert hatte, ein Denkmal gebaut hätte. Der Treidler, dessen Pferd verreckt, der Lastkahnkapitän mit Gütern aus der Gegend um Castelnaudary bis hinauf in die Kohlegebiete Lothringens, seine Frau, die Kinder, auf ein besseres Leben sinnierend, sie alle, und später die Touristen, so wie ich, die den Kanal auf unbeschwertere Weise erleben dürfen. Ihnen ein Monument zu bauen, dort wo sie einst inne hielten und Dinge von Bedeutung sinnierten. Die „Zwischenwelt“ wäre vermutlich gepflastert mit Denkmälern. Eine Terrakottaarmee jahrhundertelangen Sinnierens.
Die „Zwischenwelt“ hier an der Reuss im Aargau ist um Einiges wilder, als meine Kanalzwischenwelt. Der Fluss kommt mir vor, wie eine längliche Bastion, die der Mensch nicht einnehmen konnte. Nur vereinzelt, von wagemutigen Wanderern wie SoSo und mir und ein paar im Schlauchboot dahin treibenden Schwimmreisenden, lässt sie sich erkunden. Der Draußenlärm, Straßen, Eisenbahn, Einflugschneiße Zürich-Klothen und der Sportflugplatz im Birrfeld, wird weitgehend übertönt vom Murmeln des etwa dreißig Meter breiten Flüsschens. Ewig sich brechende Wasser in den wie Finger hervorragenden Ästen angestorbener Bäume.
Gestern sind wir etwa zehn fünfzehn Kilometer dem Reussweg gefolgt, nun in der Nähe von Mellingen, welches vielleicht die erste Siedlung direkt am Flussufer sein wird.
an einem Fluss entlang wandern oder auf ihm fahren, da werden die Zwischenwelten spür- und sichtbar … wie schön,dass noch nicht alles vereinnahmt werden konnte- viel ist es ja nicht mehr!
herzlichst Ulli
Da hast Du recht, Ulli.