Erinnerung an den Abreisetag – wann wars? – vorvorvorgestern?
Es fühlt sich an, als wäre ich schon Wochen unterwegs. Die Künstlerbude überlasse ich einem Freund. Er füttert die Katze und gießt den Garten. Weil er damit quasi Major Domus ist und ich beim Wort Major Domus immer an die US Detektivserie Magnum denken muss, in der es einen Major Domus namens Higgins gibt, nenne ich meinen Freund kurzerhand Higgins. Higgins und wie man Ideen tötet. Ein kurzes Inzermezzo dieses Livereiseberichts.Higgins steht zentimeterweit mit seinen Riesenfüßen vor dem Dillfeld und wir bestaunen den Garten, mit dabei mein Vater, ganz besorgt, der Dill könnte schaden nehmen. Zarte ideenähnliche Pflanze. Wie macht Ihr das mit dem Regenwasser im Winter, fragt Higgins, die freistehenden Fässer frieren doch bestimmt ein. Dass wir das Wasser im Winter nicht sammeln und dass es immer ein Vabanquespiel ist mit dem Regen. In trockenen Jahren wirds knapp. Man könnte unterirdisch sammeln, Fässer eingraben, schlägt Higgins vor. Und mein Vater erwidert, das ist zu teuer. Womit die Idee vom frostfreien Wasser vom Tisch ist.
Auf Reisen nimmt man ja stets auch ein paar Alltagssorgen mit. Rein gedanklich nagen sie im Innern und schwächen unnötiger Weise Körper und Geist. Unnötiger Weise? Ja genau. Es macht keinen Sinn, ständig darüber zu grübeln, ob in der Firma alles gut läuft, ob man den Herd abgestellt hat, die Katze und Pflanzen gut versorgt sind etc. Man hat von unterwegs keine Möglichkeit ins Geschehen des zurückgelassenenAlltags einzugreifen. Also sollte man auch keine Gedanken daran verschwenden.
Die Sache mit der Regentonne habe ich dennoch in meinen Hirnrucksack gepackt. Warum? Weil dahinter das Prinzip gaukelt, wie zerbrechlich und leicht abzuwürgen Ideen sind (Gefahr wie großer Fuß zentimeterweit vor Dillpflanze!).
Zum Beispiel die Idee, ich, moi même, könnte die USA auf den Wegen der Planwagenpioniere durchradeln und darüber eine tolle Livereise bloggen. Mit einem Wort lässt sich die Idee vernichten: Zuteuer. Das Damoklesschwert der Nichtfinanzierbarkeit. Die Reise wird nie stattfinden, wenn ich sie mit der Nichtfinanzierbarkeitskeule traktiere. Auch die vier Monate dauernde Nordseeumradelung 2012 war zunächst nichtfinanzierbar. Die letzten Tage, vor mich hin kurbelnd und nichts anderes tuend, als das, was mir am meisten Spaß macht, Radreisen und darüber schreiben, wurde mir klar, wie sehr die Realisierung unerreichbar scheinender Vorhaben gekoppelt ist, inwieweit man dem eigenen Denken keine Schranken auferlegt. Schon gar nicht die Materiellen. Natürlich ist es zu teuer! Natürlich kann ich mit meinem Europenner-Einkommen eine solche Reise nicht finanzieren. Aber wenn ich jetzt aufhöre, die Idee wachsen zu lassen (wie Dill), dann ist eines gewiss: die Reise wird garantiert nicht stattfinden. Wie es auch im Hause Irgendlink garantiert kein frostfreies Regenwasser geben würde.
ich glaube, dass sich genau hier – bei solchen gedankengängen – der unterschied zwischen künstlerInnen- und nicht-künstlerInnen-seelen sichtbar wird. andere gedankenketten:
unmögliches für möglich halten. möglich machen. das sind ganz andere reichtümer als jene in der wirtschaft relevanten.
reich an zeit, an ideen, an energie, gedachte dinge in die wirklichkeit zu holen!
just do it! :-)
Wie Andrea schon sagte, kann man wahrscheinlich gar nicht so sehr zwischen dem Menschentyp Künstler und Nichtkünstler unterscheiden, fast josefbeuysisch ist ja jeder mensch Künstler.
Hallo,
redest du vom Oregon Trail? ;-)
Ich glaube, es geht den Künstler(innen) da auch nicht viel anders, als den Nicht-Künstler(innen): wenn ein großes Projekt abgeschlossen ist, dann steigt sofort die Sehnsucht nach einer noch größeren Herausforderung. Irgendwie braucht wohl Jede/r so ein ganz großes Ziel vor Augen. Etwas, dass einen antreibt und fordert. Wär ja auch langweilig, so ganz ohne…
Euch beiden einen schönen Tag und liebe Grüße aus dem hiesigen Sulzbachtal ;-),
Andrea
Ich hatte im Januar von einer Flensburgerin gelesen, die diese Radreise unternommen hatte. Von Richmond bis zum Missisippi und weiter ich glaube, es endete tatsächlich in Oregon. Es gibt sogar Fernradwege in den USA, aber wie die aussehen, weiß ich nicht. Ich krieg Herzklopfen, wenn ich nur über all die Klischees nachdenke: von Banden beherrschte Stadtviertel. Klapperschlangen, Bären, Pumas, Kukluxklan, Monstertrucks, Mac Donalds.
Ja, das klingt alles ziemlich gefährlich. :-(
War nicht Forrest Gump mal ein paar Jahre zu Fuß quer durch die USA unterwegs? Vielleicht könnte man ja herausfinden, welchen Weg er damals genommen hat? ;-)
Oh, möge diese Idee sich festsetzen im Radelkunstbubhirn!
Vielleicht mit der DKMS oder der Welthungerhilfe oder der Diakonie oder Misereor oder oder oder einen caritativen Hintergrund dazu vereinbaren … (Geht natürlich auch für den Oregon-Trail {hier schrub ich grad: Oregano-Trail, ob’s was zu bedeuten hat? Italiens Südspitze ist auch noch unerforscht!})
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich, dass es sich finanzieren lässt.
Tja. Das wäre auch ein Weg. Das Leben ist wie eine Schachtel Blogeinträge. Man weiß nie, was man bekommt.
ich finde auch, dass du die Idee ruhig in dir wachsen lassen solltest, schenke ihr ein bisschen von dem knapp werdenden Regenwasser, und radel dich frei von allen Sorgen, die im Jetzt keine Rolle spielen …
wir haben die Freiheit Ideen zu spinnen und Wirklichkeit werden zu lassen und dann wird sich zeigen, ob dir die Bären und Pumas, die Horden von wild gewordenen Menschenwesen wirklich begegnen oder ob auch dies wieder nur ein inneres Horrorszenario ist, gespeist aus zu viel einseitigen Fernsehbildern und Zeitungsnachrichten …
ich wünsche dir eine spannende Zeit, bald per pedes … und bin gespannt, ob sich das gemässigtere Tempo auf deine Geschichten auswirken wird-
herzlichst Ulli
Ulli, das Tempo, genau darin liegt eines der grôßten Geheimnisse.