Gestern, frühmorgens, fasse ich mir ein Herz und sende Redakteurin D. eine Mail, in der ich die Idee anreiße, eine Livereise durchs Erscheinungsgebiet der örtlichen Tageszeitung, eine der größten Deutschlands, zu machen. Grundtenor Hybridjournalismus zwischen Facebook, Weblog und herkömmlichen Printmedien. Radelnd zwischen den einzelnen Lokalredaktionen, würde der Artist in Motion eine Reise durch die Heimat der Leserinnenschaft machen, und sie dort abholen, wo sie sind. Nämlich daheim. Viele Gedankenspiele sind da möglich. Natürlich könnte man über all das Zufällige, was sich im Reisendenalltag ereignet prima berichten, und natürlich müsste ich mein loses Künstlermundwerk etwas zügeln und mich der klassischen Berichterstattung zuwenden, wer hat was wann warum womit wemacht, die berühmten sechs Ws des modernen Journalismus. Sätze wie der vorige müssten ersatzlos gestrichen werden, und ich dürfte mich auch nicht so sehr gehen lassen, was die Fipptehler anbelangt.
Doch zurück zur Tour, die mich am gestrigen Tag von Ulm-Oberelchingen noch ein gut Stück der Donau entlang führte, gnädigerweise durch schattigen Wald, bis ich mich querab östlich bis südlich über den Landrücken Richtung Augsburg durchschlage. Man merkt schon den Unterschied zwischen dem Donauradweg, der ein sogenannter Premiumradweg ist, und den herkömmlichen Radwegen. Die Langstreckenbeschilderung fehlt meist, so dass ich mich von Ort zu Ort, stets den weißen Radwegeschildern mit der grünen Schrift folgend, durchhangeln muss. Einer der heißesten Tage wieder einmal, wie der gestern direkt veröffentlichte Bericht, (Dorfbrunnenwunsch, unerfüllt), schon zu erzählen weiß. Grob folge ich der Bundesstraße zehn, die Deutschlands Süden von West nach Ost durchzieht. Wer die meist vierspurige Gemetzelstrecke im Pfälzer Wald kennt, wird sie um Zusmarshausen nicht wieder erkennen. Das Sträßchen ist ein mäßig befahrenes Etwas, das durchaus auch als Radelstrecke taugt. Geschuldet ist die Ruhe der A8, die voller Stau zäh Richtung Augsburg fließt.
Allein an der Zusam
Immer wieder werde ich gefragt, wie es sich denn mit der Einsamkeit verhält, so lange so alleine unterwegs, ob das nicht langweilig wird, oder Angst macht? Meist gebe ich ausweichende Antworten, aber manchmal sage ich auch die Wahrheit, dass ich nämlich gar nicht alleine bin, oder nur physisch, dass ich nämlich per Internet permanent mit der Außenwelt verbunden bin, mit Viber, Skype und per Telefon und SMS, all diesen modernen Mitteln der Kommunikation in regem Austausch stehe, nicht zuletzt die abendlichen Telefonate mit SoSo, der Liebsten in der Homebase. Außerdem lässt die Kunst und das Schreiben kaum Gesellschaft zu.
Kurz vor Zusmarshausen steht direkt am Radweg, der separat neben der B10 verläuft, eine Bank unter einer Eberesche. Es windet, was die Mücken vertreibt und mir somit ein bisschen schattige Ruhe gibt. Gute Zeit zum Dösen. Draussen schwitzt die Welt. Ich führe ein kurzes Viber-Gespräch mit der SoSo und sie impft mir den Titel Allein an der Zusam, als ich ihr von dem kleinen Städtchen, dessen Namen gar nicht so passgenau zum Flüsschen passen will, erzähle.
Hinter mir sind einige Kleingärten. Einer der Besitzer, der Mann mit dem italienischen Dreirad, so will ich ihn nennen, schuftet ein bisschen zwischen seinem Gemüse und wir kommen ins Gespräch. Von dem kleinen Dreirad mit Ladepritsche erzählen wir, und dass er es vor einigen Jahren gebraucht gekauft hat. Es hat eine TÜV- und zulassungsfreie Lizenz, und nach und nach haben sich immer mehr Menschen in Zusmarshausen so ein Gerät gekauft. Ideal für Kleintransporte, passt in jede Parklücke und kostet nur 70 Euro Versicherung pro Jahr. Das Schwarmverhalten der Menschen. Einer fängt an, andere machen mit. Ich erzähle ihm vom MOM, dass ich eine gegenwärtige Reise mache, in der ich das Alltägliche in Text- und Fotoform festzuhalten gedenke, was ihn ziemlich fasziniert. Aber, als ich sage, jaja, unser Gespräch kommt vielleicht auch ins MOM-Archiv, winkt er etwas beschämt ab, dennoch beschließe ich, ihn als der Mann mit dem italienischen Dreirad aufzunehmen. Immerhin darf ich am winzigen Bach hinter seinem Garten mein T-Shirt und das Kopftuch nässen und nach Herzenslust Himbeeren pflücken. Eine Geschichte von der Bank, auf der ich ruhe, hat er auch noch auf Lager: vor Jahren habe da einmal ein rumänischer Querschnittgelähmter darauf geschlafen, der mit dem Rollstuhl unterwegs war. Einem ganz gewöhnlichen, nicht etwa einem High-Tech Rollstuhl. Der Mann habe halb Europa so durchquert und sei noch weiter gefahren, immer westlich.
Lechlechzen
Von Zusmarshausen folgt der Radweg fast ausschließlich der B10, deren Verkehr vor Augsburg stark zunimmt. Am Telefon hatte ich SoSo noch vom Lechlechzen erzählt. Das wäre ein Blogtitel, wenn ich richtig gegenwärtig wäre, wenn ich jederzeit die Ruhe hätte, zu schreiben. Aber die habe ich nicht. Mal ist es die Sorge, dass ein Gewitter mich überrascht, die mich weiter weiter weiter radeln lässt, meist aber die alles überspannende Zeitproblematik dieser Reise. Das Zeitkorsett ist schon verdammt eng. Am Donnerstag muss ich spätestens in Hallstatt sein, sonst läuft mein Urlaub ab. Auf der Nordseerunde war dieses Groß-Problem mit der Zeit zum Glück nicht. Es ist ziemlich wichtig, das Schreiben und das Fotografieren und das Reisen miteinander harmonisch zu verzahnen. Nur so funktioniert die Kunstmaschine. Gelinde gesagt ist die Strecke nach Augsburg hinein widerlich. Die B10 nervt mit schneidenen Reifengeräuschen auf überhitztem Teer, mit Gestank und über allem kreist wie ein Schwarm Geier diese abartige Hitze. Bin ich etwa die drei dreckigen Halunken der modernen Reiseliteratur? Eine Weile treibe ich im selben Strom mit einem miesgelaunten Paar, das den Radweg an der B10 offenbar auch nicht besonders mag. Sie taut irgendwann auf und wir lächeln einander immer dann zu, wenn wir uns gegenseitig im Pendelbetrieb überholen. Mal suchen sie den Weg, mal starre ich aufs Fondisplay, um die Open Cycle Map zu befragen. Sie erweist sich als wahrer Segen.
Augsburg
Ist wahrscheinlich eine schöne Stadt. Aber die Einfahrt vermiest es einem. Lärm, Verkehr, Gestank, Halbwüchsige mit Bierflaschen am Hals, und das Sahnehäubchen ist diejenige Spezies Mann, die ich stets Männlein zu nennen pflege. Ausgestattet mit hochglänzenden, tiefergelegten Karossen zwecks imaginärer Schwanzverlängerung und Aufpolitur des Selbstbewusstseins, scheinen sie nur auf dieser Welt zu sein, um andere Menschen zu quälen. Wenn ich Noah erwische, erinnert mich daran, dass ich ihm mal ordentlich Bescheid stoße, warum er die beiden Stechmücken und das Männleinpärchen mit auf die Arche genommen hat. Die Augsburger Männlein scheinen für die Männlein-Weltmeisterschaft zu üben. Auf dem Kopfsteinpflaster in der an sich schönen Innenstadt, lässt sich ja so prima im ersten Gang bei hohen Touren flanieren, laute Musik im Cabrio wirkt sich besonders auf die B-Note aus, und ein Linksschwenk mit angezogener Handbremse auf den Straßenbahnschienen ist das Sahnehäubchen ihrer Kür. Gleich vier oder fünf dieser Spezies wandeln in Augsburg, welches ich boshafterweise in Kleinschwanzburg umtaufe. Doch das hat die Stadt nicht verdient. Irgendwie ackere ich mich vorbei an der Kirche und der Fachhochschule durchs Rote Tor hinaus Richtung Lechradweg, dem ich südlich folge. Hier zeigt Augsburg seine pittoresken Stärken. Eine traumhafte Radelstraße schlängelt sich durch dichten Wald vorbei am Botanischen Garten. Wegen der Insektenplage stoppe ich immer nur, um die Zehn-Kilometer-Fotos zu machen. Meine Haut ist mit diversen Schichten Sonnencreme und Autan im Wechsel geradezu patiniert. Bei einem Staudamm etwa fünfzehn Kilometer südlich von Augsburg überquere ich den Lech und finde auf einem Modellflugplatz ein topfebens Nachtlager. Erstmals lasse ich das Außenzelt weg, um mehr Luft zu haben.
Die heutige Strecke führte mich von Ort zu Ort, immer wieder die Open-Cycle-Map zur Hand nehmend, bis ca. zwanzig Kilometer vor Fürstenfeldbruck endlich Langstreckenschilder aufgestellt sind. Es ist wieder verdammt heiß. In Fürstenfeldbruck knacke ich die Siebenhundertkilometermarke. Ein Rudel Motorradler überholt mich. Ich zähle mit, einunddreißig Boliden, geschätzte fünfhunderttausend Euro Spaß rollen da. Einer trägt ein rosa Kaninchen-Kostüm.
The Importance of Zeitauflösung
Ich plage mich, einen geeigneten Ort zu finden, um diese Zeilen zu schreiben und sinniere derweil, wie ich das Projekt auch für die Lesenden gegenwärtiger gestalten könnte. Außer, dass ich selbst langsamer werden muss und kein Zeitlimit haben darf, fällt mir dazu nichts ein. Und der Schreibort sollte folgende Eigenschaften haben: Schatten, Brunnen, Bank – die eierlegende Wollmilchsau unter den Schreiborten :-)
Nun sind es Luftlinie einunddreißig Kilometer bis ans andere Ende Münchens. Ich sitze auf einer Bank im Schatten ohne Brunnen am Radlring, werde der blauen Linie auf der Open-Cycle-Map folgen, die von West nach Ost quert. Oder sollte ich südlich und dann den roten Fernweg nehmen? Ich weiß es nicht.
eine Idee hast du da gehabt und ich hoffe, das sich hierfür SpnsorInnen finden lassen – das wäre einmal etwas gaaanz anderes …
diese Tour aber, die du beschreibst, scheint mir doch immer wieder auch Grenzen zu zeigen – sag mir, wenn ich mich täusche … aber Hitze, Gewitter, Mückenwolken und -überfälle, sowie die immer wieder vertretenden Männleins lassen mich meinen nicht vorhandenen Hut vor dir und deinem Einsatz ziehen :)
soll natürlich heißen: eine feine Idee …