Die Unruhe vor dem Sturm

Angst. Kurz vor dem Start zu einer neuen Livereise. In den Pappeln auf der Westgrenze des einsamen Gehöfts rauscht der Wind. Ansonsten herrscht Stille. Die nervigen, kurzpenisigen Motorradfahrer haben aufgehört, an den beiden Landstraßenkreuzungen oberhalb des Hofs den Gashahn aufzudrehen, Gummi auf Teer zu lassen, ihren Alltagsfrust hinauszuschreien. Die Welt ist fast, wie sie sein sollte. Dunkel, still, scheinbar in Ordnung. Den lieben langen Tag habe ich mit Packen verbracht. Schlafsack, Klamotten, Küche und Hygiene in die Fahrradtachen verstaut. Wie ein Negativ des Bauplans für den Kleinen Uhu, den Balsaholzkultflieger der siebziger und achtziger Jahre. Packen, statt Ausbreiten. Für sechzehn Uhr hatte ich den Tourstart geplant. Per Rad nach Süden, rüber zum Rhein, am Illkanal raus aus Straßburg nach Basel in die Schweiz. Dort stoppover bei einem möglichen Websitekunden vorsprechen und danach zu Fuß weiter. Deshalb mussten auch einige Schönklamotten ins Gepäck und das Notebook. Zwecks Präsentation und Schönaussehen. Nach dem Termin irgendwann nächste Woche beginnt das wilde freie Land unformatierter Zeit. Unfestgelgeter Wege. Der Zufall. Die Würze im Brei des Alltags. Gegen Mittag wird es hektisch. Warum? Weil der Mensch vor dem Aufbruch in Neues immer mit einem Bündel Unerledigtem ringt. Und weil der sechzehn Uhr ich will los Termin gaukelt. Mit Terminen habe ich glücklicher Weise mehr Erfahrung als mit bündelweise Unerledigtem. Wenn Termine drücken und den Puls treiben, die Kehle schnüren, und spätestens wenn sie Schmerzen in der Brustgegend verursachen, verschiebe sie. Warum sollte man als Privatmensch nicht ebenso nonchalant handeln, wie die Bahn oder eine Fluggesellschaft? Lass den Passagier in dir doch einfach vor einer LED-Tafel stehen, auf der steht: Ferienreise Nummer EP2312 delayed oder canceled?
So sitze ich nun noch immer im heimischen Garten und lausche dem Singsang des Windes in den Pappeln. Sterne. Glühwürmchen. Katze zerlegt Maus. Eichhörnchen im Nussbaum. Darunter das gepackte Rad. Fünfzig Kilo. Wenn der sechzehn Uhr Starttermin geklappt hätte, würde ich jetzt jenseits von Bitche in Lothringen zelten oder wäre schon am Rhein-Marne-Kanal.
Es ist nicht der Sinn des Lebens, sich in ein Terminkorsett zu zwängen. Es ist auch nicht der Sinn des Lebens, möglichst viel Geld zu verdienen, einen langen Penis zu haben oder ein lautes Motorrad. Es ist überhaupt nicht der Sinn des Lebens, sich stramm einzureihen in die Schautnurwietollichbin-Spirale. Sie führt ins Nichts. Einklang ist der Sinn. Stille. Das was von Natur gegeben ist zu genügen ist Sinn. Man müsste das Haus eigentlich gar nicht verlassen. Aber darüber muss ich jetzt erst einmal schlafen.

5 Antworten auf „Die Unruhe vor dem Sturm“

  1. das haus nicht verlassen ist auch ein option, klar, aber mich dünkt das sinnfreie wandern doch irgendwie schöner.
    ich hoffe, du fährst los. ich freue mich auf die reise und weitere berichte!

  2. Angst ist eine gute Aufdiereiseschickerin. Sonst würdest Du Dich in alle möglichen Risiken stürzen- und das wollen wir nicht.
    Und dass Du sie öffentlich zugibst, ist das Allerdollste, echt!

    1. Und nun ist sie verflogen. Ich hab mich neben einer Kläranlage einquartiert. Überlege das Zelt noch aufzustellen wegen der Mücken.

  3. Feste Termine. DiIe machen mir nur Probleme, wenn ich sie mir nicht selbst gemacht habe.

    Die selbstgeplanten sind so geplant, daß ich genügend Reserven habe und schlußendlich pünktlich bin.

    1. Und es kommt bei den selbstgemachten Terminen, wenn sonst niemand mit drin hängt auch nicht so darauf an, sie zu halten. 1996 sind Freund QQlka und ich mit einer Woche Verspätung auf unsere Radeltour nach Irland gestartet. :-)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert